Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Ohne DFB und DOSB: „Fakten“ statt „Lobby“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Olympische Winterspiele in China, Fußball-WM in Qatar: Der organisierte Sport ist Teil des Problems
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im deutschen Bundestag befragt Experten zum Thema Sport. Die wichtigsten Verbände sind nicht eingeladen. Sie sollen Teil des Problems sein.
Die öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe über „Sport und Menschenrechte“ an diesem Mittwoch ohne Beteiligung von Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) und Deutschem Fußball-Bund (DFB), der größten Sportorganisationen des Landes, ist auf Unverständnis auch im Hohen Haus gestoßen. „Wir sind uns innerhalb des Sportausschusses darüber einig, dass wir dies sehr kritisch sehen. Gerade bei einem derart wichtigen Thema müssen wir enger zusammenarbeiten“, sagt Fritz Güntzler, Obmann der Unionsfraktion im Sportausschuss des Deutschen Bundestages:
„Als Sportpolitiker fehlen mir wichtige sportpolitische Akteure auf der Sachverständigenliste dieser Anhörung.“
Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft in Qatar und den vergangenen Olympischen Winterspielen in Peking könne eine Anhörung zu diesem Thema nicht ohne DFB und DOSB stattfinden. Der Sportausschuss tagt gleichzeitig und beschäftigt sich mit der Spitzensportreform.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, die FDP-Abgeordnete Renata Alt, begründet die Abwesenheit der Verbände mit beschränkten Möglichkeiten. „Wie dies auch bei öffentlichen Anhörungen in der Vergangenheit der Fall war, konnten die jeweiligen Fraktionen lediglich eine begrenzte Anzahl von Sachverständigen einladen“, sagte sie. „Aus diesem Grund konnten wir bei unserer Auswahl nicht alle für das Thema relevanten Akteurinnen und Akteure berücksichtigen. Nichtsdestotrotz haben wir nach bestem Gewissen versucht, unterschiedliche Perspektiven, Vitae und Erfahrungen zu berücksichtigen, um eine differenzierte und lebhafte Diskussion zu ermöglichen.“
Wesentlich aggressiver argumentiert Michael Brand, der zuständige Sprecher der Fraktion von CDU und CSU. „In dieser besonderen Anhörung geht es um Menschenrechte im Sport, nicht um Sportorganisation. Deshalb haben wir nach gründlicher Analyse diejenigen Vertreter des Spitzensports eingeladen, die hier profiliert und inhaltlich stark sind“, erwidert er auf Anfrage. „Es geht bei der Anhörung ja um möglichst viel Fakten, nicht um möglichst viel Lobby.“
„Sie sind Teil des Problems“
Bei Betroffenen und Beobachtern gebe es viel Kritik an einer oft nur an Event und Profit orientierten Haltung der großen Sportlobbyverbände. Damit könnten sie für eine Anhörung des Bundestages zu Menschenrechten im Sport nicht erste Wahl sein. „Sie sind Teil des Problems, und bei der Anhörung geht es um mögliche Lösungen für die Zukunft“, sagt Brand. „In einer Ausschusssitzung in diesem Jahr hatten sie nur sehr ausweichend Stellung bezogen. Insofern ist es nur konsequent, den inhaltlichen Austausch mit anderen Spitzenorganisationen des Sports zu suchen.“ Brand bezieht sich auf eine Sitzung, zu der Thomas Weikert, der im Dezember zum DOSB-Präsidenten gewählte, international erfahrene Sportfunktionär, aus Peking während der Winterspiele zugeschaltet worden war.
Am Mittwoch sollen Fachleute zu der Rolle des Sports bei Großereignissen in Staaten zu Wort kommen, die immer wieder gegen Menschenrechte verstoßen. Dabei sollen die Erfahrungen während der Winterspiele in Peking und die Entwicklung in Qatar etwa mit Blick auf den Zusammenhang zwischen der Fußball-Weltmeisterschaft und tödlichen Unfällen auf den Stadion-Baustellen in den Mittelpunkt rücken. Der DOSB ist der Ansicht, dass er dazu hätte beitragen können.
Dennoch bemühte er sich am Dienstag um eine Deeskalation. „Wir begrüßen, dass sich der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwoch dem Sport widmet, denn auch das neue DOSB-Präsidium hat in einer seiner ersten Amtshandlungen am 18. März die Menschenrechte auf seine Agenda gesetzt und beschlossen, dass ein Konzept entwickelt wird, wie ein neuer Werte-Beirat künftig helfen kann, Werte in Haltung und konkretes Handeln umzusetzen“, sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester. „Dieser Beirat soll auch in der wichtigen Frage Menschenrechte Beratung und Orientierung geben.“ Das Thema müsse permanent auf die Tagesordnung mit dem Ziel, die Vergabekriterien flächendeckend zu verändern: „Gern hätten wir Position und Planungen des deutschen Sports auch im Ausschuss präsentiert. Wir sollten das bei nächster Gelegenheit nachholen.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 11. Mai 2022