Symbolbild - Doping - Foto: BMI
„Opfer der SED-Diktatur“: SPD will Rente für DDR-Dopinggeschädigte – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Es gehe um die Anerkennung erlittenen Unrechts: Wer durch das Doping im DDR-Sport geschädigt wurde, soll laut SPD-Bundestagsfraktion künftig ebenfalls Anspruch auf monatliche Leistungen haben.
Geschädigte des Dopings im DDR-Sport sollen nun doch als Opfergruppe nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz anerkannt und mit einer kleinen Rente versorgt werden. Ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren einzuleiten hat am Dienstag die SPD-Fraktion in Bundestag beschlossen. Antragsberechtigt könnten bis zu zweitausend ehemalige Sportlerinnen und Sportler sein.
Die Bundesregierung hat jüngst mitgeteilt, dass 2062 Anträge auf einmalige finanzielle Hilfe nach den Dopingopferhilfegesetzen von 2002 und 2016 gestellt und 1643 davon bewilligt wurden. Anerkannten Opfern von staatlicher Willkür in der DDR stehen monatlich 240 Euro zu. Diese Rente soll nach den Plänen der SPD nicht mehr mit Erreichen der Altersgrenze auf 180 Euro sinken, sondern etwa durch Inflationsausgleich dynamisiert werden.
SPD: „Eine Frage des Respekts“
Die Leistungen seien als Anerkennung erlittenen Unrechts und fortdauernder Beeinträchtigungen angelegt, heißt es im Positionspapier der SPD. Es gehe darum, dass die betroffenen Personen ihre fortgeschrittenen Lebensabschnitte in Würde verbringen können. Die Zahl der Betroffenen werde aus Altersgründen kleiner, die Zahl der Anspruchsberechtigten sinke. Neu aufgenommen werden sollen neben Dopingopfern Betroffene von Zwangsaussiedlung und von Zersetzungsmaßnahmen außerhalb der DDR.
„Dass die SPD-Fraktion die Unrechtsbereinigungsgesetze jetzt erneut an den Stand der Forschung anpassen möchte, ist eine Frage des Respekts“, sagt der Initiator der Novellierung, der bayrische SPD-Abgeordnete Jan Plobner (Roth): „Es ist wichtig, dass wir jetzt auch den Menschen unter die Arme greifen, die bei bisherigen Anpassungen nicht ausreichend gehört wurden. Auch Opfer von staatlich organisiertem Doping im Spitzensport müssen in den Katalog der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze aufgenommen werden. Nicht zuletzt, um auch Ihnen die nötige Anerkennung und Möglichkeit der Rehabilitierung zuzugestehen.“ Es gelte, im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen der Ampel-Koalition die Anpassung der Gesetze mit Nachdruck voranzutreiben.
Die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, kommentiert: „Das Papier ist ein deutliches Signal aus dem Parlament an die Opfer der SED-Diktatur und unsere Gesellschaft, dass dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung die Unterstützung der Opfer weiterhin wichtig ist. Das Zwangsdoping in der DDR war keine Privatangelegenheit von Ärzten, Trainern oder Athletinnen und Athleten. Das Doping in der DDR war staatlich geplant und staatlich organisiert. Die Aufnahme der Dopingopfer in das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, um den Betroffenen den Zugang zu Rehabilitierung und dringend benötigter Unterstützung zu erleichtern.“
Laut einem früheren Bericht der Opferbeauftragten wurden von 1974 bis 1989 in mindestens zwölf Sportarten rund 10.000 Sportlerinnen und Sportler vorzugsweise mit Anabolika, zum Teil ohne ihr Wissen und ohne hinreichende Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen gedopt. Die Schätzungen von rund zweitausend zu erwartenden Anträgen bezeichnet ihr Büro als sehr vage. Viele Betroffene von SED-Unrecht meldeten sich nie bei öffentlichen Stellen, selbst wenn Ihnen Leistungen zustehen.
Da rund 90 Prozent der Anträge wegen nicht belegbarer Kausalität abgelehnt werden, sollen nach dem Vorbild des Soldatenversorgungsgesetzes künftig der Nachweis des potentiell krankheitsauslösenden Ereignisses und der Symptome einer Schädigung ausreichen. Die Kausalität werde somit rechtlich angenommen. Abgewiesene Antragsteller sollen einen zweiten Antrag stellen dürfen, „damit die bisherigen und künftigen Weiterentwicklungen der Gesetze auch tatsächlich den Betroffenen zugutekommen“.
„Wir brauchen Rechtsklarheit“
Sowohl Kausalität als auch das Recht auf einen zweiten Antrag sind für Dopingopfer von Bedeutung. Schon lange kämpfen der gemeinnützige Verein Doping-Opfer-Hilfe, die Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur für Mecklenburg-Vorpommern sowie die Opferbeauftragte beim Bundestag für die Anerkennung von Dopingopfern nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Nach Auskunft der Landesbeauftragten, Anne Drescher, haben von 84 Betroffenen, die sich in Schwerin beraten ließen, 37 Anträge auf Anerkennung der gesundheitlichen Folgeschäden gestellt – bei Versorgungsämtern in neun Bundesländern. Von diesen Anträgen seien sieben abgelehnt worden, zwei haben zu Klagen vor Sozialgerichten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg geführt.
„Wir brauchen Rechtsklarheit ohne all diese Auseinandersetzungen“, sagt der Heidelberger Rechtsanwalt Michael Lehner, der in sieben Verfahren Betroffene vertritt. Lehner ist Vorsitzender der Doping-Opfer-Hilfe. „Bisher gab es pauschale Einmal-Hilfeleistung für Dopingopfer“, sagt er, „aber das normale Sozialsystem war ihnen verschlossen. So spät die Regelung kommt, so sehr ist sie zu begrüßen.“ Viele Verfahren ruhen nach seiner Kenntnis; Antragsteller warten den Ausgang von Musterverfahren ab.
Bedürftigkeitsklausel und die Einbeziehung der Familienverhältnisse sollen nach den Plänen der SPD für das Unrechtsbereinigungsgesetz abgeschafft werden. Die Anerkennung müsse voraussetzungsfrei gelten; dies sei neben der finanziellen vor allem eine zentrale symbolische Frage.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 1. März 2023