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11
08
2016

Thomas Bach ©DOSB

„Mischt Euch ein“ und „Das Schweigen der Athleten“ – „Thomas Bach schadet dem Sport“! Der GRR-Kommentar von Horst Milde

By GRR 0

Am Freitag (12. August 2016 ) beginnen die Leichtathletik-Wettbewerbe bei den 31. Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Für viele ist die Leichtathletik nach wie vor das „Herz“ der Spiele.

Allerdings hat das „Herz“ schwere Zeiten hinter sich, zu vergleichen mit einem Herzinfarkt, den es erlitt – und möglicherweise im letzten Augenblick gerettet wurde.

Die IAAF unter dem neuen Präsidenten Sebastian Coe hat die Notbremse gezogen und den Defibrillator angesetzt, um die Leichtathletik vielleicht noch retten zu können.

Die russischen (Leicht-)Athleten wurden wegen des systemischen und vom Staat gestützten Dopens komplett gesperrt. Zuerst von den Europameisterschaften in Amsterdam ausgeschlossen, wo das Fehlen der russischen Mannschaft überhaupt niemand besonders aufgefallen war. Und jetzt auch von den Olympischen Spielen, ein Vorgang, den es in der 120jährigen Geschichte der Spiele noch nicht gegeben hat.

Unabhängig von den weiteren Skandalen und kriminellen Machenschaften der IAAF, die dringendst noch aufgearbeitet werden müssen, hat zumindest die Leichtathletik in der skandalösen Dopingfrage „klare Kante“ gezeigt, um den russischen Umtrieben Einhalt zu gebieten. Nach Lage der Dinge wird dies jedoch nur der Anfang der Dopingaufarbeitung sein.

Die Aufsehen erregenden ARD-Beiträge von Hajo Seppelt und die Geständnisse und die Flucht von Juliya Stepanova und ihres Mannes über Berlin, wo niemand so recht die Sicherheit übernehmen wollte oder konnte, in die USA, hatte zunächst keiner richtig ernst genommen. Erst die Flucht von Grigori Rodschenkow, dem Direktor des russischen Anti-Doping-Labors (RUSADA) in Sotschi, ließ die Bombe endgültig platzen. Statt Betrüger zu enttarnen, war Rodschenkow im Vorfeld und während der Olympischen Winterspiele 2014 aber allein damit beschäftigt, bei russischen Sportlern die Einnahme von verbotenen Substanzen zu verschleiern.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Montreal bestätigte inzwischen den Vorwurf,  dass die russische Mannschaft systematisch gedopt habe.

Durch die Whistleblower Juliya Stepanova und Grigori Rodschenkow ist das System der jahrelangen Dopingpraktiken Rußlands weltweit in den Fokus geraten und hat damit den Sport in seinem Innersten erschüttert. Gerade in Deutschland aber muss mit diesem Thema überaus sensibel umgegangen werden. Nicht nur, dass die Aufarbeitung der Dopingpraktiken der ehemaligen DDR immer noch andauert, sondern auch die im Westen, vom Berliner Tagesspiegel betitelt mit „Systematisches Doping in der Bundesrepublik – Freiburg, das Paradies für Doper“.

Thomas Bach, höchster Olympier und Chef des IOC, versprach bei seiner Inthronisierung am 10. September 2013 für den „sauberen Athleten“ zu kämpfen und sich konsequent gegen Doping einzusetzen.

Nichts von alledem! Bach verhinderte, dass durch das IOC anfangs des Monats nicht das gesamte Russland-Team ausgeschlossen wurde, sondern man überließ die endgültige Entscheidung über die Zulassung von Athleten den einzelnen Fachverbänden.

„Lavieren statt Führen“ schreibt dazu die Süddeutsche Zeitung.

Bach wird als Sympathisant des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin gesehen, mit dem er persönlich eng befreundet sein soll. Möglicherweise der Grund, weswegen Bach als Präsident des IOC nicht konsequent gegen das von russischen Geheimdiensten und Behörden gedeckte Doping vorgeht.

„Bei Amtsantritt galt Bach noch als Hoffnungsträger“ schreibt Nick Butler im Internetprotal „inside the games“ (Die Beiträge sind im englischsprachigen Pressedienst von German Road Races verlinkt).

Nick Butler weiter: “Thomas Bach hat etwas geschafft, das ihm wohl nicht einmal seine größten Kritiker zugetraut hätten. Dem ersten deutschen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ist es gelungen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die wichtigste Sport-Organisation der Welt komplett zu zerstören. Die Entscheidung des IOC, nicht alle russischen Athleten von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro  auszuschliessen, nachdem Staatsdoping bewiesen wurden ist, wird das Ansehen des IOC nachhaltig ruinieren“.

