Der Staat Israel, der DOSB und das NOK Israels gemeinsam sowie das IOC (von links) legten am Mittwoch zusammen mit dem Freistaat Bayern und der Stadt München an der Connollystraße 31 Kränze nieder. ©DOSB
MÜNCHEN 1972 -2012 – Erinnerung an die Opfer, Botschaft der Toleranz und des Dialogs
Mit einer bewegenden Feier haben Angehörige, Überlebende und Vertreter aus Sport, Politik und Religionsgemeinschaften am Mittwoch in München und Fürstenfeldbruck der Opfer des Terroranschlags bei Olympia 72 gedacht.
Auf den Tag genau vierzig Jahre nach dem Attentat palästinensischer Terroristen, bei dem elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist ums Leben kamen, wurde bei der Veranstaltung mit rund 600 Gästen auf dem ehemaligen Fürstenfeldbrucker Militärflughafen nicht nur die Notwendigkeit beschworen, die Erinnerung an diesen Gewaltakt und an die Opfer zu bewahren, sondern auch die Ereignisse aufzuarbeiten. Zugleich solle von dieser Feier eine Botschaft der Toleranz und des Dialogs ausgehen. Genau an diesem Ort endete vor vierzig Jahren das Drama, als eine geplante Befreiungsaktion der Polizei scheiterte. Zwei Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft waren zuvor im Olympischen Dorf ermordet worden.
Kranzniederlegung im Olympischen Dorf
Am Haus in der Connollystraße 31, dem Ort des Überfalls, hatten DOSB-Präsident und Olympiasieger im Fechten, Thomas Bach, das IOC-Mitglied für Israel, Alex Gilady, der israelische NOK-Präsident Zvi Varshaviak, die Doppel-Olympiasiegerin im Turnen, Karin Büttner-Janz und Speerwurf-Olympiasieger Klaus Wolfermann mittags an der Gedenktafel Kränze niedergelegt. Auch der Vizepräsident des Staates Israel, Silvan Shalom, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, der Staatsminister für Unterricht und Kultus des Freistaates Bayern, Ludwig Spaenle, und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude gehörten zu den Trauergästen.
Angehörige von zehn israelischen Opferfamilien sowie sieben Überlebende des Terroranschlags nahmen erstmals an einer Gedenkveranstaltung in München teil, der dann am Nachmittag die Gedenkfeier unter freiem Himmel auf dem früheren Flugfeld in Fürstenfeldbruck folgte. Tags zuvor hatte die Gruppe um Ankie Spitzer, Witwe des getöteten Fecht-Trainers Andre Spitzer, und Shmuel Lalkin, der 1972 Chef de Mission der Mannschaft aus Israel war, das Gelände in Ruhe besichtigen und Steine vor dem dort aufgestellten Mahnmal niederlegen können.
In Fürstenfeldbruck sprachen auch der bayerische Ministerpräsident und Bundesratspräsident Horst Seehofer sowie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vom Schrecken, dem Schmerz und der Trauer, die vier Jahrzehnte nach dem Terrorakt noch immer andauerten, erinnerten aber zugleich an die gewachsenen deutsch-israelischen Gemeinsamkeiten.
Gedenkraum in München geplant
Seehofer kündigte an, dass in München ein Gedenkraum geschaffen werde, der dauerhaft an den Gewaltakt von 1972 erinnern solle. Das Konzept würden Land, Stadt, die jüdische Kulturgemeinde und der DOSB gemeinsam erarbeiten. "Wir können die Wunden nicht heilen", sagte Seehofer. "Aber wir können versuchen, den Schmerz zu lindern."
Die Journalistin Spitzer nahm in ihrer Rede die deutsche Politik bei der Aufarbeitung der Geschehnisse von 1972 abermals in die Pflicht. Sie wiederholte ihre Kritik am "katastrophalen Rettungsversuch" am Fliegerhorst und an "Unvermögen, Dummheit und Arroganz" der damals Verantwortlichen. Und sie forderte die deutschen Behörden auf, alle Dokumente einsehbar zu machen, um erneut eine Diskussion über die Fehlschläge beginnen zu können. "Wir haben ein Recht zu wissen, welche Kugeln unsere Lieben getötet haben und wer dafür verantwortlich war", sagte sie. "Vorher kann die Akte München nicht geschlossen werden".
Ankie Spitzer sprach in Fürstenfeldbruck "in tiefer Trauer und mit schwerem Herzen", wie sie sagte. Aber sie wolle niemals aufhören, über das Massaker zu sprechen. "Deutschland und München werden immer verknüpft sein mit diesem düstersten Tag", sagte sie und nannte es "bitter", dass das IOC es in London bei der Eröffnungsfeier nicht für angebracht gehalten habe, der Opfer zu gedenken. "Sie waren keine Touristen, sie waren Mitglieder der olympischen Familie, sie wurden ermordet", sagte sie.
