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11
07
2016

Armin Hary (ganz lks.) Olympiasieger über 100m in Rom 1960 ©Bildarchiv Heinrich von der Becke im Sportmuseum Berlin.

OLYMPIA HISTORIE ROM 1960 – Nicht „nur“ dabei sein – ARMIN HARY – Kerstin Börß in Leichtathletik – Teil 2

By GRR 0

Rom war 1960 erstmals Austragungsort der Olympischen Spiele der Neuzeit. Eigentlich sollte es schon 1908 so weit sein, damals verhinderte dies aber der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 1906. Erhebliche Geldbeträge mussten statt in Olympische Spiele in die Region um Neapel gesteckt werden, London wurde Austragungsort.

Nach zahlreichen erfolglosen Bewerbungen war es für Rom dann 1960 so weit. Von einem Zusammenspiel antiker Kulisse mit dem modernen Geist der Stadt schreibt der deutsche Sportjournalist Heinz Maegerlein nach den Spielen begeistert in seinem Buch zur Olympiade.

„Historische Spiele" und „Was lange währt, wird endlich gut" – zwei Stichworte, die nicht nur zu Olympia in Rom passen, sondern auch zu der sportlichen Karriere und den Leistungen des deutschen Leichtathleten, der diesen Spielen – vielleicht auch wegen dieser Gemeinsamkeiten – seinen Stempel aufdrückte.

Der gebürtige Saarländer Armin Hary wurde zwar von keinem Vulkan gebremst, musste aber dennoch in seiner Laufbahn drei Mal Weltrekord laufen, bis dieser auch offiziell anerkannt wurde.

Zwei Monate vor den Spielen war es dann auf der Bahn in Zürich soweit: Er knackte nach zuvor zweimaliger Aberkennung offiziell den Weltrekord über 100 Meter und wurde schlussendlich der erste Mensch, der die 100 Meter in 10,0 Sekunden bewältigte.

Mit diesem Eintrag in die Geschichtsbücher im Gepäck fuhr der damals 23-jährige Athlet dann mit nur einem Ziel nach Rom. „Ich war sehr selbstsicher", blickt der heute 79-Jährige zurück. „Man sagte mir ja nach, dass ich arrogant sei, aber das war ich nicht. Ich war von mir überzeugt, von meiner Leistung überzeugt. Ich bin nach Rom gefahren, um die Goldmedaille zu gewinnen – und nicht nur dabei zu sein."

Der Finalabend

Und Hary erreichte sein Ziel am frühen Abend des 1. September 1960. Statt der Nummer eins der deutschen Hitliste – „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strandbikini" – lief in den deutschen Wohnzimmern der spannende Endlauf. Tags zuvor hatte er schon im Viertelfinale mit einer Zeit von 10,2 Sekunden für einen neuen olympischen Rekord gesorgt.

Trotz dieses guten Vorzeichens dürften beim Endlauf den Zuschauern und Zuhörern die Herzen noch einmal kurz stehen geblieben sein. Denn Armin Hary verursachte einen Fehlstart. Würde er nun zögerlicher starten und damit dem Amerikaner Dave Sime in die Karten spielen?

Doch der junge Deutsche mit dem goldenen Ziel im Kopf war ja nicht im Finale, um „nur" dabei zu sein, und lag folglich ohne Gedanken an den vorangegangen Fehlstart sofort in Führung, Sime konnte kurz vor Schluss noch stark aufholen und sorgte damit nach dem Lauf für Momente der Ungewissheit im für die Spiele erneuerten Olympiastadion in Rom.

Doch Hary wird zum Sieger­ erklärt, hauchdünn vor Sime und dem Briten Peter Radford. Sieg in 10,2 Sekunden – Goldmedaille gewonnen und eigenen olympischen Rekord vom Vortag eingestellt.

Bei der anschließenden Siegerehrung erklang „Freude, schöner Götterfunken" statt der Nationalhymne. Denn wie schon bei den Sommer- und Winterspielen 1956 und den Winterspielen 1960 (danach auch noch einmal bei den beiden Olympiaden 1964) traten BRD und DDR mit einem gesamtdeutschen Team an. „Das hat man schon gemerkt, es war ja quasi verboten, mit den eigenen Mannschaftsmitgliedern sich intensiver zu unterhalten", erzählt Hary.

Zur Eröffnungsfeier trug mit dem Reiter Fritz Thiedemann ein Sportler der BRD die Fahne, zur Abschiedsfeier war es dann an DDR-Turmspringerin Ingrid Krämer, die mit Olympischen Ringen versehene deutsche Fahne zu tragen. Hary war bei der Eröffnungsfeier nicht dabei: „Eine Eröffnungsfeier ist eher anstrengend, da müssen sie erst mal vier, fünf Stunden warten und stehen. Wenn man dann am nächsten Tag dran ist, ist das nicht besonders gut."

