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13
05
2015

Es waren dies die furchtbaren und doch freudigen Tage um den 9. April herum“: So schreibt der ehemalige Wiener Sprinter und Leichtathletik-Funktionär Bruno Niederecker auf der ersten Seite eines Tagebuches, in dem er persönliche Erinnerungen genauso wie aktuelle Zeitungsberichte aus den Jahren 1945-1947 widergibt. Seine auf 66 Seiten mit Maschine geschriebenen Einträge erlauben einen beeindruckenden Blick auf das Sportgeschehen in der Leichtathletik unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges. ©ÖLV-Archiv, 100 Jahre Leichtathletik

ÖLV – Kriegsende und Sportbeginn: Wie vor 70 Jahren unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Leichtathletik in Österreich wieder ins Laufen kam

By GRR 0

 „Es war im April 1945 als der fürchterliche Krieg seinem Ende zuging. Es war dies die Zeit, wo sich die Rote Armee Wien unmittelbar näherte und somit Österreich von Hitlerdeutschland befreite.

Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"

Es waren dies die furchtbaren und doch freudigen Tage um den 9. April herum“: So schreibt der ehemalige Wiener Sprinter und Leichtathletik-Funktionär Bruno Niederecker auf der ersten Seite eines Tagebuches, in dem er persönliche Erinnerungen genauso wie aktuelle Zeitungsberichte aus den Jahren 1945-1947 widergibt. Seine auf 66 Seiten mit Maschine geschriebenen Einträge erlauben einen beeindruckenden Blick auf das Sportgeschehen in der Leichtathletik unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Genauso wie in der Kultur die Wiener Philharmoniker und das Burgtheater mit Vorstellungen an die Öffentlichkeit traten, hat auch der Sport seinen Betrieb aufgenommen. „Es war also kaum ein Monat vergangen nach der Befreiung Österreichs, und schon ging man daran den Sport wieder aufzubauen. Es mutet komisch und heiter an, wenn man das hört, doch es war tatsächlich so“, notierte Niederecker.

Am 13. Mai 1945 fand die erste Leichtathletik-Veranstaltung nach Kriegsende in Wien fand statt, ein „Waldlauf rund um die Marswiese“, organisiert von Laufpionier Adolf Gruber.

Zugleich war es das vermutlich erste Sportereignis im neuen Österreich, an dem auch Frauen aktiv teilgenommen haben. Am 3. Juni ging der Staffellauf „Quer durch Wien“ in Szene, am 10. Juni am Cricket-Platz das erste Stadionmeeting.

 

Österreich vor 70 Jahren: Wie im Frühjahr 1945 unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Leichtathletik wieder ins Laufen kam und die bis heute zentralen Strukturen des österreichischen Sports geschaffen wurden.

„Wieder ein normales Leben"

Die „Schlacht um Wien" hatte zwei Wochen lang getobt und tiefe Traumen hinterlassen. 19.000 Soldaten der Wehrmacht und 18.000 Soldaten der Roten Armee waren in der ersten Aprilhälfte in Wien gestorben. Tausende Tote lagen in den Straßen. Viele öffentliche Gebäude und 175.000 Wohnungen waren beschädigt oder zerstört.

Aber zwischen den Trümmern zerstörter Häuser, offenen Bombentrichtern, Lebensmittelknappheit und körperlichen wie seelischen Verletzungen begannen „unwichtige" Dinge wie Musik, Theater und Sport ihre Aktivitäten zu entfalten. Genauso wie die Wiener Philharmoniker und das Burgtheater mit Vorstellungen an die Öffentlichkeit traten, hat auch der Sport seinen Betrieb aufgenommen. „Es war also kaum ein Monat vergangen nach der Befreiung Österreichs, und schon ging man daran den Sport wieder aufzubauen.

Es mutet komisch und heiter an, wenn man das hört, doch es war tatsächlich so", notierte Niederecker. „Man wollte einfach wieder ein normales Leben haben", erklärt dazu Helmut Hofmann. Der frühere Präsident des Wiener Leichtathletik-Verbandes hat von seinem Freund und Sportkollegen Niederecker noch vor dessen Tod in den 1980er Jahren das zitierte Tagebuch erhalten und kürzlich an den ÖLV weitergegeben.