Kritik an IOC und den Verantwortlichen von 1972
Viel zu spät geöffnete Akten hätten die schweren Fehler von Politik und Sicherheitskräften von damals aufgedeckt, das sei unbestritten, räumte Münchens Oberbürgermeister Ude ein. Aber die ungeheure Fallhöhe von den heiteren Spielen zu diesem Akt der Terrorgewalt habe sich auch durch das Bemühen ergeben, sich in München unbedingt anders darzustellen als bei den Spielen 1936 in Berlin. Aber selbst Unzulänglichkeiten und Versäumnisse änderten nichts an der Alleinschuld der Täter.
Auch Ude zeigte Unverständnis, dass das IOC in London eine Schweigeminute für die Opfer von 1972 abgelehnt habe. "Wenn man dies einen Angriff auf die olympische Idee nennt, dann ist es nicht zu begreifen, warum die olympische Familie der Opfer nicht so gedenkt", sagte er.
Aber zugleich widersprach er ausdrücklich der Kritik Dieter Graumanns, des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dieser hatte zuvor in seiner Rede in Fürstenfeldbruck die Reaktion der Sportfunktionäre, auch die des damaligen Präsidenten des NOK für Deutschland, Willi Daume, "kalt und herzlos" genannt. Die "Kälte des IOC" setze sich bis heute fort. Insbesondere der damalige IOC-Präsident Avery Brundage, der mit den Worten "The games must go on" die Fortsetzung der Spiele verkündete, habe sich, so Graumann, schon bei den Spielen 1936 "durch ekelhaft judenfeindliche Äußerungen hervorgetan". Die Fortsetzung der Spiele 1972 habe gezeigt, dass "das bloße Spiel nun einmal wichtiger war als das Leben von Juden".
Hier bestehe Diskussionsbedarf, antwortete Ude. Er nahm den 1996 gestorbenen Daume in Schutz, plädierte für Fairness im Umgang mit den damals Verantwortlichen und erzählte von einem "sehr beeindruckenden Gespräch" mit einem Überlebenden des Attentates. Dieser sei gefragt worden, wie er diesen Satz von Brundage empfunden habe. Die Spiele fortzusetzen sei selbstverständlich richtig gewesen, habe der Israeli geantwortet – "die einzig mögliche Reaktion, mit dem Terror begegnet werden konnte".
Appell an die Vernunft
Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sprach von einem "Schandfleck auf der olympischen Weste", doch umso mehr freue sie sich "über das Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein unserer deutschen Funktionsträger". Der international agierende Terrorismus richte sich gegen die gesamte aufgeklärte, zivilisierte Weltgemeinschaft, sagte sie. "Menschliche Stärke bedeutet die Fähigkeit zu Umkehr, zu Erkenntnis – Wahn mit Vernunft zu beantworten. Das ist unsere Pflicht – auch im Namen und im Gedenken an die Opfer des 5. September 1972."
DOSB-Präsident Thomas Bach und Israels NOK-Chef Varshaviak traten gemeinsam vor die Gäste der Gedenkfeier. Der Angriff auf die israelische Olympia-Mannschaft habe die gesamte weltweite olympische Bewegung und ihre Werte des Respekts, der Toleranz, des Friedens und der Freundschaft tief getroffen, sagte Bach. Das IOC habe seinerzeit dennoch nicht resigniert und mit der Fortführung der Spiele nach einem bewegenden Tag der gemeinsamen Trauer ein entschlossenes Zeichen im Kampf gegen Terrorismus gesetzt. Er sei als DOSB-Präsident zutiefst dankbar, dass die olympische Bewegung in Israel dem deutschen Sport trotz der Verbrechen der Shoah und trotz der Tragödie von München und Fürstenfeldbruck die Hand zur Versöhnung gereicht habe, sagte Bach und sprach die vielfältigen Austauschprogramme der Sportjugenden und gemeinsamen Projekte und Begegnungen im Sport an, die dazu beitragen sollten, "dass die Erinnerung die Wiederholung der Geschichte verhindern. Deshalb werden wir nie vergessen".
Zeichen der Ermutigung
Dass er dieses Gedenken an diesem Tag gemeinsam mit seinem israelischen NOK-Kollegen Varshaviak begehen dürfe, erfülle ihn mit Rührung und Dankbarkeit, ergänzte Bach. "Dies sollte aber auch ein Zeichen der Ermutigung für alle sein, die Erinnerung an die Toten zu verbinden mit der Botschaft der Toleranz, des Dialogs, des Respekts und des Friedens unter den Lebenden."
"Nun ist Zeit, hier und jetzt, dass sich die Olympische Bewegung für die Erinnerung und für das Gedenken einsetzt, um das Vermächtnis zu prägen", sagte Varshaviak. "Es ist unser aller Verpflichtung, zu erinnern und nicht zu vergessen. Denn eine Bewegung, die ihre Vergangenheit verleugnet, ist verdammt, in Finsternis zu existieren."
Quelle: DOSB