USG Wilfried LEMKE, Special Advisor to the UN Secretary General on Sports and Development, visits the Judo Federation in Bouake.
Mit Sport kriegst du jeden Politiker” – Gespräch mit Willi Lemke, seit 2008 Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung
Willi Lemke – Von 1999 bis 2008 war er Bildungs- sowie Innensenator in Bremen, zuvor 1981 bis 1999 Manager von Werder Bremen, seit 2005 ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Fußballvereins. Als Sonderberater des UN-Generalsekretärs stellt ihm der Bund 450000 Euro zur Verfügung.
Kann Sport die Welt verbessern?
Er kann die Welt positiv verändern, davon bin ich überzeugt. Dafür gibt es viele Beispiele.
Denken Sie an den ivorischen Fußballprofi Drogba, der 2005 die verfeindeten Bürgerkriegsparteien in seinem Heimatland Elfenbeinküste mit Erfolg zum Frieden aufrief?
Beispielsweise. Didier Drogba und seine Teamkollegen in der Nationalmannschaft hatten ihren Status als von den Fans verehrte Fußballer eingesetzt, die Gräben zwischen den Konfliktparteien in ihrem zerrütteten Heimatland zu überwinden. Nach dem Erfolg im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel der Elfenbeinküste hatte Drogba aus der Kabine heraus live im Fernsehen alle Einwohner des Landes aufgefordert, die Waffen niederzulegen und Wahlen zu organisieren.
Er bat darum sogar auf Knien. In diesem Moment stand das ganze Volk wie eine Einheit hinter der siegreichen Nationalmannschaft. Offenbar half es die Menschen zu überzeugen, dass man auch außerhalb des Fußballs für eine gemeinsame Sache zusammen stehen kann. Jedenfalls vereinbarten die Konfliktparteien kurz darauf einen Waffenstillstand. Diese Situation spielte sich übrigens in Bouaké, einer ehemaligen Rebellenhochburg, ab. Die Politik konnte das Land nicht einen, der Sport, in diesem Fall der Fußball, hat es jedoch geschafft.
Sie waren vor wenigen Jahren ebenfalls in Bouaké. Was haben Sie dort erlebt?
Ich hatte Bouaké ursprünglich wegen eines Judo-Projekts für junge Leute besucht. Bei der Gelegenheit war ich auch im Camp der UN-Blauhelmsoldaten. Die Blauhelme wollten aus einem Acker einen Fußballplatz machen, um darauf zu spielen, sogar gegen die Rebellenarmee. Den Commander der Blauhelme, einen Pakistani, hatte ich gefragt, ob er nicht auch für die Kinder und Jugendlichen im Dorf einen Fußballplatz herrichten könnte. Was er dann tatsächlich veranlasst hat. Das war nicht vergleichbar mit Drogbas Einsatz, dem eine stärkere Symbolik anhaftete. Prinzipiell ging es mir natürlich um dasselbe: Den Glauben zu stärken, dass die Spirale von Terror und Gewalt zu stoppen ist und sich die Dinge ändern können, wenn man sich die Hand reicht.
Ist das Ihre größte Motivation, Leute zu etwas bringen, was vorher fast unmöglich schien?
Es motiviert mich und es befriedigt mich enorm. Immerhin gelang es uns, den pakistanischen Commander – und damit letztlich die pakistanische Regierung, die das freigeben musste – zu überzeugen. Es hatte schließlich zur Folge, dass die Bevölkerung in Bouaké die Blauhelmsoldaten mal völlig anders erlebte, als waffenklirrend in Militärfahrzeugen.
Wie fällt ihr Resümee aus nach vier Jahren als UN-Sportbotschafter?
Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Tätigkeit so viel Freude bereiten würde und dass sie so erfolgreich sein könnte.
Ihre prägendste Erfahrung?
Vieles berührt mich bis heute. Dass wir zum Beispiel mit unseren Youth Leadership Camps bisher 120 jungen Frauen und Männern aus sehr armen Gebieten soziale Aufstiegsmöglichkeiten geben konnten. Stolz bin ich auch, dass ich dazu beitragen konnte, das IOC mit den Vereinten Nationen stärker zusammen zu bringen. Das IOC besitzt mittlerweile einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Umgekehrt ist UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ein gern und oft gesehener Gast beim IOC.
Bietet der Sport die größten Chancen, überall auf der Welt Fronten aufzubrechen?
Das vermag die Kunst natürlich auch. Vor allem die Musik begeistert die Menschen überall und sie lehrt genau wie der Sport Teamfähigkeit. Ohne die ist kein gutes Konzert hinzubekommen, genauso wenig wie ein gutes Fußballspiel.
Daniel Barenboim versucht ja mit seinem West-Easter-Divan-Orchestra ebenfalls eine Brücke zwischen den Völkern im Nahen Osten zu bauen.
Dieses Weltklasseorchester ist eine wunderbare Sache. Es hat letztlich das gleiche Anliegen wie die Sport-Initiative „Generations For Peace“, die von Prinz Faisal von Jordanien gegründet wurde. Nur dass wir junge Menschen aus den Konfliktregionen auf Sportplätzen zusammen bringen, nicht in einem Orchester.
Kann man unzugängliche Politiker mit dem Thema Sport besonders erweichen?
Mit Sport kriegst du jeden Politiker, insbesondere mit Fußball. Das Thema Sport ist überall ein Türöffner.
Fühlen Sie sich heute auch manchmal in einer Doppelrolle: Einerseits als gering ausgestatteter Helfer der Armen, andererseits als Aufsichtsrat eines Profiklubs in einem knallharten Millionengeschäft?
Natürlich ist es für mich ein furchtbarer Spagat, wenn ich zum Beispiel gerade in einem Slum in Nairobi war und unmittelbar darauf in einer Aufsichtsratssitzung bei Werder über Riesengehälter oder Abfindungen entscheiden muss.
Reden Sie darüber mit den Profispielern?
Mit den Profis nicht, aber meine Kollegen im Aufsichtsrat kriegen meine Zerrissenheit schon mit. Vor nicht allzu langer Zeit bin ich auf einer Sitzung ausgerastet, weil ich direkt aus Ruanda kam, wo die Auswirkungen des Völkermordes vor 18 Jahren noch stark zu spüren sind. Ich hatte dort ein Projekt mit HIV-infizierten Frauen, die vergewaltigt worden waren, besucht. Wenn ich unmittelbar darauf in den Alltag des Bundesligageschäfts geschleudert werde, frage ich mich: Worüber streiten wir uns hier eigentlich!
Wünschten Sie sich, bekannte Fußballer und Vereine würden sich stärker engagieren und auch Ihre Arbeit unterstützen?
Etliche Klubs fördern internationale Charityprojekte, ob Inter Mailand, FC Barcelona, Chelsea London, der FC Liverpool oder auch Bayer Leverkusen und natürlich Werder Bremen. Es gibt ganz viele Initiativen, in denen sich die Vereine engagieren. Das wünsche ich mir noch stärker.
Interview: Gunnar Leue in SPORT in BERLIN, März 2013
EN