Niedereckers Aufzeichnungen beschreiben, wie man schon im April 1945 mit Improvisation und Tatkraft daran ging, Strukturen und Veranstaltungen zu schaffen oder wieder aufzubauen. Dies geschah in Wien zu einer Zeit, als in anderen Teilen Österreichs der Krieg noch nicht zu Ende war. Sport war offenbar etwas, das viele Menschen trotz einer permanenten Extremsituation ausüben oder sehen wollten. Dazu gab es das aktive Bestreben der provisorischen Stadtverwaltung und der Armeeführung, auch symbolische Akte des Wiederaufbaus zu setzen und die Möglichkeit für Ablenkung, Unterhaltung und Aktivität zu schaffen. Kultur und Sport waren dabei wichtige Bereiche.

Wiedererrichtung des österreichischen Sports

Institutioneller Fokus war damals die „ZÖS", die „Zentralstelle für die Wiedererrichtung des österreichischen Sports", die von kommunistischen Sportfunktionären unmittelbar nach der Befreiung Österreichs ins Leben gerufen worden war. Die ZÖS unterstand zunächst Viktor Matejka, dem Wiener Stadtrat für Kultur und Sport, und wanderte im Juli 1945 in das „Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht, Erziehung und Kultus" unter KPÖ-Staatssekretär Ernst Fischer.

Die erste Sportveranstaltung im neuen Österreich fand am 29. April 1945 statt, zwei Tage nach Ausrufung der Zweiten Republik und der Unabhängigkeitserklärung des Landes.

Am bis heute bestehenden Helfort-Platz in Wien-Ottakring spielte Helfort gegen ein russisches Militärteam Fußball, danach eine zweite Mannschaft von Helfort gegen eine Mannschaft der Wiener Tschechen. Tags darauf wurde ein Aufruf namhafter Sportler aus den Bereichen Boxen, Schwimmen, Stemmen und Fußball veröffentlicht, gemeinsam am Wiederaufbau des österreichischen Sports mitzuarbeiten.

Am Sonntag, 6. Mai ging das erste „große" Spiel in Szene. Auf der Hohen Warte besiegte Vienna den Sportclub 3:2 vor 5000 Zuschauern. Der Fußball entwickelte sich rasant. Allein für das Pfingstwochenende am 20./21. Mai waren in Wien 26 Spiele angekündigt! An österreichweite Bewerbe oder Meisterschaften war damals auch in der Leichtathletik noch nicht zu denken. Zu groß waren die Einschränkungen für Reisen, durch die schlechte Infrastruktur und die Aufteilung des Landes in vier Besatzungszonen.

„Konnte es schon nicht mehr erwarten"

Am 11. Mai 1945 kam es zu einer ersten Sitzung aller Leichtathleten und Funktionäre in der ZÖS in einem Lokal in der Rathausstraße 9. „Ich ging damals mit Freuden hin, denn ich konnte es schon nicht mehr erwarten, dass „unser Sport" seinen Betrieb wieder aufnahm. Außerdem sei erwähnt, dass das Wetter so herrlich war, dass jeden Sportler das Herz weh tat, wenn er wusste, dass er „seinen Sport" bei solch einer günstigen Gelegenheit nicht ausüben konnte", schreibt Niederecker. „Es wurden damals alle Leichtathleten aufgefordert ihr Training so schnell als möglich wiederaufzunehmen und aktiv zu werden (…). Außerdem erging an alle die Bitte, die zumeist sehr schwer beschädigten Sportplätze wieder in Ordnung zu bringen."

Premiere mit „Dolfi" Grubers Waldlauf „Rund um die Marswiese"

Die erste Leichtathletik-Veranstaltung nach Kriegsende fand am 13. Mai statt, ein „Waldlauf rund um die Marswiese". Zugleich war es das vermutlich erste Sportereignis im neuen Österreich, an dem auch Frauen aktiv teilgenommen haben. Treibende Kraft hinter dieser Premiere war niemand anderer als Adolf „Dolfi" Gruber, damals 25 Jahre, später dreifacher Marathon-Olympiateilnehmer und Gründer des LCC Wien, der mittlerweile eine traurige Entwicklung genommen hat. „Kamerad Gruber von der Vienna, der sehr idealistisch ist, bemühte sich gleich nach der Besetzung Wien durch die Rote Armee, also bevor die ZÖS gegründet wurde, einen Waldlauf zu veranstalten", schreibt Niederecker. Gruber war so früh dran, dass er seinen Aufruf zur Teilnahme in der Zeitung „Neues Österreich" nicht veröffentlichen konnte, weil die entsprechende Genehmigung fehlte. Dennoch ging mit nachträglicher Billigung der ZÖS der Waldlauf über die Bühne.