Diskuswerfer Robert Harting ist bekanntermaßen ein Freund deutlicher Worte: Er sagt zu Bach:

“Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für ihn“. Michael Reinsch schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Backpfeifen aus Deutschland, Kritik aus der ganzen Welt, und jetzt auch noch Lob von Putin: Thomas Bach könnte einem leidtun. Doch er hat sich das alles selbst eingebrockt“.

"Harting hatte nach einem öffentlichen Krafttraining in Kienbaum unweit von Berlin gefolgert, dass jemand, der gegen Empfehlungen und Proteste der Nationalen und der Welt-Anti-Doping-Agentur eine russische Olympia-Mannschaft nach Rio einlädt, dass jemand, der zugleich der Frau, die sich vom systematischen Doping Russlands distanzierte und Alarm auslöste, die ethische Qualifikation zur Teilnahme abspricht und die Tür für eine Teilnahme an den Spielen zuschlägt, nicht wirklich dem Lager der Doping-Gegner zuzuordnen sei. Ergo, so die Logik Hartings, gehöre er zur anderen Seite, zum Doping-System".

"Ein bemerkenswerter Sinneswandel des Robert Harting, der noch vor sieben Jahren bei der WM in Berlin davon sprach, protestierenden Vertretern der Doping-Opfer-Hilfe einen Diskus an den Kopf zu werfen. Für viele ist er inzwischen so etwas wie der „inoffizielle Sprecher der olympischen Athleten Deutschlands“ geworden".  

“Thomas Bach schadet dem Sport“.

Hans-Wilhelm Gäb, vormals Präsident des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB) sowie in Führungspositionen der Stiftung Deutsche Sporthilfe und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), erhielt 2006 den Olympischen Orden – gab ihn jetzt dem IOC zurück und sagt: “Thomas Bach schadet dem Sport“.

Völlig inakzeptabel und nicht nachzuvollziehen ist die IOC-Entscheidung die Whistleblowerin Juliya Stapanova „aus ethischen Gründen“ nicht in Rio starten zu lassen (bei der EM in Amsterdam ließ die EAA Stepanova zum Start zu). Dagegen dürfen Doper wie Sprinter Justin Gatlin starten. Die aktuelle Auseinandersetzung im Schwimmbecken in Rio mit der mehrfachen Doperin Julija Jefimowa thematisiert der Tagesspiegel mit der Überschrift „Kalter Krieg im Becken“.

Die Athleten bringen sich jetzt selbst in Stellung: „Der australische Kraulschwimmer Mack Horton hat Sun Yang (China) vor der Siegererhung einen „Doping-Betrüger“ genannt. Olympiasiegerin Lilly King, die Jefimowa im Finale bezwang, sagt: „Jack Horton hat das ausgesprochen, was alle denken“.

Viele denken so, aber kaum einer wagt, in der Öffentlichkeit deutliche Worte zu sagen. Das ist das Problem unserer Gesellschaft. Vielleicht auch aus Furcht vor Nachteilen.

Hans-Wilhelm Gäb sagt dazu: “ Es liegt in der Verantwortung eines jeden Sportführers, zum Doping Stellung zu beziehen. Oder er duckt sich weg. Leider ist das Wegducken nicht mehr so ganz ungewöhnlich“!

Es scheint aber leider vielleicht auch so zu sein, ohne die nachfassenden Medien und whistleblower, würde das Thema Doping von der Öffentlichkeit gar nicht so ernst genommen werden. Viele Fachverbände schweigen das Thema – als Betroffene – tot.

Der DOSB ist leider auch kein Reformator in Sachen Doping, er schützt seinen Ex-Präsidenten Bach, wo er kann.

Eine positive Ausnahme in dieser Hinsicht ist der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) und sein Präsident Dr. Clemens Prokop, der seit langem ständig gegen das Doping öffentlich Stellung bezog, daür Hiebe einheimste und deswegen bei den Kollegen der IAAF sich damit keine Freunde machte. Er erhielt seine Quittung dergestalt, daß er bei der letzten IAAF-Wahl als Vertreter des größten Leichtathletik-Verbandes der Welt nicht in das Council gewählt wurde.

Die neuesten Schlagworte, aber aus dem politischen Raum, zu den aktuellen Problemen in der Welt heißen:

"Schweigen ist lautes Zustimmen" und "Mitschuldig sein durch Nichtstun"!

