Wie die Strecke des London-Marathons wird auch der olympische Kurs am Ufer der Themse entlang führen. ©Victah Sailer
OLYMPIA SERIE LONDON 2012 – Olympia spezial: London, eine zweite Heimat des Marathons
Die Wiege des Marathons ist der Ort Marathon in Griechenland, doch zu Hause ist das klassische Rennen auch in London. Zum dritten Mal finden in der britischen Metropole nach 1908 und 1948 die Olympischen Spiele statt, die Ende dieses Monats beginnen.
Die Marathonrennen der Frauen (5. August) und Männer (12. August) werden einmal mehr zu den Höhepunkten der Spiele zählen. Das gilt besonders, weil Olympia in London stattfindet. Es war in London 1908, als das klassische Rennen erstmals über 42,195 km führte. In keiner anderen Stadt der Welt wurden zudem so oft Marathon-Weltrekorde aufgestellt wie dort:
Insgesamt 15 Mal gab es an der Themse seit 1908 Bestzeiten, die vom internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) anerkannt wurden. Über Jahrzehnte hinweg setzte der Polytechnic-Marathon, der im westlichen Teil der Metropole stattfand, internationale Maßstäbe. Heute ist der London-Marathon ein weltweiter Trendsetter für den Laufsport.
London wird die erste Stadt sein, die zum dritten Mal Olympische Spiele ausrichtet. Zum dritten Mal steht damit auch der Marathonlauf auf dem Programm. Bei den ersten Auflagen der Olympischen Spiele, deren Geschichte 1896 in Athen begann, war die Marathondistanz nicht genau festgelegt. Sie betrug rund 40 Kilometer. In London jedoch wurden daraus 1908 zum ersten Mal 42,195 km. Dass diese Länge herauskam, lag vor allem am britischen Königshaus.
Die Strecke wurde damals vom Eingang des Olympiastadions rückwärts vermessen. 40 Kilometer waren in Eton erreicht. Doch der Startpunkt sollte direkt an der Ost-Terrasse des Schlosses Windsor liegen, damit die königliche Familie bequem zuschauen konnte. Von Eton betrug die Distanz bis dorthin noch eine gute Meile. Damit war die Strecke 42 Kilometer lang.
Dabei blieb es jedoch nicht, denn auch im Olympiastadion war eine Anpassung nötig. Das Ziel musste vor der königlichen Loge platziert werden. So kamen 195 Meter hinzu: 42,195 km beziehungsweise 26 Meilen und 385 Yards. Der Londoner Marathon des Jahres 1908 wurde allerdings nicht gleich zum Standardmaß. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) beschloss 1914 zunächst eine Marathonlänge von genau 42 Kilometern. Doch nachdem die Strecke bei den Spielen in Amsterdam 1920 auf 42,75 km verlängert worden war, begann die Diskussion von neuem.
1921 beschloss dann schließlich die IAAF, dass die Streckenlänge künftig 42,195 km betragen muss.
Olympia 1948: Dramatik kurz vor dem Ziel
Der olympische Marathon von London 1908 ist vor allem jedoch aufgrund seines dramatischen Rennverlaufes in Erinnerung geblieben. Vor Zuschauermengen, wie es sie im Sport zuvor noch nie gegeben hatte, spielte sich auf der Strecke zwischen Windsor und dem Ziel im White City Stadium im Stadtteil Shepherd's Bush ein olympisches Drama ab. Und wenn die Strecke nicht um jene 195 Meter bis zur königlichen Loge verlängert worden wäre, hätte der Sieger nicht John Hayes (USA) sondern Dorando Pietri geheißen.
Der italienische Bäcker lag in dem Hitzerennen mit Temperaturen von gut 25 Grad Celsius lange Zeit in Führung und erreichte als erster das Stadion. Vollkommen erschöpft, lief er in die falsche Richtung. Nachdem ihm der richtige Weg gewiesen worden war, brach er zusammen, stand wieder auf und taumelte weiter Richtung Ziellinie.
Insgesamt fünfmal fiel Dorando Pietri zu Boden, und als dann der erste Verfolger, John Hayes, das Stadion erreichte, konnten es einige Offizielle nicht mehr mit ansehen. Sie führten den Italiener über die Ziellinie, was natürlich zur Folge hatte, dass Dorando Pietri disqualifiziert wurde. Der Sieger hieß John Hayes in 2:55:18,4 Stunden. Diese Zeit wurde später als erste Weltbestzeit im Marathon (Weltrekorde führt die IAAF offiziell erst seit 2003) nachträglich anerkannt.
Olympia 1948: Entscheidung auf den letzten Metern
Ein ähnlich dramatisches Finish gab es 40 Jahre später in London. Das Wembley Stadion war die olympische Arena, wo das Rennen begann und endete. Die Strecke führte durch den nördlichen Teil der Stadt. Der Belgier Etienne Gailly hatte frühzeitig die Führung übernommen und seinen Vorsprung nach 25 km auf 41 Sekunden ausgebaut. Doch dann wurde er bei seinem Marathondebüt langsamer und knapp 10 km vor dem Ziel überholt. Gailly kam aber noch einmal zurück und überholte seinerseits 800 Meter vor dem Stadion den führenden Delfo Cabrera (Argentinien).
Doch als der Belgier in die Wembley Arena hineinlief, war er am Ende seiner Kräfte. Gailly, so ist in dem Band „The Complete Book of the Summer Olympics" nachzulesen, konnte kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen. Die Zuschauer fühlten sich erinnert an Dorando Pietri 1908. Zwei Läufer überholten ihn: Delfo Cabrera, der ebenfalls seinen ersten Marathon rannte, wurde in 2:34:51,6 Stunden Olympiasieger vor Thomas Richards (Großbritannien/2:35:07,6). Etienne Gailly schaffte es aber im Gegensatz zu Dorando Pietri, sich auf den Beinen zu halten und erreichte das Ziel noch als Dritter mit 2:35:33,6.