Hier Auszüge aus dem Bericht der Zeitung „Neues Österreich" vom 16. Mai 1945:

„Es waren fast hundert Teilnehmer am Start, junge Mädchen und Burschen, aber auch von den alten Rennhasen war mancher aktiv beteiligt. Selbst Muschik erschien am Start, trotzdem er lange Zeit kein Training hatte und an einer Kriegsverletzung laborierte. Die Hernalser Jugend war sehr stark vertreten und holte sich die meisten Siege in der Einzel- sowie Mannschaftswertung. Die Nichtleichtathleten, Anfängerinnen und Jugend, zeigten sehr großes Interesse und es sind so manche talentierte Leute unter ihnen, die Vorbild für die weitere Entwicklung sein könnten. In der allgemeinen Klasse der Frauen über 1000 Meter sah man ein schönes Laufen von der Vienna Läuferin Gruber, die aber keine ebenbürtige Gegnerin hatte. Bei der allgemeinen Klasse für Männer über 5800 Meter kam es in der ersten Runde zu einem Zweikampf Muschik-Gruber, den Muschik in der zweiten Runde bereits für sich entschied und das Ziel mit einem Vorsprung von 400 Meter passierte."

Ferdinand Muschik (1914-2013), 26-facher österreichischer bzw. deutscher Meister auf Distanzen zwischen 3000 m Hindernis und 25 km Straßenlauf, siegte in 20:50,8 Minuten vor Adolf Gruber in 22:25,0. Maria Gruber, die Schwester des Organisators, war bei den Frauen in 3:48,3 Minuten mit großem Vorsprung an der Spitze.

Bombentreffer auf der Laufbahn, Pferde am Rasen

Die Stadionleichtathletik hatte nicht nur mit der allgemein schlechten Lage, sondern auch mit Zerstörungen der Sportanlagen zu kämpfen. Niederecker schildert anschaulich: „Der WAC-Platz war laut Aussagen anderer Leichtathleten der damals im besten Zustand sich befindliche Sportplatz, was auch größtenteils zutraf. Trotzdem sah es sehr wüst aus. Der Rasen, die Laufbahn und die Tribünen waren noch durch Bombentreffer beschädigt. Einen Teil der Barrieren hatte sich die Bevölkerung zum Einheizen nach Hause genommen. Weiters kam dazu, dass die Russen ihre Pferde auf dem Platz weiden ließen und diese die Laufbahn und den Rasen in einen entsprechenden Zustand versetzten. Die Garderoben waren geplündert u.s.w. Nicht vorhanden war Licht, Gas und Wasser. Es war also reichlich viel zu leisten um den Betrieb so schnell wie möglich in Schwung zu bringen."

ÖLV neu konstituiert

Für 18. Mai 1945 lud der von den Alliierten als Spartenführer eingesetzte Otto Czap zu einer Arbeitsausschuss-Sitzung des Leichtathletik-Verbandes in die ZÖS. Diesmal allerdings nicht mehr in der Rathausstraße, wo zu wenig Platz war, sondern in der Sportstelle der Bundesbahn. Unter Führung von Hermann Wraschtil, bereits von 1920 bis 1938 ÖLV-Präsident, kamen mehrere Sportler und Funktionäre zusammen. Am 1. Juni konstituierte sich der Österreichische Leichtathletik-Verband neu. Nach dem „Anschluss" Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 waren alle bestehenden Sportverbände in den „Reichsbund für Leibesübungen" eingegliedert worden.

Der Sport hatte eine große Aufwertung erfahren. Es war um die Demonstration deutscher Überlegenheit, Ideologievermittlung, Ablenkung, Kriegsvorbereitung und die scheinbare Aufrechterhaltung von Normalität auch während der Kriegsjahre gegangen. Unter den österreichischen Leichtathleten waren Nationalsozialisten wie SS-Sturmbannführer Felix Rinner und „Rasseprüfer" Alfred Proksch, genauso wie Europa-Jugendmeister Karl Mladek, der zum Tode verurteilt worden war, aber flüchten konnte und bis 1947 in russischer Gefangenschaft bleiben musste. Sportler sind im Krieg gestorben, waren verwundet oder gefangen. Unter neuen Bedingungen wurde im Frühjahr 1945 wieder gestartet.

