Werbeplakat für die Olympischen Spiele in Berlin, Entwurf: Franz Würbel, 1936, ©Stiftung Deutsches Historisches Museum
Neue Ausstellung im DHM: „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938“ – „Ausgrenzung im Schatten der Olympischen Spiele“ als Thema – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor
Noch bis zum 10. November 2013 ist im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin die Ausstellung „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938“ zu sehen, die an den 80. Jahrestag der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und an den 75. Jahrestag der Novemberpogrome erinnert und mahnt.
Die bemerkenswerte Ausstellung ist in das gleichnamige Berliner Themenjahr 2013 einge-bunden, mit dem die Hauptstadt in mehr als 40 stadtweiten Projekten für demokratische Werte und Leistungen wie Modernität, Offenheit und Toleranz wirbt.
Wer sich der u. a. von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin geförderten Ausstellung im Erdgeschoss des Pei-Baus nähert, wird gleich im Eingangsbereich mit stummen, aber bewegten und immer wiederkehrenden Bildern auf einer Leinwand empfangen. Die Szene zeigt das Überqueren einer Straßenseite von Passanten im dichten Autoverkehr als (vielfältige) motorische Herausforderung.
Beim Durchgang auf der rund 400 Quadratmeterfläche findet man dann ganz hinten rechts unter den 250 Objekten mit 40 weiteren Präsentationen auch die vielfältigen Projektionen zu „Ausgrenzung im Schatten der Olympischen Spiele“ als eines von insgesamt elf Themenfeldern, die bei „Berlin im Nationalsozialismus“ beginnen und über „Flucht, Exil, Emigration“ etc. in „Krieg im Museum. Museum im Krieg“ in völliger Zerstörung enden.
Einmal mehr dokumentieren selten gezeigte Bilder und teilweise private Objekte die Instrumen-talisierungsthese: Das Nazi-Regime sah in der Durchführung der Olympischen Spiele in Berlin, die „vielfältige“ Chance, den Aktiven und Gästen ein weltoffenes und friedfertiges Deutschland zu präsentieren. Alles war bestens vorbereitet, die Nationalsozialisten wollten einen reibungslosen Ablauf garantieren und einen möglichst positiven Eindruck in aller Welt hinterlassen.
Oberflächlich betrachtet steht dafür beispielsweise das Foto mit dem siebenköpfigen Filmteam „Fox’ Tönende Wochenschau“ mit Ausrüstungsgegenständen und Tonwagen, geschickt positioniert direkt vor dem Haupteingang zum Olympia-Stadion (sic!), aber auch ein Zeitungsfoto mit einem Berliner „Hairdresser“ im weißen Arbeitskittel und der Unterzeile: „Olympiagäste sollen Bescheid wissen: Ein Frisör hat sich auf Englisch umgestellt“.
Davor liegt in einer Vitrine das private Fotoalbum eines Olympia-Besuchers – aufgeblättert sind Fotografien, die die große Anzeigentafel im Stadion zeigen, wonach gerade die Entscheidung im Kugelstoßen der Männer läuft, bei der ein „Woellke D“ mit 16,20 m führt. Was man dazu noch wissen muss, weil davon nichts im Album steht: Es war der 5. Versuch von Hans Otto Woellke. Dies sollte seine Siegerweite werden.
Der Sieg bedeutete gleichzeitig die erste deutsche Goldmedaille bei den leichtathletischen Wettbewerben der Männer. Woellke startete damals für den Polizei SV Berlin und wurde für den Olympiasieg vom Revieroberwachtmeister zum Polizeileutnant befördert – eine wahrlich „vielfältige Gewinnausschüttung“.
Die Vitrine enthält ferner neben einer kleinen Fahne mit den Olympischen Ringen (in Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot) auch eine kleine Drehscheibe aus Pappe etwa in der Größe eines Bierdeckels, auf der das Programm der kompletten Spiele verzeichnet ist, und zwar einschließlich aller 14 Sportstätten außerhalb des Olympia-Stadions (u.a. mit der Kieler Förde, der Regattastrecke in Berlin-Grünau und der längst abgerissenen Deutschland-Halle an der Avus-Autobahn, wo das Ringen, Gewichtheben und Boxen stattfanden).
Die Ausstellung besticht insgesamt durch die „Vielfalt“ ihrer Bilder und die innewohnenden Botschaften – die Olympischen Spiele eingeschlossen: Das Werbeplakat der „Reichsbahn-zentrale für den Deutschen Reiseverkehr“ (nach einem Entwurf von Franz Würbel) will die Gäste im Zeichen der olympischen Ringe in Berlin „artig“ willkommen heißen – wäre da nicht die kritische Schrift „Olympiade in Berlin?“ (Editions Universelles, Paris).
Auf dem Titelbild erkennen wir ein Hakenkreuz mitten durch die Olympischen Ringe auf der Brust des Trikots eines Athleten, der im Hintergrund dunkel kontrastiert wird von einem Furcht erregenden Soldaten, der sich bereits im kriegerischen Einsatz befindet … Die Sondernummer der Arbeiter Illustrierten Zeitung fragt passend dazu nach dem Zweck „vons Jantze“ fragt und schreibt als Antwort: „Olympiagäste im Gleichschritt – Marsch!“
Nach Beendigung der Spiele wurde folgerichtig die Wehrpflicht auf zwei Jahre verlängert, und die Infanterieschule der Wehrmacht zog in das Olympische Dorf ein – eine „Vielfalt der Nutzung“ kann auch anders aussehen!
Abseits des Themenfeldes Olympia 1936 gibt es auch noch anderswo in der Ausstellung einige Spuren der zerstörten Vielfalt im Berlin der 1930er Jahre, was den Sport angeht – egal ob man dabei auf die in Kopie abgedruckten Titelseiten von Berliner Tageszeitungen schaut („Übersicht über die KdF-Skigebiete des kommenden Winters“) oder sich die beiden Litfass-Säulen näher ansieht, die in einer Art Kalendarium wichtige (eben auch sportbezogene) Ereignisse nennen, die zur Chronologie der zerstörten Vielfalt gehören.
Am 13. Mai 1931 hatte das Internationale Olympische Komitee die Spiele nach Berlin vergeben. Am 29. November 1935 wird in Anwesenheit von Hitler die Deutschland-Halle mit einem Fassungsvermögen von 16.000 Personen eingeweiht. Am 1. August 1936 werden die Spiele vor 100.000 Menschen im Olympiastadion eröffnet. Zwei Wochen vor den Spielen deportierten die Nazis mehr als 600 Sinti und Roma in ein Lager nach Berlin-Marzahn.
Und: Drei Monate nach den Spielen ist das Reichsluftfahrtministerium an der Leipziger Straße fertig gestellt.
Die Ausstellung „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938“ ist seit dem 31. Januar 2013 und noch bis zum 10. November täglich von 10 bis 18 Uhr im DHZ, Unter den Linden 2 in Berlin-Mitte zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Weitere Informationen auch zu zahlreichen Begleitveranstaltungen im Internet unter www.dhm.de.
Im Laufe des Jahres kommt es auch zu Aufführungen der über 120 stadtweiten Projekte zum Themenjahr sowie zu gesonderten Stadtmarkierungen an historischen Orten, darunter die „Inszenierte Vielfalt“ im Olympiastadion und die Eröffnung des ersten Teilstücks einer „Fußball Route Berlin“ als Dauerausstellung im öffentlichen Raum zur Fußball- und Sportgeschichte Berlins.
Quelle: DOSB – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann