Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Mögliche Dopingvergangenheit: Ullrich lässt Amt im NADA-Aufsichtsrat ruhen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Nach einem F.A.Z.-Bericht zu DDR-Dokumenten, die den Doping-Plan für den heutigen Sportausschussvorsitzenden des Bundestages zeigen, zieht Frank Ullrich Konsequenzen. Er selbst aber halte die Kritik für nicht zutreffend.
Frank Ullrich will sein Amt bei der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) ruhen lassen. Das hat der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages an diesem Mittwoch seinen Kolleginnen und Kollegen schriftlich mitgeteilt.
Der Biathlon-Olympiasieger und einstige Auswahl- und Bundestrainer hat Kritik ausgelöst, weil er den Sitz im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Doping Agentur einnehmen will, der dem Bundestag zusteht. Ullrich bestreitet, je mit Doping in Berührung gekommen zu sein, obwohl ehemalige Mannschaftskameraden und einst von ihm betreute Athleten ihm vorwarfen, Dopingmittel erhalten beziehungsweise vergeben zu haben. In Akten der Staatssicherheit finden sich zudem Hinweise auf seine Beteiligung am Doping.
Er wolle die Kritik für sich abwägen, kündigte Ullrich nun an. Er halte sie für nicht zutreffend, wolle aber weder dem Amt schaden noch das Vertrauen von Doping-Opfern beschädigen. Ullrich fehlte bei der Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch wegen Krankheit. Deshalb hatte die Unionsfraktion ihren Antrag auf seine Abberufung aus dem Aufsichtsrat verschoben, unter der Bedingung allerdings, dass er nicht an dessen erster Sitzung des Jahres am 26. April teilnimmt. Der Sportausschuss tagt erst wieder am 27. April.
„Wer im Aufsichtsrat einer Organisation sitzt, deren Hauptzweck der Kampf gegen Doping ist, muss über jeden Zweifel erhaben sein, was die eigene Vergangenheit im Zusammenhang mit Doping betrifft“, heißt es in dem Antrag: „Dies ist bei Frank Ullrich nicht der Fall.“
Ullrich: „War im angegebenen Zeitraum kein aktiver Sportler mehr“
Ullrich bekräftigte, wie bereits am Dienstag gegenüber der F.A.Z., dass er weder als aktiver Sportler noch als Trainer wissentlich Berührung mit Dopingmitteln gehabt habe. „Und doch war ich Teil eines sportlichen Systems, das für uns Sportler mitunter schwer zu durchschauen war“, schreibt er in seiner Erklärung weiter: „Die Stasi-Akte des Verbandsarztes, der für mich verantwortlich war, zeigt dies. Ich kann mir meinen Namen darin nicht erklären. Zumal ich im dort angegebenen Zeitraum kein aktiver Sportler mehr war.“ Zugleich sei aber klar, dass dies Fragen aufwerfe, „die mit meinem Amt bei der Nationalen Anti-Doping Agentur nur schwer zu vereinbaren sind“.
DDR-Verbandsarzt Hans-Joachim Kämpfe hatte im März 1984 gegenüber dem Staatssicherheitsdienst der DDR eine „Kurzeinschätzung“ der Wirksamkeit von Doping in der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele von Sarajewo 1984 gegeben. Mittel der Wahl war Oral-Turinabol (OT). Kämpfe schrieb: „Im Biathlon wurde die Beeinflussung mit OT nach den in den vorhergehenden Jahren bewährten Prinzipien geplant und realisiert.“
Ullrich war Fahnenträger der DDR-Mannschaft bei der Eröffnung der Spiele von Sarajewo. Vier Jahre zuvor in Lake Placid war er Olympiasieger geworden. In einem Bericht von 1985 beschreibt der Arzt ein Doping-Konzept für die Saison 85/86, in dem auch Ullrich genannt ist. Er beendete allerdings nach einer Bandscheibenoperation im selben Sommer seine sportliche Karriere.
Ullrich kündigte am Mittwoch an, gemeinsam mit der SED-Opferbeauftragten des Deutschen Bundestages, Evelyn Zupke, das Gespräch mit Doping-Betroffenen zu suchen. „Das ist letztlich eine Chance, gemeinsam mehr Licht in das DDR-Sportsystem zu bringen und in die Rolle, die wir darin gespielt haben“, schrieb er. „Die Gespräche werden auch helfen zu eruieren, wo wir Doping-Opfer besser unterstützen können.“ Der Doping-Opfer-Hilfe mit Sitz in Berlin war es bisher nicht gelungen, mit Ullrich in Kontakt zu kommen.
Vorwürfe früherer Mannschaftskameraden
Jens Steinigen, der Mannschaftskamerad Ullrichs war und ihn als DDR-Trainer erlebte, warf Ullrich 1991 vor, ihn als Trainer zu Doping gedrängt zu haben. Die Aussage Ullrichs, nichts von Doping mitbekommen zu haben, nannte er vor einer Kommission des Skiverbandes vollkommen unglaubwürdig. Die ehemaligen Mannschaftskameraden Andreas Heß und Jürgen Grundler behaupteten, Ullrich habe bei einer polizeilichen Vernehmung zum Thema Doping in der DDR gelogen. 2009 sagte auch der einstige Biathlet Jürgen Wirth aus, Ullrich habe ihn zu Doping gedrängt. Ullrich war zu diesem Zeitpunkt Bundestrainer.
Eine Untersuchung des Deutschen Skiverbandes kam zu dem Ergebnis, dass weder arbeits- noch dienstrechtliche Schritte gegen Ullrich angezeigt seien. Sie stellte aber fest, dass alle zu jener Zeit in der DDR im sportlichen Umfeld der Spitzenathleten tätigen Personen „auf Grund der Art und Weise der Verabreichung dieser ‚blauen Pillen‘ davon gewusst haben mussten, dass es sich um etwas ‚Verbotenes‘ handelte“. Wenn Ullrich behaupte, er sei davon ausgegangen, dass es sich um trainingsunterstützende Mittel im legalen Bereich gehandelt habe, sei dies ein „unbewusst gesteuerter Verdrängungsmechanismus“.
Das Statement könne nur ein erster Schritt sein, sagte Fritz Güntzler als CDU-Obmann im Sportauschuss an diesem Mittwoch. Es sei „völlig unklar, wie lang er das Amt nun ruhen lassen will.
Als Sportausschussvorsitzender ist es Frank Ullrichs Pflicht, sich kritisch mit seiner Doping-Vergangenheit auseinandersetzen und aktiv zu einer unabhängigen Aufklärung beizutragen. Gespräche mit ehemaligen Doping-Opfern reichen hier nicht aus. Unsere Forderung bleibt: Frank Ullrich muss sein Amt im Aufsichtsrat der NADA niederlegen und den Weg für ein anderes Mitglied des Sportausschusses frei machen.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 6. April 2022