Staffel-Lauf „Quer durch Wien"

Am 3. Juni 1945 startete der bereits zwischen 1919 und 1933 durchgeführte und damals mit bis zu 100 Teams sehr populäre Staffel-Lauf „Quer durch Wien". Eine 7,5 Kilometer lange Strecke wurde in zwölf Etappen mit Distanzen zwischen 300 und 1000 Meter geteilt. Am ersten Nachkriegs-Rennen nahmen sieben Mannschaften den Bewerb in Angriff. Die Originalstrecke vom Westbahnhof zum WAC-Platz im Prater konnte wegen Bombenschäden nicht verwendet werden. Gelaufen wurde nun vom Matteottiplatz in Ottakring bis zum Konzerthaus (Strecke Sandleitengasse, Thaliastraße, Gürtel, Burggasse, 2er-Linie, Konzerthaus).

Die Zeitung „Neues Österreich" schrieb am 9. Juni 1945 darüber:

„Das Laufen „Quer durch Wien" hat seine Werbewirkung vollauf erreicht. Auf der ganzen Strecke sammelten sich große Massen Neugieriger an, und besonders beim Konzerthaus, dem Zielpunkt, erwartete eine ansehnliche Menschenmenge das Eintreffen der Mannschaften. Die Beteiligung war natürlich nicht so stark wie früher einmal, es starteten aber genügend Mannschaften, den Kampf spannend und teilweise auch abwechslungsreich zu gestalten. Vom Start wegen zogen die Cricketer, Rapid und WAC den anderen davon, und nach der zweiten Ablöse führten die Cricketer überlegen vor Rapid. Auf der Etappe Burggasse – 2er-Linie gelang es Muschik (Rapid) etwa 50 Meter aufzuholen und knapp an den führenden Cricketer-Mann heranzukommen. Schließlich eroberte aber dann doch Beck den Cricketern einen für den Sieg ausreichenden Vorsprung."

Das Ergebnis: Cricket siegte in 19:57,5 Minuten vor Rapid (20:13,5) und WAC (21:13,4). Die Ränge 4 bis 7 holten Post-Vienna (21:39,8), Eisenbahner SC (22:14,6), Polizei I (22:30,0) und Polizei II (23:24,3).

Das erste Stadionmeeting: „Noch einigermaßen kriegsmäßiger Zustand"

Eine Woche danach, am Sonntag, 10 Juni, ging das erste Stadionmeeting in Szene. Um 9 Uhr wurde bei leichtem Regen am Cricketplatz die Veranstaltung mit einem 800-m-Lauf eröffnet. Die geplanten Sprints über 200 Meter wurden auf 100 Meter verkürzt, da man, so Niederecker, „die Bahnvorgaben nicht genau wusste und so das Rennen vielleicht unfair werden könnte."

Dazu wurden 5000 Meter, Weitsprung und die „Olympische Staffel" mit den Teilstrecken 800 m, 200 m, 200 m und 400 m ausgetragen. Als Frauenbewerbe gab es 100 Meter, Weitsprung, Kugelstoß und Diskuswurf.

„Neues Österreich" berichtete am 13. Juni 1945: „Starke Beteiligung, einige spannende Kämpfe, ein paar gute Leistungen trotz des noch einigermaßen kriegsmäßigen Zustandes der Laufbahn auf dem Cricketer Platz, einiges Zuschauerinteresse, das genügte wohl für die erste Bahnveranstaltung unserer Leichtathleten. Besonders die Frauen haben sich ausgezeichnet gehalten. So wurde der schärfste Kampf im 100-Meter-Lauf der Frauen geliefert, in dem die drei Ersten die gleiche Zeit erreichten und nur durch kaum merkliche Abstände voneinander getrennt waren. In der Olympischen Staffel der Männer lief Beck ein ausgezeichnetes Rennen, das seiner Mannschaft, den Cricketern, noch zum Sieg verhalf, trotzdem er einen Vorsprung des Gegners von 50 Metern aufholen musste."

