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15
02
2023

Malaika Mihambo - Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Mihambo bei ISTAF Indoor Berlin 2023: „Ich musste ein bisschen Gas rausnehmen“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Weitspringerin Malaika Mihambo siegt in Berlin – und tut etwas ganz Typisches. Wie gut es ihr inzwischen geht, zeigt sie nicht nur mit weiten Sprüngen.

Die eine vertrat sich das Knie, der anderen zwickte es im Rücken. Das mag zwar die Leistung von Malaika Mihambo und Gina Lückenkemper beim Istaf Indoor ein wenig gemindert haben. Ihrer Stimmung tat das keinen Abbruch. Wo anders als in Berlin haben Leichtathleten, noch dazu unterm Dach, fast 12.000 Zuschauer?

„Wenn ich beim Start so rauskrebse und trotzdem eine 7,16 auf die Bahn bringe, muss mein Top-Speed herausragend gewesen sein“, sagte Gina Lückenkemper und freute sich. Als Dritte hinter der Britin Daryll Neita (7:05) und Tristan Evelyn aus Barbados (7,14) war die zur Sportlerin des Jahres gewählte Athletin am Freitagabend die Schnellste von drei aus der Europameister-Staffel von München, vor Lisa Mayer (7,20) und Alexandra Burghardt (7,22).

„So laut“

Die Halle habe gebebt, das Publikum getobt, sagte die Sprint-Europameisterin: „Das ist so untypisch für Leichtathletik, dass es so laut ist, wenn die Athleten in den Block gehen und so ungewohnt. Da sieht man mal, wie begeistert die Menschen von unserer Sportart sind. Die Stimmung hier ist einmalig.“ Von sich und ihrer Aussicht scheint sie nicht minder begeistert, obwohl ihr Rücken vor dem Start intensiver Physiotherapie bedurfte: „Es ist krass, was ich in diesem Winter laufen kann und mit welcher Leichtigkeit. Wenn ich gesund bleibe und unverletzt, wird der Sommer bombastisch.“

Auch Malaika Mihambo plant Höchstgeschwindigkeit und Bestleistung erst für den Sommer. Der Gewinn ihrer dritten Weltmeisterschaft, diesmal in Budapest, soll das Jahr krönen. „Ich musste ein bisschen Gas rausnehmen“, sagte die Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin im Weitsprung in Berlin. Sie hatte sich beim Anlauf zum dritten Sprung das Knie vertreten und brauchte bei Halbzeit ihres Wettkampfs die helfenden Hände des Physios.

Typisch Mihambo

So kam sie nicht in die Nähe ihrer Bestleistung von 7,07 Meter. Im sechsten und letzten Versuch immerhin steigerte sie sich, typisch Mihambo: auf 6,81 Meter. Schon mit dem ersten Sprung und der Weite von 6,72 Meter war sie für die Konkurrenz, die vier nächstbesten der Welt, unerreichbar geworden. Sie konnte es sich leisten, vier Mal überzutreten. Für sie sei der Wettkampf gut verlaufen, sagte sie; der Anlauf war stabil, die Zwischenmarke habe sie stets getroffen, und die schnellste aller Weitspringerinnen ist sie ohnehin.

Mihambo, 2019, 2020 und 2021 als Sportlerin des Jahres ausgezeichnet, erinnerte in der vibrierenden Arena an die Corona-Zeit mit ausgefallenen Wettkämpfen und leeren Rängen. Gerade mal 1500 Besucher hatten in den vergangenen Jahren zum Indoor-Istaf kommen dürfen, nun waren es acht mal so viele, 11 850. „Mich freut, dass sich die Hallen wieder füllen. Die Stimmung ist total schön, gerade hier in Berlin“, sagte Mihambo: „Es macht so viel mehr Spaß, einen Wettkampf zu springen, wenn die Stimmung so intensiv ist und man vom Publikum getragen wird.“

Ausgesetzte Atmung

Schon bei der Europameisterschaft von München im vergangenen Jahr hatte das Publikum Malaika Mihambo getragen. Von den Nachwirkungen ihrer Corona-Erkrankung überrascht, war ihre Regenerationsfähigkeit dort eingeschränkt. „Mit der Unterstützung durch das Publikum in München bin ich an meine Grenzen gegangen und darüber“, erzählte sie nun in Berlin: „Das war durch die Stimmung möglich. Unter normalen Umständen wäre ich da gar nicht hingekommen.“

Mit 7,03 Meter gewann sie die Silbermedaille und stellte im Fernsehinterview fest, dass sie keine Luft mehr bekomme. Kurz darauf sank sie zu Boden. „Das war kein Kreislaufkollaps, sondern meine Atmung hat einfach ausgesetzt“, sagte sie im Rückblick: „Ich bin nicht in Panik geraten. Ich bin innerlich ruhig geblieben und habe bewusst ausgeatmet.“ Ihre jahrelange Yoga-Praxis half ihr dabei.

Im Fluss schwimmen

Wie gut es ihr inzwischen geht, zeigt Malaika Mihambo nicht nur mit weiten Sprüngen. Die Reise, die sie sich jedes Jahr nach der Saison gönnt, brachte sie im vergangenen Jahr nach Peru. In die Höhenluft von bis zu 5000 Meter führten sie ihre Wege in den Anden. Auf dem Inka-Trail ging es vier Tage lang auf den Machu Picchu. Auch der vorhergehende Aufenthalt an den Quellflüssen des Amazonas war fordernd. Malaika Mihambo, wie üblich unerkannt und mit Rucksack unterwegs, schlief im Zelt und schwamm im Fluss.

„Ich habe mich von Piranhas und anderen Fischen anknabbern lassen“, sagte sie. Die Vielseitigkeit des Amazonasgebiets habe ihr noch einmal bewusst gemacht, wie wichtig der Erhalt eines jeden Quadratmeters Regenwald sei. Die Master-Studentin der Umweltwissenschaft zeigt sich beeindruckt von der Kultur der Inka, mit der sie sich insbesondere beim Besuch in Cusco in den Anden beschäftigte. Auf drei Ebenen war Arbeit fürs Gemeinwohl üblich: in der Nachbarschaft, innerhalb der Gemeinde und für die große Gemeinschaft, den Staat: „Wie Zivildienst.“ Bei aller Pflicht zur Arbeit standen für die Inkas, wie Malaika Mihambo erzählte, Liebe und Lernen im Vordergrund: „Das sind tolle Werte.“

Möglicherweise ist die Reise von Malaika Mihambo ins einst sagenhaft reiche Inkareich ein gutes Omen für ihre Ziele. In diesem und im kommenden Jahr, bei den Olympischen Spielen von Paris 2024, wird sie um Gold kämpfen.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 12. Februar 2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR