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02
08
2011

Olympische Spiele 1936 – Gold für die Nazis – Die Buchrezension von Ernst Piper im Tagesspiegel

By GRR 0

Vor 75 Jahren, am 1. August 1936, wurden in Berlin die XI. Olympischen Sommerspiele eröffnet. Es war ein mächtiges Spektakel. Wie schon ein halbes Jahr zuvor die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen erreichten auch die Sommerspiele mit 49 Nationen einen Teilnehmerrekord.

Ganz Berlin war mit Fahnen und Girlanden geschmückt. Die damals schon an vielen Gebäuden angebrachten Schilder „Für Juden verboten“ wurden vorübergehend entfernt. Und damit die perfekte Idylle nicht durch „rassefremde“ Elemente getrübt wurde, ließ Innenminister Frick alle Zigeuner in ein Sammellager in Marzahn verfrachten.
 
Olympischen Kongress in Berlin die deutsche Bewerbung für die Spiele 1936 präsentierte, war die Demokratie in Deutschland noch halbwegs intakt, und im Jahr darauf erhielt Berlin den Zuschlag. Doch als das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Juni 1933 in Wien zu seiner turnusmäßigen Sitzung zusammenkam, hieß der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler und die Welt verfolgte mit wachsendem Entsetzen, mit welcher Brutalität das NS-Regime Oppositionelle verfolgte, die freien Gewerkschaften zerschlug und die jüdische Minderheit drangsalierte.

Nicht wenige wollten die Entscheidung für Deutschland angesichts des dortigen Terrors gegen Andersdenkende und der Diskriminierung der Juden revidieren. Vor allem in den USA war die Boykottbewegung sehr stark. Die Amateur Athletic Union (AAU) beschloss am 21. November 1933 einmütig, die Olympischen Spiele zu boykottieren, wenn die Deutschen ihren Lippenbekenntnissen keine Taten folgen ließen. Zur Überprüfung ihrer Forderungen sandte die AAU den Präsidenten des Amerikanischen Olympischen Komitees Avery Brundage nach Deutschland. Brundage war lange Jahre einer der bedeutendsten amerikanischen Sportler gewesen. Jetzt war er ein erfolgreicher Bauunternehmer, aber leider auch ein Sympathisant autoritärer Regime und rassistischer Weltanschauungen.

Avery Brundage reiste sechs Tage lang durch Deutschland, unterhielt sich prächtig mit den nationalsozialistischen Sportfunktionären und verkündete nach seiner Rückkehr in die USA, was er schon vor seiner Abreise aufgeschrieben hatte: Die Deutschen respektierten die olympischen Regeln voll und ganz. Gegen Brundage stand eine Boykottbewegung, die weite Teile der amerikanischen Gesellschaft erfasst hatte: Kirchen, Stadtparlamente, Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen unterstützen sie ebenso wie zahlreiche Tageszeitungen. Der amerikanische Botschafter in Berlin warb für den Boykott und auch das einzige amerikanische IOC-Mitglied, der deutschstämmige Ernest Jahncke.

Als die Delegierten der AAU am 6. Dezember 1935 in New York zur entscheidenden Sitzung zusammenkamen, plädierte ihr Präsident Jeremiah Mahoney entschieden gegen eine Teilnahme an den Spielen in Berlin. Brundage musste mit einer Niederlage rechnen, doch er hatte vorab mit Funktionären des IOC eine geheime Absprache getroffen, dass das Reglement, das für eine Teilnahme der USA das positive Votum der AAU erforderte, im Ernstfall außer Kraft gesetzt werden würde. Als Brundage am Abend des ersten Sitzungstages sah, dass es knapp werden würde, ließ er mit Geschäftsordnungstricks die Abstimmung verschieben, trommelte über Nacht weitere Delegierte herbei und gewann die Abstimmung mit 58 ¼ gegen 55 ¾ Stimmen.

Anschließend säuberte Brundage die Funktionärsränge der Sportverbände von Boykottbefürwortern, die er als „antiolympisch“ denunzierte. Jahncke wurde als „Verräter“ aus dem IOC ausgeschlossen – ein bis heute einmaliger Vorgang in der Geschichte des IOC. Brundage wurde an seiner Stelle in das Komitee gewählt und nach dem Krieg dann auch Präsident des IOC. Als im September 1972 in München elf israelische Olympioniken von palästinensischen Terroristen ermordet wurden, verkündete Brundage genau wie 36 Jahre zuvor: „The games must go on.“

Diese wenig rühmliche Geschichte referiert in groben Zügen auch Armin Fuhrer in seinem Buch über die Sommerspiele von 1936. Der Journalist, der beim „Focus“ arbeitet, gibt einen soliden Überblick über das Geschehen. Er stellt in seinem reich bebilderten Buch zunächst die wichtigsten NS-Funktionäre vor, wobei der Generalsekretär Carl Diem, dessen Rolle bis heute umstritten ist und dem die „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ erst kürzlich einen Schwerpunkt gewidmet hat, etwas zu kurz kommt.

Es folgt ein Überblick über die Sportstätten, ein Rückblick auf die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen sowie ein ausführlicheres Kapitel über die Wettkämpfe. So kommt nicht nur der zeitgeschichtlich interessierte, sondern auch der sportinteressierte Leser auf seine Kosten. Das letzte Kapitel ist der nationalsozialistischen Propaganda gewidmet, im Mittelpunkt stehen Leni Riefenstahl und ihr Olympiafilm. Fuhrer wartet mit interessanten Details zur Geschichte der Massenmedien auf, bleibt aber ansonsten auch hier etwas an der Oberfläche.

Im Juni 1934 hatte der Deutsche Olympiaausschuss bekannt gegeben, dass 21 Juden in der deutschen Olympiamannschaft antreten würden. Das war eine Propagandalüge, denn es hatte sich kein einziger jüdischer Sportler qualifiziert. Aber Hitler hatte dem IOC gegenüber gelobt, sich an die olympischen Regeln zu halten, und tatsächlich gab es dann zwei Juden in der deutschen Mannschaft, die Fechterin Helene Meyer, Goldmedaillengewinnerin von 1928, und Rudi Ball, den besten deutschen Hockeyspieler. Beide waren 1933 emigriert, Meyer in die USA und Ball nach Frankreich, und wurden nun auf internationalen Druck hin vorübergehend repatriiert. Mit Werner Seelenbinder nahm auch ein kommunistischer Arbeitersportler teil, der dann 1944 als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde.

Kaum waren die Olympioniken wieder abgereist, wurde im September 1936 auf dem Reichsparteitag der NSDAP ein umfassendes ökonomisches Programm zur Aufrüstung und Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg bekannt gegeben. Die gesamten Olympischen Spiele waren ein perfektes Gesamtkunstwerk nationalsozialistischer Propaganda gewesen und ein gewaltiger Prestigegewinn für den außenpolitisch weithin isolierten NS-Staat. Nun ging man wieder zur Tagesordnung über und da stand Mord an erster Stelle.

„Der Tod macht Urlaub“ nennt Fuhrer das Nachwort zu seinem Buch. Dieser Urlaub währte nur kurz.

Ernst Piper im Tagesspiegel, Montag, dem 1. August 2011

Armin Fuhrer: Hitlers Spiele. Olympia 1936 in Berlin. be.bra Verlag, Berlin 2011. 158 Seiten, 24,95 Euro.

author: GRR

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