Erste Auslandsstarts und Pausenfüller

Am 29. Juni 1945 fand das erste Meeting am wieder hergestellten WAC-Platz statt. Im Juli wurden die Hochschulmeister gekürt, und bereits im August gab es die ersten Auslandsstarts von Leichtathleten. „Für den 15. bis 18. 8. war in Budapest eine „Internationale Sportwoche" angesetzt, an welcher viele Balkanstaaten teilnahmen, zu der auch Österreich eingeladen und durch eine Mannschaft der Polizei vertreten wurde", schreibt Niederecker mit Bezug auf die Leichtathletik. Ungarn hatte als erstes Land die Isolation des österreichischen Sports durchbrochen und Mitte August auch das Fußballnationalteam für ein Spiel nach Budapest eingeladen, ebenso ein österreichisches Radteam.

Am 16. September wurden am WAC-Platz Staffelläufe in der Pause eines Fußballspiels durchgeführt. Niederecker zeigte sich davon wenig begeistert: „Der Sinn dieser Läufe sollte ein werbender sein. Ob dieser damit erreicht wurde ist nicht gut festzustellen, doch wurde damit erneut bewiesen, dass Leichtathletik und Fußball nicht vereint werden können, da ja bekanntlich ein Fußballpublikum wenig, ja fast gar kein Interesse für die Leichtathletik hat und man also sagen kann, dass der Erfolg wahrscheinlich gleich Null war."

Wiener Meisterschaften: „Ein guter Anfang ist gemacht"

Markantes Zeichen für die Rückkehr der Normalität war die erste Austragung der Wiener Meisterschaften am 22. und 23. September 1945. Niederecker bezeichnete sie als „Höhepunkt der Saison". Weder die Leistungen noch die Beteiligung war mit den Vorkriegszeiten vergleichbar, dennoch war allein die Durchführung ein großer Erfolg. Die „Weltpresse" vom 24. September 1945 berichtete:

„Die Wiener Leichtathletikmeisterschaften brachten keine Rekorde oder rekordähnliche Ergebnisse, obwohl in manchen Disziplinen Teilnehmer von internationaler Klasse starteten. Erfreulich war dessen ungeachtet eine gute Organisation und die bemerkenswerte Zahl von 190 Teilnehmern. Ein guter Anfang in der österreichischen Leichtathletik ist jedenfalls gemacht."

Das Monatsmagazin „Sportunion" schrieb in der Dezember-Ausgabe 1945 dazu: „Aus den Leistungen ragte nur die Zeit Muschiks über 10.000 m in 33:18 heraus. Auf die messbaren Leistungen kam es bei den ersten Meisterschaften im wiedererstandenen Österreich weniger an, entscheidend war, dass nach Überwindung mancher Schwierigkeiten die Meisterschaften überhaupt stattfinden konnten und der sportlichen Jugend Vorbilder vor Augen geführt werden konnten."

25 km Straßenlauf und erster Länderkampf

Mehrere Laufveranstaltungen wurden im Herbst 1945 noch durchgeführt: darunter ein 25 km Straßenlauf Heiligenstadt – Kritzendorf – Heiligenstadt, den Ferdinand Muschik in Streckenrekordzeit von 1:28:29 Stunden gewann, ein Lauf „Rund um das Heustadlwasser" im Prater, „Quer durch Mödling", ein Waldlauf auf der Heiligenstädterlände und „Rund um die Marswiese".

Am 14. Oktober fand der erste offizielle Länderkampf statt. Ein österreichisches Frauenteam verlor in Budapest gegen Ungarn nur knapp mit 40:42 Punkten. Erfolgreichste Teilnehmerin war Elfriede Steurer, später Olympiateilnehmerin 1948 in London und 1952 in Helsinki, die beim Länderkampf über 80 m Hürden und über 100 Meter siegte. Sie erinnert sich allgemein an diese Zeit: „Wir waren eine arme Mannschaft, ausgehungert. Zu den internationalen Meetings bin ich wegen des Essens gefahren. Dort gab es meistens eine bessere Versorgung als zu Hause."

Dachverbände setzen sich durch

Im Bereich der Institutionen wurden 1945 bereits entscheidende Weichenstellungen getroffen, die bis heute die Organisation des österreichischen Sports prägen. Im Mai 1945 rief die SPÖ den ASKÖ (damals: Arbeiterbund für Sport und Körperkultur) wieder ins Leben, der bereit in der Ersten Republik existiert hatte. Die ÖVP schuf ab Juni 1945 mit der „Turn- und Sportunion" eine neue Struktur. Zwar war bei der Neuordnung des Sports oft von der Einigkeit und dem Willen zur Überbrückung sportpolitischer Gegensätze die Rede, in der Praxis versuchten ASKÖ und Union jedoch entschieden, jede sportliche Organisationsgründung außerhalb dieser beiden Lager zu verhindern.

