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24
01
2012

"Tränenpalast"=Teil der ehemaligen innerdeutschen Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstrasse in Berlin; später Veranstaltungshalle für Konzerte, Partys usw. ... Neue Ausstellung zum „Alltag der deutschen Teilung“ in Berlin - Auf der Suche nach Spuren zum Sport im „Tränenpalast“ ©Wikipedia - Sir James

Neue Ausstellung zum „Alltag der deutschen Teilung“ in Berlin – Auf der Suche nach Spuren zum Sport im „Tränenpalast“ … Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor

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Es gibt vermutlich keinen anderen Ort in Deutschland, wo der „Alltag der deutschen Teilung“ so „grenzwertig“ erfahren werden konnte, wie die Abfertigungshalle am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Der einst im Jahre 1962 vom SED-Regime errichtete Pavillon aus Stahl und Glas erhielt bald im Berliner Volksmund hüben wie drüben den Namen „Tränenpalast“, weil sich in diesem tristen Gebäude jeden Tag aufs Neue bewegende Szenen von Abschied und Sehnsucht, von Hoffnung und Traurigkeit, eben von Heimreisen-können und Da-bleiben-müssen abspielten.

Jetzt hat die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Tränenpalast (Reichstagufer 17) eine äußerst sehenswerte (Dauer-)Ausstellung an und mit Originalschauplätzen installiert: „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“ lautet ihr wegweisender Titel.

Wer sich für einen Rundgang durch diese ehemalige Abfertigungshalle für die „Ausreise aus der DDR nach Westberlin“ ein bisschen (mehr) Zeit nimmt, der wird sogar beiläufig fündig mit verstreuten Spuren zum Sport. Diese Spuren können einerseits verdeutlichen, wie die vielfältigen Formen der „Körperkultur“ im Alltag der Menschen verankert waren, sie zeigen auf der anderen Seite aber auch eindrucksvoll, wie sehr sich der Sport damals auf dem politischen Spielfeld zwischen Ost und West bewegte. Doch erstmal der Reihe nach:

Auf dem langen Gepäckablagetresen im Eingangsbereich der Halle nach dem Treppenabgang liegen nebeneinander über 20 alte Koffer (keine Sportta-schen!), von denen die meisten geschlossen, aber auch einige geöffnet sind, so dass der geneigte Besucher diese inspizieren und die „Ausreisegeschichte“ des Besitzers bzw. der Besitzerin auf einer kleinen an der Kofferinnenseite befestigten Tafel nachlesen kann: Christiane Brinck aus Schwerin weilt als 15-jähige Schülerin im August 1959 zu einem Hockey-Trainingslager in Ost-berlin und nutzt diesen zur (familiär vorbereiteten) Flucht in den Westen. Drei ihr lieb gewonnene persönliche Gegenstände nimmt sie im Koffer mit: einen Dessertteller mit Tiermotiv, ein Englischbuch aus der Schule und die Urkunde Nr. 40825 des DDR-Sportabzeichens für die Jugend B, offiziell „verliehen vom Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport am 18.12.1957“. Da sei am Rande die Frage gestattet: Ob Christiane Brinck das Sportabzeichen später im Westen (mit der Unterschrift von DSB-Präsident Willi Daume) hat umschreiben lassen dürfen?

Im November 1976 befindet sich der Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann auf Konzertreise in der Bundesrepublik. Die DDR-Behörden hatten ihm eine Reisegenehmigung in den Westen erteilt. Das Konzert in der legendären, weil im Jahre 1999 gesprengten Kölner Sporthalle (!) dient dem DDR-Politbüro als willkommener Vorwand, um Biermann drei Tage später aus der DDR „wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten“ auszubürgern.

Diese Begebenheit ist ebenfalls in der Ausstellung in Wort und Bild dokumentiert. Dazu passt dann die nachgestellte Produktpalette aus dem Intershops (u. a. mit Zigaretten), die plakativ flankiert wird durch die Titelseite der Bild-Zeitung vom 16. Juli 1962 (Preis: 15 Pfennig), wo unten rechts in einem Artikel über die Flucht des Olympia-Ruderers Hans-Joachim Neuling (24) aus Leipzig berichtet wird, der den vierten Platz im Zweier ohne Steuermann für die DDR bei den Olympischen Spielen in Rom belegt hatte und jetzt einen Tag vor Einzug in die Nationale Volksarmee „aus der Sowjetzone“ (erfolgreich) nach Hannover geflüchtet ist.

Was westdeutsche Besucher bei der Einreise in die DDR bzw. nach Ostberlin mitnehmen bzw. hinterher bei der Auseise (nicht) bei sich haben durften, das war damals klipp und klar geregelt. So war es beispielsweise strengstens untersagt, westdeutsche Zeitungen und Magazine mit nach drüben zu transportieren. Aufmerksame Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR waren im Tränenpalast stets zur Kontrolle im Einsatz – mehr noch: Sie führten sogar peinlich genau sog. „Strichlisten zur Übernahme von Druckerzeugnissen“, die sie (für wen wohl?) beschlagnahmen konnten.

Am 9. Dezember 1988 – das ist auf einer solchen Aufstellung in der Ausstellung fein säuberlich mit handschriftlichem Eintrag nachzulesen – wurden neben Spiegel, Playboy und Capital etc. auch einzelne Exemplare von Auto-Motor-Sport, ADAC-Motorwelt, Boote und Yachten von den „Staatsgästen“ bei der Einreise in die DDR eingezogen.

Die neue Ausstellung im Berliner Tränenpalast, der nach der Wende zwischenzeitlich auch als Konzert- und Showbühne genutzt wurde, ist bis auf weiteres von Dienstag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr und an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr zu sehen (Montag geschlossen!).

Der Eintritt ist frei; Besuchergruppen können sich unter Tel. 030/4677779-11 oder per E-Mail besucherdienst-berlin@hdg.de anmelden.

Mehr auch im Internet unter: www.hdg.de.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann  – Sportwissenschaftler an der Leibniz Universität Hannover

author: GRR

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