2012 Kenya Kenya February 2012 Photo: Giancarlo Colombo@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Metapher für das Leben – Die Bilder des Fotografen Harald Schmitt erzählen Geschichten aus dem Sport und die Geschichten dahinter. Jetzt sind sie in einer Ausstellung in Berlin zu sehen. Robert Ide im Tagesspiegel
Das soll die schönste Nebensache der Welt sein? Nicht nur die Fußballer des FC Bayern wissen es inzwischen: Sport kann ganz schön gemein sein. Mehr noch, Sport ist manchmal gefährlich – nicht nur für die Nerven des Zuschauenden, sondern auch für den Körper eines Athleten (vor allem, wenn der künstlich aufgepumpt ist).
Zuweilen ist Sport sogar gemeingefährlich: Das ist immer dann der Fall, wenn er vorgibt, die Welt zu retten. Das kann der Sport nämlich nicht.
Sport ist nicht bloß einfach die eine Geschichte vom Gewinnen und Verlieren. Die Geschichten des Sports fangen früher an als am Startblock – und sie hören nicht auf, wenn die Ziellinie überquert ist.
Nicht mal nach der Siegerehrung.
Das Interessanteste sind Geschichten, die das Leben uns anhand des Sports erzählt: Guter Sportjournalismus sucht nach diesen Geschichten. Der Fotograf Harald Schmitt, der mit der Kamera für die Agentur „Sven Simon“ unterwegs war und dann jahrzehntelang für den „Stern“ die Welt bereist hat, hat diese Geschichten gefunden. Dabei ist er nie Sportfotograf gewesen. Vielleicht ist genau das sein Geheimnis. Sechs Mal hat er den World Press Photo Award gewonnen. Nun sind seine besten Fotos in Berlin zu sehen.
Schauen wir uns einmal drei seiner Bilder genauer an. Sie haben mehr zu erzählen, als man zunächst auf ihnen sieht.
Das erste Foto spielt in einer Zeit, in der noch schwarz-weiß fotografiert und gedacht wurde. Auf dem Bild sehen wir einen Mann mit elegantem Sommerhut und weißer Hautfarbe, der sich von einem Mann mit Schiebermütze und dunkler Hautfarbe ein paar Wetttipps holt. Wir sind auf einer Pferderennbahn in Südafrika, 1976, es herrscht Apartheid, die beiden Männer trennt ein Metallzaun. Doch Sport verbindet die Menschen über Grenzen hinweg auf ganz einfache Weise. Er liefert Gesprächsstoff. Und Gespräche sind immer ergiebiger als Boykotte – das kann das Leben vom Sport lernen.
Das zweite Bild stammt aus Südkorea, aufgenommen bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul – aber die Spiele sind darauf gar nicht zu sehen. Zu sehen ist ein spartanisches Wohnzimmer in einem abgelegenen Dorf, darin betet eine alte Frau ihren kleinen Fernseher an, auf dem ihr Sohn zu sehen ist. Er boxt gegen einen Amerikaner um den Olympiasieg – und verliert. Hätte er gewonnen, wäre ihm eine lebenslange Rente sicher gewesen. Nun muss das Leben weitergehen; ohne Gold und ohne Geld. Sport kann nie alles sein. Das kann er vom Leben lernen.
Das dritte Foto ist nicht weniger als eine journalistische Sensation. Es zeigt einen Radfahrer der Tour de France in seinem Hotelzimmer, im Bett spielt er mit seinem Musikplayer, er ruht sich aus, tankt Kraft. Der Profi liegt aber nicht im Hotelbett, sondern daneben in einem Sauerstoffzelt. Es simuliert eine Höhe von 4000 Metern, das regt die Bildung von roten Blutkörperchen an. Gute Nacht, Profiradsport! So könnte man das Bild sarkastisch nennen. Aber es trägt auch eine philosophische Frage in sich: Welche Grenze setzt der Sportler sich selbst, wenn er doch immer neue Grenzen verschieben soll? Wie viel Leben erlaubt der Leistungssport überhaupt?
Sport ist nicht die schönste Nebensache der Welt, da gibt es schönere. Sport ist die schönste Metapher für das Leben. Weil er uns grundlegende Fragen stellt:
Wie funktioniert eine Mannschaft, warum funktioniert sie nicht? An was glaubt der Einzelkämpfer – außer an sich selbst? Wie geht ein Spieler mit einer großen Niederlage um, macht sie ihn kaputt oder noch stärker, gelassener oder aggressiver, und was wäre überhaupt das Richtige? (Darf man fragen, was Bastian Schweinsteiger gerade macht, jetzt, in diesem Moment?)
Oder, noch schwieriger: Wie verkraftet ein Mensch einen großen Sieg – jemand, den alle kennen, vielleicht erst über Nacht kennen- und lieben gelernt haben; jemand, der plötzlich ein Jemand ist und kein Jedermann mehr. Ist er tatsächlich als Mensch so groß wie ihn sein Triumph erscheinen lässt?
Diese Fragen lauern nicht nur in den Zeiten- und Weitenstürmern, denen wir zuschauen und zujubeln, diese Fragen lauern in uns allen. Wenn Sie also auf die besonderen Fotos von Harald Schmitt schauen, dann hören Sie in sich hinein.
Auf die Plätze, fertig, los!
Robert Ide im Tagesspiegel, Sonntag, dem 3. Juni 2012
Von Siegern und Verlierern – Fotografien von Harald Schmitt.
Ausstellung bis 30. Juni im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28, Berlin-Kreuzberg. Dienstag bis Sonntag 12 – 18 Uhr; Eintritt frei, Ausweis erforderlich.