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26
11
2007

Jones und die zwei US-Staffeln, deren Mitglied sie war, werden für die Olympischen Spiele 2000 disqualifiziert, die fünf in Sydney gewonnenen Medaillen (dreimal Gold, zweimal Bronze) aberkannt und neu verteilt.

Marion Jones und der Kampf um die olympischen Medaillen von Sydney – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung

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München – Das Internationale Olympische Komitees (IOC) erwartet in dieser Woche Post vom Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) – eine Mitteilung über die am Freitag von der IAAF verfügten Strafen gegen die Sprinterin Marion Jones (Zweijahressperre, Streichung aller Ergebnisse inklusive Staffeln ab 1. September 2000, Rückgabe aller IAAF-Prämien, cirka 700.000 Dollar). Die Amerikanerin hatte am 5. Oktober gestanden, von September 2000 bis Juli 2001 Dopingmittel wie die Designerdroge THG der Firma Balco konsumiert zu haben.
Auf der Basis der Beschlüsse und Empfehlungen der IAAF will das IOC vom 10.-12. Dezember selbst ein Urteil über Jones fällen. Das könnte so lauten:
Jones und die zwei US-Staffeln, deren Mitglied sie war, werden für die Olympischen Spiele 2000 disqualifiziert, die fünf in Sydney gewonnenen Medaillen (dreimal Gold, zweimal Bronze) aberkannt und neu verteilt.
Nur an wen?

Ungewiss ist die Situation vor allem über 100 Meter, würde doch zum Goldplatz eine Athletin aufsteigen, die zwar in Sydney (wie Jones) die Kontrolle unbeanstandet passierte, aber 2004 wegen eines Verstoßes gegen die Antidopingregeln für zwei Jahre gesperrt wurde: Katerina Thanou (Griechenland).
Während der Vorsitzende der IAAF-Medizinkommission, Juan Alonso (Spanien), keine rechtliche Voraussetzung sieht, der Griechin Gold vorzuenthalten, sagte IOC-Präsident Jacques Rogge (Belgien), es gebe keinen Automatismus beim Vorrücken, er wolle saubere Athleten auf den Medaillenrängen, das 100-m-Gold könnte sogar vakant bleiben.

Am Mittwoch vergangener Woche tauchte nun noch ein weiterer Interessent an den Jones-Medaillen auf. Beansprucht werden sie von dem ehemaligen Jones-Coach Dan Pfaff (Austin), vertreten durch seine Anwälte, den Deutschen Marc Roos und dessen US-Partner Ed Davis. In Faxen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, an Jacques Rogge und den deutschen Vorsitzenden der IOC-Rechtskommission, Thomas Bach, weist Roos daraufhin, dass das IOC die fünf Medaillen widerrechtlich in Obhut genommen habe. Sie waren unmittelbar nach ihrem Geständnis von Jones unaufgefordert zum IOC-Sitz nach Lausanne geschickt worden.

Pfaff betreute Jones von Juli 2003 bis September 2004 und wurde dann von der Athletin wegen angeblicher Erfolglosigkeit entlassen. Dagegen klagte Pfaff und gewann vor einem Schiedsgericht, dessen Urteil in einem Berufungsprozess Bestätigung fand: Geldstrafe für Jones in Höhe von 222.944,37 Dollar, die bis heute nicht beglichen sind.
Die frühere Sprintmillionärin soll inzwischen arm wie eine Kirchenmaus sein. Eine Zwangsvollstreckung im Haus in Austin, wo Jones nun mit ihrem zweiten Mann, dem Sprinter Obadele Thompson, wohnt, verlief ergebnislos. Um an Wertgegenstände heranzukommen, habe der Gerichtsvollzieher auch versucht, „in die Olympischen Medaillen zu vollstrecken“, wie Roos an Rogge/Bach schreibt. Am 6. Ap-ril 2007, ein halbes Jahr vor ihrem Geständnis, habe Jones unter Eid ausgesagt, die Medaillen würden sich nicht mehr in ihrem Gewahrsam und Eigentum befinden, sondern seien einer Stiftung in ihrem Geburtsland Belize vermacht worden. „Das war gelogen“, sagte Roos der SZ.
Also noch ein Meineid? Unter anderem wegen dieses Delikts muss sich Jones in der Balco-Affäre am 11. Januar vor Gericht verantworten.

Das Verschicken an das IOC und die Weigerung, die Medaillen herauszugeben, stellen eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung dar, behauptet Roos: „Eine strafbare Handlung sowohl nach amerikanischen als auch europäischem Recht“. Der Anwalt hat das IOC aufgefordert, sämtliche Sydney-Medaillen bis zum 1. Dezember 2007 zurückzugeben. „Im Falle des fruchtlosen Fristablaufs ist Klage geboten“. Roos will dann nach Schweizer Recht in Lausanne pfänden lassen. Eine Reaktion des IOC ist nicht bekannt, Thomas Bach ließ eine Anfrage mit der Bitte um Stellungnahme bis Sonntag unbeantwortet.

Mit dem Vorstoß von Dan Pfaff erfährt der Jones-Fall eine juristisch verzwickte Zuspitzung. Hat er tatsächlich Anspruch auf die der Sportlerin bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht aberkannten, folglich noch in ihrem Eigentum, wenn auch nicht in ihrer Obhut befindlichen Olympiamedaillen? Anwalt Marc Roos sagt, er wolle die Medaillen für Pfaff erstreiten, weil er dem Coach „Genugtuung“ verschaffen wolle, „sie haben für ihn symbolischen Wert, es geht ihm nicht primär darum, die Medaillen bei Ebay versteigern zu lassen“.
Und wie reagiert das IOC? Entwertet es die Medaillen, in dem es nach der Disqualfikation alle (!) Ränge vakant lässt, die Existenz der Medaillen vernichtet? Wie immer es ausgeht, eine weitere Merkwürdigkeit in der IOC-Geschichte ist die Angelegenheit allemal.

Michael Gernandt
Süddeutsche Zeitung
Montag, dem 26. November 2007

author: GRR

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