Sylvia Schenks Schlusswort: "Ich bin nicht mehr die Frau des Sports."
Persönlich – Neue Existenzfragen – Sylvia Schenk führt künftig „Transparency International“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Sylvia Schenk verabschiedet sich vom Sport. 39 Jahre liegen zwischen dem ersten Start der sechzehnjährigen Läuferin bei der Meisterschaft im Kreis Ziegenhain in Hessen und ihrer Kandidatur um den Vorsitz des deutschen Teils der Anti-Korruptions-Organisation „Transparency International“ an diesem Samstag. „Ich will nicht mehr vorrangig mit Sport identifiziert werden“, sagt sie.
Sylvia Schenk hat als Arbeitsrichterin in Offenbach und danach zwölf Jahre lang als Dezernentin für Sport, Recht und Frauen im Magistrat von Frankfurt gearbeitet. Mehr denn als Teilnehmerin der Olympischen Spiele von München 1972 und der Leichtathletik-Europameisterschaft von Rom 1974, mehr auch als in ihren Berufen machte die ausdauernde Juristin und Rechtsanwältin in ihren Ehrenämtern von sich reden: zuletzt als streitbare Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer und als Mitglied des Vorstandes des Internationalen Radsportverbandes. Zum Abschied von alldem hielt Sylvia Schenk am Freitag auf dem 13. Europäischen Fair-Play-Kongress der Deutschen Olympischen Akademie in Frankfurt den Vortrag: „Doping – eine Existenzfrage des Sports“. Danach sagte sie für viele überraschend vom Podium herab ade.
Nicht allein mit dem Thema Nummer eins hat sich Sylvia Schenk all die Jahre beschäftigen müssen. „Doping ist das Symptom“, sagt Sylvia Schenk über ihre Erfahrungen. „Dahinter stecken Führungslosigkeit und der Irrtum, den Wert des Sports an Einnahmen und den politischen Einfluss an Kontakten zu bemessen.“ Neun Jahre ist es her, dass sie in dieser Zeitung forderte: „Der Sport muss die Gesellschaft bewegen und gestalten.“ Was sie damals kritisierte – fehlende Konzepte und mangelnde Politikfähigkeit in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs -, könnte sie dem Sport heute noch vorwerfen. Stattdessen zitiert sie, überraschend aktuell, Baron Pierre de Coubertin, den Mann, der vor mehr als hundert Jahren die Olympischen Spiele wiederentdeckte und etablierte: „In welcher modernen und den Gegenwartsbedürfnissen entsprechenden Denkordnung finden wir das ethische Gegengewicht, das den modernen Athletismus davor bewahren könnte, in die Geschäftemacherei hineingezogen zu werden und so schließlich im Schmutz zusammenzubrechen?“
In seiner Universalität und auch in seinem Reichtum sieht Sylvia Schenk die Chancen des Sports. „Gerade die olympische Idee war genial“, sagt sie. Doch die Versprechen der olympischen Charta, etwa von der Vorbildwirkung der Athleten, von ethischen Grundsätzen und dem Einsatz für eine friedliche und bessere Welt, sieht sie samt und sonders nicht erfüllt. „Coubertin mit seinen pädagogischen und gesellschaftlichen Ansprüchen“, glaubt Sylvia Schenk, „wäre heute nicht im Internationalen Olympischen Komitee engagiert, sondern bei Greenpeace, bei Amnesty International oder bei Transparency International.“
Wohl auch deshalb ist sie von den meisten Ehrenämtern im Sport zurückgetreten, schreibt keine Kolumnen mehr und steht auch nicht mehr für Interviews und Referate über aktuelle Themen des Sports zur Verfügung. Ein bisschen allerdings bleibt sie dem Sport doch verbunden: im Vorstand der Deutschen Olympischen Akademie, als Richterin am Sportgerichtshof in Lausanne und – für sie sicher am schönsten – als Hobbyläuferin.
MICHAEL REINSCH
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Sonnabend, dem 20. Oktober 2007