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09
11
2017

©Horst Milde

Olympia und Russland: Warten auf das IOC – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) macht den Eindruck, als habe es Angst vor Strafe.
 
Nicht davor, bestraft zu werden, sondern vielmehr Furcht davor, just die Strafe zu verhängen, auf die der Sport wartet, seit der große Betrug von Sotschi 2014 aufgeflogen ist.
 
Am 9. Februar 2018 sollen in der südkoreanischen Stadt Pyeongchang die Olympischen Winterspiele beginnen, in weniger als hundert Tagen. Und immer noch lässt sich nicht absehen, ob und wie das IOC auf das Doping russischer Athleten bei den Winterspielen vor vier Jahren sowie auf die Manipulation und den Austausch von deren Proben im vorgeblichen Kontroll-Labor auf dem Olympia-Gelände reagieren will.

Einen Angriff auf die Integrität der Olympischen Spiele und des IOC, wie Thomas Bach den Betrug nennt, der Präsident des IOC. Doch Bach beschreibt auch Kollektivstrafen als ungerechte Reaktion auf diesen von Staat, Sportapparat und Geheimdienst vorgenommenen Betrug; er fordert die Unschuldsvermutung für Athleten.

Gerade hat er es in Prag „unakzeptabel für die olympische Bewegung“ genannt, dass in der Öffentlichkeit Sanktionen gefordert werden wie der Ausschluss der russischen Mannschaft oder, wie es die Leichtathleten halten, der Start russischer Teilnehmer als neutrale Athleten ohne Wappen, ohne Flagge, ohne Hymne. Alexander Schukow, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Russlands, macht wie Abgeordnete der Duma deutlich, dass sein Land lieber wegbleibe, als einen neutralen Start seiner Athleten zu akzeptieren.

Ein Boykott aber ist das, was Bach am meisten zu fürchten scheint. Sollte Russland nicht mitspielen, sollen auch Eishockeyspieler anderer Länder fehlen, droht Dimitri Tschernitschenko. Der einstige Präsident des Organisationskomitees von Sotschi 2014 ist Präsident der Kontinental Hockey-Liga, der zweitstärksten der Welt. Diese werde, fehlte Russland, ihren Betrieb nicht unterbrechen und ihre Profis nicht freistellen.

Die Professoren Wolfgang Maennig und Helmut Grothe, der eine Volkswirt an der Universität Hamburg, der andere Jurist an der Freien Universität Berlin, greifen die Möglichkeit einer Geldstrafe für Russland auf, die sich das IOC mit einer Änderung der olympischen Charta im September auf seiner Session in Lima eröffnet hat. Diese könne auch gegen ganze Organisationseinheiten verhängt werden, schreiben die beiden, und eine könnte das Nationale Olympische Komitee Russlands sein. Es ist, als wollten die beiden Wissenschaftler dem IOC einen Weg aus der Klemme weisen und eine in die Zukunft gerichtete Strategie.

Eine Milliarde Dollar solle Russland für den Schaden bezahlen, den es angerichtet habe, fordern Maennig und Grothe. Das Geld solle in eine Stiftung fließen, welche die Arbeit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) unterstützt. Bei nur zwei Prozent Verzinsung der Summe könnte das Budget der Wada von knapp dreißig auf fünfzig Millionen Dollar aufgestockt werden.

Nicht nur würde dies bei wachsendem Finanzbedarf die Länder entlasten, welche die Regeln respektieren. Es würde auch ein Modell zur Bestrafung künftiger Doping-Fälle sein: Wer erwischt wird, zahlt hohe Strafen, die das Kapital der Stiftung vergrößern.

Da laut McLaren-Report in den Jahren 2011 bis 2015 im russischen Doping-System rund tausend Sportlerinnen und Sportler in dreißig Sportarten gedopt wurden, und da jeder einzelne eine Vielzahl von Athleten geschädigt haben dürfte, multiplizieren Maennig und Grothe den angenommenen Schaden – entgangener Erfolg, Enttäuschung, ausgebliebene Sponsoren-Einnahmen – von 250 000 Dollar pro Sportler mit vier: Macht eine Milliarde.

Nicht enthalten ist der Ansehensverlust des IOC und seiner Spiele. Mit einem solchen Instrument erhalte das IOC die Möglichkeit, „Punitive Damages“ wie im amerikanischen Recht zu verhängen, Pönalen, die nicht nur den Schaden gutmachen, sondern auch abschrecken sollen.

Maennig und Grothe erwarten, sollte das IOC Russland mit einer Geldstrafe sanktionieren, keinen Streit darüber, dass die Regel möglicherweise nicht rückwirkend gelten dürfe.

Denn die Regelung eröffne den Russen die Möglichkeit, mit voller Mannschaft und allen Insignien der Nation bei den Olympischen Spielen anzutreten. Zu hoch sei die Strafe von einer Milliarde auch nicht, vielmehr „eher die Untergrenze einer angemessenen Strafe (…), zumal dem Olympischen Sport weiterer Schaden zugefügt wurde“, schreiben die Wissenschaftler.

„Dies gilt auch dann, wenn die Strafzahlung nicht den tatsächlich geschädigten Athleten und Athletinnen zukommen würde – wenngleich dies diskutabel erscheint.“

Russland sei bei jährlichen Exporten im Wert von 282 Milliarden Dollar und einem Staatshaushalt von 245 Milliarden Dollar mit einer Milliardenstrafe nicht überfordert. Sie mache lediglich 0,3 bis 0,4 Prozent der genannten Summen aus.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mittwoch, dem 8. November 2017

Michael Reinsch

 

 

 

 

 

author: GRR

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