„Das koalitionäre Proporzsystem hatte sich im Sport schon im Frühsommer 1945 etabliert, als es in der allgemeinen Politik noch Gegenstand von Verhandlungen gewesen war", schreibt Matthias Marschik in seiner Studie „Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sports zum Nationsbewusstsein in Österreich (1945-1950)". Die zunächst einflussreiche ZÖS stellte schon im November 1945 ihre Tätigkeit ein, weil sie stark unter kommunistischem Einfluss stand und vom ASKÖ de facto abgelehnt wurde. Auch der im Jänner 1946 nachfolgende „Hauptverband für Körpersport" als zentrale Stelle aller Sportfachverbände, der sich um Amateur- und Profisport kümmern wollte, erlangte keinen großen Einfluss.

1949 wurde mit dem ASVÖ ein dritter Sportverband gegründet als Vertretung für Vereine, die aus welchen Gründen auch immer sich nicht den bestehenden politisch orientierten Dachverbänden anschließen wollten. Marschik resümiert mit Blick ins nahe Ausland: „Im Nachkriegs-Deutschland hatte sich (…) eindeutig das Fachverbands-Prinzip durchgesetzt. In Österreich dagegen hatten sich die parteinahen Sportorganisationen die Macht über den Sport, insbesondere über die Vergabe der finanziellen Mittel, gesichert."

Österreich-Bewusstsein durch Sporterfolge

Die Begeisterung für den Sport – aktiv wie passiv – entwickelte sich in der Zeit unmittelbar nach 1945 enorm. Es gab wenig andere Freizeitvergnügungen. Vereine und Veranstaltungen erreichten großes Publikum. Beispielsweise brachte die Schlussetappe des Radrennens „Quer durch Österreich" im Juni 1947 in Wien nach Schätzungen der Polizei 150.000 bis 180.000 Zuschauer auf die Beine. Der Sport in der Nachkriegszeit wurde auch in den Dienst der Schaffung eines Österreich-Bewusstseins gestellt.

Der Glaube an die Lebensfähigkeit und Eigenständigkeit des Landes war noch nicht stark ausgeprägt. Das Land brauchte Gemeinsamkeiten, Erfolge und Symbole. Besonders markant war das Jahr 1948, in dem Österreich anders als Deutschland wieder bei Olympischen Spielen startberechtigt war.

Die Goldmedaillen von Trude Jochum-Beiser in der Alpinen Kombination und von Herma Bauma im Speerwurf kamen einer Injektion von Selbstbewusstsein für das junge Österreich gleich.

Informationen & Quellen:

Tagebuch Bruno Niederecker: HIER KLICKEN!
Bruno Niederecker war bis in die 1950er-Jahre aktiver Sprinter, später Sektionsleiter des WAC und Gründungsmitglied des ULC Wildschek.

Norbert Adam: Leichtathletik. Die Königin des Sports. 100 Jahre Österreichischer Leichtathletik-Verband. Wien 2002.

Matthias Marschik: Frei spielen. Sporterzählungen über Nationalsozialismus und „Befreiungszeit". LIT Verlag, Wien 2014.

Matthias Marschik: Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationsbewußtsein in Österreich (1945-1950). 493 S., Verlag Turia + Kant, Wien 1999.

Manfred Mugrauer: Die Sportpolitik der KPÖ. In: mitbestimmung – zeitschrift für demokratisierung der arbeitswelt. Nr. 1/2001, S. 7-12.

Bilder: ÖLV-Archiv, 100 Jahre Leichtathletik

Vielen Dank an Dr. Helmut Hofmann für die Übermittlung des Tagebuchs von Bruno Niederecker!

Der ÖLV ist an Quellen und Informationen aus der Geschichte der österreichischen Leichtathletik sehr interessiert.

Falls Sie Material kennen, das interessant sein könnte, oder selbst etwas zur Verfügung stellen können (Bilder, Berichte, Dokumente …), würden wir uns sehr freuen!

Andreas Maier – ÖLV  – 12. Mai 2015

Themengleich:

Der DOSB Kommentar – 8. Mai 1945 – Befreiung des Vereinssports? Prof. Hans-Jürgen Schulke

Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT: 

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author: GRR

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