Wären die Dinge im Vorhinein anders gelaufen, hätte der deutsche Sprinter aber auch für ein anderes Team (nicht) zur Eröffnungsfeier gehen können. „Sicherlich hätte ich auch Amerikaner werden können, ein Jahr vorher war ich in Amerika, da wurde mir die amerikanische Staatsangehörigkeit schon angeboten. In Amerika konnte ich mich nicht entscheiden, obwohl ich mit Frust dorthin gegangen bin und eigentlich nie wieder zurückkommen wollte. Aber ich konnte es einfach nicht. Ich weiß auch nicht, warum", berichtet der Europameister von Stockholm 1958.

„Wenn alles schief gelaufen wäre, wäre ich aber auch für Frankreich gestartet. Das Saarland gehörte ja zeitweise zu Frankreich." So aber teilte sich Hary sein Zimmer im Olympischen Dorf mit Manfred Germar, umgeben von den anderen deutschen Sprintern. „Wir haben immer aufeinandergehockt."

Die Unterbringung an sich hatte eher keine Goldmedaille verdient: „In Eisenbetten haben wir geschlafen, auf Matratzen, die bis auf die Erde hingen, wenn man sich reingelegt hat", skizziert Hary das olympische Dorf.

Der zweite Erfolg

Doch für den Teamgeist scheint das nicht schlecht gewesen zu sein. So hatte auch die deutsche 4 x 100-Meter-Staffel in Abwesenheit des erkrankten Manfred Germar mit Armin Hary, Bernd Cullmann, Walter Mahlendorf und Martin Lauer eine Woche nach Harys Einzelsieg einen sehr erfolgreichen Tag. „Ein Sprinter denkt nicht nur an die 100 Meter, sondern denkt natürlich auch an die 4 x 100-Meter-Staffel."

Die 4 x 100-Meter-Staffel, die seit 1912 Bestandteil der olympischen Wettbewerbe ist, wurde bei ihrer Premiere von einem Team des Vereinigten Königreichs gewonnen. Anschließend gaben sich alle vier Jahre die Amerikaner nicht nur Staffelstab von Hand zu Hand, sondern auch die Goldmedaillen.

Zunächst sah das auch 1960 wieder so aus, Endläufer Dave Sime überquerte als Erster vor dem deutschen Schlussläufer Martin Lauer die Ziellinie. Doch statt direkt zur Medaillenvergabe überzugehen, hieß es abwarten. „Lange mussten wir nicht warten. Ein bisschen was hatten wir schon mitgekriegt, dass da irgendwas gewesen ist. Da waren wir dann schon vorbereitet," blickt Hary auf die Minuten der Ungewissheit zurück.

Sieger waren dann am Ende die Deutschen wegen eines Wechselfehlers der Amerikaner. „Die waren natürlich schon bedrückt", erzählt der mittlerweile in Bayern lebende Hary, „heute ist das alles anders, wir hatten damals zwanzig Meter Wechselmarke. Heute gibt es dreißig. Bei dreißig Metern hat man eine ganz andere Geschwindigkeit als bei zwanzig Metern, wenn der Staffelstab übergeben wird."

Dass die deutsche Staffel mit ihrem Sieg in 39,5 Sekunden natürlich auch noch einen neuen Weltrekord aufstellte, scheint bei den bisher erwähnten Rekorden nur konsequent. Hary ordnet seine Leistung in der Staffel noch vor dem olympischen Einzelsieg und seinem Weltrekord in Zürich ein: „Ich musste in der Staffel alles geben, was drin war, weil unsere Zeiten im Durchschnitt viel schlechter waren als die der Amerikaner. Wir mussten alles über die Wechsel machen, und ich war nun mal derjenige, der sicherlich wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Staffel gewonnen wurde."

Neben vielen Erinnerungen an die hervorragenden Leistungen und zwei Goldmedaillen bedeutete die Olympiade 1960 auch den zweiten Eintrag in die Geschichtsbücher für Hary, gleich neben den Eintrag zu seinem 100-Meter-Weltrekord, den nach ihm bis heute kein Europäer mehr innehatte.

Denn seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 bis zu den vergangenen Spielen 2012 konnte kein deutscher Sprinter über 100 Meter gewinnen – außer Armin Hary.

Hätte ein Reporter aus der Zukunft Hary 1960 nach seinem Einzelsieg erzählt, dass er nicht nur der erste, sondern für mindestens 55 Jahre der einzige Deutsche mit diesem Erfolg bleiben sollte, hätte er wohl Folgendes erwidert:

„Ich hätte dem gesagt, das wäre mir ein bisschen lang. Dass das für die Ewigkeit sein soll, darüber habe ich doch nicht nachgedacht."

Kerstin Börß in Leichtathletik – 4. Mai 2016 – Nr. 19

Armin Hary ROM 1960 auf youtube

Sternstunden der Leichtathletik – Armin Hary: Der endlos lange Sprint im TAGESSPIEGEL

Die OLYMPIA-HISTORIE: 

Eine Weltreise zu Bronze – Manfred Germar – Die Olympiaserie – Melbourne 1956 – Daniel Becker in Leichtathletik – Teil 1

author: GRR

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