Vom Polytechnic- zum London-Marathon
Schon ein Jahr nach dem ersten olympischen Marathon in London hatte sich in der Stadt ein hochklassiges Rennen über die 42,195 km etabliert: der Polytechnic-Marathon. „The Polytechnic" war die Londoner Universität, die heute „University of Westminster" heißt. Sie hatte einen Leichtathletik-Klub (Polytechnic Harriers), der mit der Organisation des olympischen Marathons 1908 beauftragt worden war. Aufgrund des enormen Zuschauerinteresses am Olympiarennen lobte daraufhin die Sportzeitung „The Sporting Life" eine attraktive Trophäe für einen jährlichen Marathon aus und bat die Polytechnic Harriers, ein solches Rennen zu organisieren.
Am 26. Mai 1909 hatte der Polytechnic-Marathon seine Premiere. Das Rennen fand im ersten Jahr auf der olympischen Marathonstrecke von 1908 statt. Der Brite Henry Barrett gewann in 2:42:31 Stunden und war damit deutlich schneller als der Olympiasieger John Hayes im Jahr zuvor. Die Strecke des Polytechnic-Marathons variierte in den folgenden Jahren ein paar Mal.
Auf der Strecke des Rennens lief am 3. Oktober 1926 die Britin Violet Percy in einem Sololauf 3:40:22 Stunden. Obwohl Frauen-Langstreckenläufe noch lange nicht zum Programm der olympischen Wettbewerbe zählten, ist es jene Zeit von Violet Percy, die die IAAF als erste Marathon-Weltbestzeit einer Frau listet.
Ab 1938 befand sich das Ziel im neuen Stadion der Polytechnic Harriers in Chiswick, einem Bezirk im Westteil Londons. Es war dort, wo die Zuschauer zwischen 1952 und 1965 sechs Weltrekorde sahen. Dreimal in Folge stellte der Brite James Peters eine Bestmarke auf. 1953 blieb er dabei als erster Marathonläufer unter 2:20 Stunden (2:18:40). 1965 gewann der Japaner Morio Shigematsu mit 2:12:00. Das war die achte und letzte Weltbestzeit in der Geschichte des Polytechnic-Marathons – kein anderes Rennen hat bis heute mehr.
Verkehrsprobleme machten es ab etwa 1970 zunehmend schwerer für die Veranstalter des Polytechnic-Marathons. Zudem, so schreibt der letzte Race-Direktor Ian Ridpath in einem historischen Überblick zu der Veranstaltung, konnten sie später nicht konkurrieren mit den aufstrebenden City-Marathonrennen, die als Massenläufe konzipiert waren und zudem den Topathleten teilweise hohe Start- und Preisgelder boten. Die 78. Auflage des Polytechnic-Marathons war 1996 die letzte dieses außerordentlichen Rennens.
Längst hatte sich zu dieser Zeit der London-Marathon als einer der weltweit führenden Straßenläufe etabliert. Die Premiere fand am 29. März 1981 statt. Mehr als 20.000 Läufer wollten teilnehmen, 7.747 wurden zugelassen. Inzwischen ist der London-Marathon auf über 35.000 Starter und Finisher gewachsen. Über 170.000 Läufer bewarben sich um eine Startnummer für die vergangene Auflage im April. Ein Losverfahren entscheidet, wer teilnehmen darf.
So erfolgreich wie nirgendwo anders ist das Charity-Running in der britischen Metropole. Seit der Premiere 1981 sammelten Läufer des London-Marathons rund 700 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke! Der London-Marathon wird durch die BBC mittlerweile in mehr als 150 Länder rund um die Welt übertragen; über sechs Millionen TV-Zuschauer verfolgten die Live-Übertragung zuletzt alleine in Großbritannien. Etwa eine Million Zuschauer säumen jedes Jahr die Strecke mit Start in Greenwich und Ziel am Buckingham Palast.
Spitzensportlich ist der London-Marathon das seit Jahren bestbesetzte City-Rennen des Jahres.
Viermal wurden in der Geschichte der Veranstaltung bisher Weltrekorde gebrochen. Am 13. April 2003 lief die Britin Paula Radcliffe in London 2:15:25 Stunden – eine Zeit, die bis heute unerreicht ist.
Marathon-Bestzeiten in London
Männer
2:55:18 John Hayes USA Olympische Spiele 24.7.1908
2:42:31 Henry Barrett GBR Polytechnic 26.5.1909
2:38:16 Harry Green GBR Stamford Bridge 12.5.1913
2:36:06 Alexis Ahlgren SWE Polytechnic 31.5.1913
2:20:42 James Peters GBR Polytechnic 14.6.1952
2:18:40 James Peters GBR Polytechnic 13.6.1953
2:17:39 James Peters GBR Polytechnic 26.6.1954
2:14:28 Leonard Edelen USA Polytechnic 15.6.1963
2:13:55 Basil Heatley GBR Polytechnic 13.6.1964
2:12:00 Morio Shigematsu JPN Polytechnic 12.6.1965
2:05:38 Khalid Khannouchi MAR London-Marathon 14.14.2002
Frauen
3:40:22 Violet Percy GBR Chiswick 3.10.1926
2:25:29 Grete Waitz NOR London-Marathon 17.4.1983
2:21:06 Ingrid Kristiansen NOR London-Marathon 21.4.1985
2:15:25 Paula Radcliffe GBR London-Marathon 13.4.2003
Text und Statistik: race-news-service.com