Die „Zeit“ schreibt: "Mischt Euch ein!“ „Olympia braucht einen Aufstand der Anständigen. Sportler sollten sich trauen, Unrecht anzuprangern. Die meisten Athleten von heute beziehen nicht einmal Stellung auf ihrem ureigenen Feld. Kaum ein kritisches Wort zu Rio, selten eines über das IOC, nicht mal über das Doping bei Kollegen wird gesprochen.“

Ein organisierter Aufstand der Anständigen angeführt von der (bislang duckmäuserischen) Athletenkommission des IOC ((sic: Die Athletenkommmission des DOSB traut sich auch  gar nichts und spricht wie „Bachs Pressestelle“, wie eine Zeitung feststellte)) wäre die rechte Antwort.

In der Süddeutschen (SZ) findet man unter der Überschrift, „Doping – Das Schweigen der Athleten“: „Dass Bach nicht der Mann ist für einen Neuanfang, darf niemanden verwundern. Was aber verwundert: dass sich so viele Sportler diese Art der Führung weiter gefallen lassen … Aber das können auch deutsche Athleten natürlich nicht sagen! Sie würden ja das System infrage stellen. Das sie ernährt! Womöglich gäbe es eine Ermahnung aus der Frankfurter Sportzentrale! Nur: Man wünschte, es würden mal ein paar aufstehen und es einfach sagen. Einige Aufrechte gibt es schon. Aber es bräuchte noch viel mehr“ schreibt Claudio Catuogno in der SZ vom 22. Juli.

“Geht zu Euren Vorsitzenden des Vereins, des Verbandes u.a.m. und beschwert Euch und verlangt Änderungen“ sagte Hajo Seppelt auf dem Berliner Läufertreffen im Februar des Jahres vor den Zuhörern, die nun wahrlich keine Olympioniken sind. Aber sie sind Fans und Zuschauer, aber auch diese können etwas erreichen.

Die Petition für Juliya Stepanova für den Start in Rio haben fast 300.000 Unterstützer unterschrieben. Doch leider verpuffte dieser Appell der „Kleinen“ an das IOC.

Aber es geht auch im „Großen“, wenn Präsidenten entscheidungsfreudig sind : Das IPC, das IOC Pendant zum IOC, der Behinderten-Weltsportverband unter seinem Präsidenten Sir Philip Craven hat den russischen Verband komplett von der Teilnahme in Rio gesperrt, "weil das systemische Doping der Russen nicht hinnehmbar ist" (in Sotschi waren die Russen das erfolgreichste Team!).

Der Leichtathletik in Rio wünscht man keine weiteren Auseinandersetzungen. Man ärgert sich vielleicht, wie bei der EM in Amsterdam, über die vielen „Kenianer“ in der türkischen Mannschaft – und hofft auch auf Siege und Medaillen von Nichtafrikanern über die Mittel- und Langstrecken.

Zu leicht lässt sich unterstellen, dass die Sieger und Medaillengewinner in ihren Heimatländern ohne ein funktionsfähiges Anti-Doping-Labor nach Lust und Laune Medikamentenmissbrauch betreiben.

Sebastian Coe sprach gestern ganz aktuell (am Mittwoch, dem 10. August 2016 im Caesar Park Hotel in Rio de Janeiro) über die geplanten Reformen der IAAF (am 3. Dezember 2016 auf der außerordentlichen IAAF Versammlung), u.a. der Governance-Reformen, Änderung der Mitgliederzahl des Councils mit mehr Frauen und Athleten.

Das gibt dann doch Hoffnung für die Zukunft, zumindest bei der IAAF!

Horst Milde

Petition unterschreiben – Schreiben an das IOC – Julia Stepanowa für Rio:

"Whistleblower nicht bestrafen"

Themengleich:

Fantasma – die Olympia-Kolumne – Das Volk hat verstanden – Christoph Becker, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

FLASH: Neuigkeit zur Petition #Stepanowa – Whistleblower nicht bestrafen – Julia Stepanowa für Rio!

Pro Doping oder dagegen – oder einfach nur für sich selbst – IOC Präsident Dr. Bach wäscht seine Hände in Unschuld – LG Telis Finanz Regensburg

Haltung des IOC-Präsidenten – Alles so, wie es sein soll? Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Harting zu IOC-Entscheidung – „Im IOC herrschen Zustände wie bei der Fifa“ – Michael Reinsch, Kienbaum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Scharfe Worte der Kritik an Thomas Bach von Robert Harting – Interview der Deutschen Welle

Weitere Beiträge zum Thema DOPING finden Sie auf der GRR-website: "DOPING"

"DOPING"

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author: GRR

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