Allein dadurch gewinnt die Arbeit an Lesefreundlichkeit und erhält eine besondere authentischen Note – auch für diejenigen Interessierten, die sich nun aus der Sicht „ihres“ Sportverbandes an die Lektüre begeben (wollen), um möglicher eigener Trägheit vorzubeugen …
Marcel Fahrner: Sportverbände und Veränderungsdruck. Die Rezension von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Sportverbänden hier zu lande wird oft nachgesagt, sie seien träge und behäbig, würden sich gegen Innovationen und Reformen sträuben und verschlie-fen so ihre eigene Zukunft, weil entweder nicht die richtigen Entscheidungen oder gar keine Entscheidungen getroffen werden. Es mag dahingestellt sein, inwiefern solche vermeintlichen Zuschreibungen zutreffend und überhaupt angebracht sind oder nicht.
Wie dem auch sei: Sportverbände stehen so oder so permanent vor Herausforderungen, die sich allein aufgrund der sich ständig wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben. Insofern sind Verbände „gut“ beraten, wenn sie diese Herausforderungen annehmen und gestalten, indem sie sich selbst aktiv und perspektivisch mit ihren eigenen Leistungen einbringen, ohne dabei jedoch ihren Charakter als Freiwilligenorganisation aufzugeben oder in Frage zu stellen.
Genau an diese Stelle setzt die Problemstellung der Arbeit des Sportsoziologen Dr. Marcel Fahrner an, der nach einem Studium der Sportwissenschaft als Hauptfach und den Nebenfächern Betriebswirtschaftslehre und Zivilrecht gegenwärtig als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft bei Prof. Dr. Helmut Digel an der Universität Tübingen arbeitet.
Schon im Einbandtext des Buches ist zu lesen, worum es dem Autor hauptsächlich geht: „Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Fragen, welche Schwierigkeiten aus der Ambivalenz von Veränderungsnotwendigkeiten und der für Freiwilligenvereinigungen charakteristischen strukturellen Trägheit resultieren – und wie diese Schwierigkeiten bewältigt werden können“. Dazu beruft sich Marcel Fahrner auf die systemische Organisationstheorie, die jene Entscheidungsprämissen in den Blick nimmt, die für Sportverbände zugleich eine Bedingung der möglichen Umsetzung von Umweltansprüchen bereithalten.
Seine Studie, die im Jahre 2007 von der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Tübingen als Dissertation angenommen wurde, gliedert sich in insgesamt sechs Teile, von denen „Empirische Befunde zur Ambivalenz von Veränderungsnotwendigkeiten und struktureller Trägheit von Sportverbänden“ (Teil IV auf fast 200 Seiten) den hohen Ertrag zur Beantwortung der selbst gestellten Frage liefert.
Dazu muss man noch wissen, dass Marcel Fahrner der Frage, wie Sportverbände auf Verände-rungsnotwendigkeiten reagieren, am Beispiel und mit Verweis auf den Deutschen Turner-Bund (DTB) empirisch nachgegangen ist. Hierzu hat er drei aufwändige Fallstudien abgefasst, für die er zahlreiche verbandsinterne Dokumente ausgewertet und zusätzlich qualitative Leitfaden-Interviews mit 15 ehren- bzw. hauptamtlich im Bundesverband und auf Landesebene an verantwortlicher Stelle tätigen Personen geführt hat. Diese interviewten Personen kommen dann (namentlich geschützt) in den Studien selbst mit ihren Äußerungen „zur Sache“ zu Wort.
Allein dadurch gewinnt die Arbeit an Lesefreundlichkeit und erhält eine besondere authentischen Note – auch für diejenigen Interessierten, die sich nun aus der Sicht „ihres“ Sportverbandes an die Lektüre begeben (wollen), um möglicher eigener Trägheit vorzubeugen …
Worum geht es in den drei durchgeführten Fallstudien? Der Verfasser hat zunächst herausgefunden, welche verbandspolitischen Themen im Untersuchungszeitraum und davor im DTB angesagt waren. Daraufhin hat er folgende als besonders wichtige, weil zukunftsweisende identifizieren können: (1) die Formulierung von Strategien zur künftigen Verbandsarbeit im DTB und seiner Landesturnverbände – daraus ist die Fallstudie „Leitbild“ geworden, sodann: (2) die verbesserte Wahrnehmung der Außendarstellung und öffentliche Positionierung des DTB – daraus ist die Fallstudie „Marken-Konzept“ geworden, sowie schließlich: (3) Grundlagen für eine möglichst erfolgreiche Organisation des Hochleistungssports im DTB – daraus ist die Fallstudie „Spitzensport-Konzept“ geworden.
Im Ergebnis zeigen die drei Fallstudien eindrucksvoll, welche Instrumente und Mechanismen auf der einen Seite die intendierten Veränderungen beschleunigen helfen können und welche auf der anderen Seite eher in eine verhängnisvolle Sackgasse führen: Lücken und Tücken lauern überall – zumal selbst formal abgesicherte Festlegungen auf Bundesebene aufgrund der „operativen Autonomie“ in der nachgeordneten Verbandslandschaft nicht per se die notwendige Akzeptanz, geschweige denn die sofortige Realisierung von Veränderungen hervorrufen.
Ein Fazit von Marcel Fahrner lautet demnach auch einigermaßen ernüchternd: „Mangels Macht eingesetzter Zwang führt jedoch allenfalls zur Verstärkung verbandsinterner Tabus und Abwehrroutinen“ (S. 264). Doch allein mit „Abwehrroutine“ kann man – um im sportlichen (nicht turnerischen!) Bild zu bleiben – kein Spiel gewinnen … und für die „bessere“ Zukunft von Verbänden sollte erst recht kein Thema zum „Tabu“ erklärt werden.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann – Sportwissenschaftler an der Leibniz Universität Hannover
Marcel Fahrner: Sportverbände und Veränderungsdruck. (Band 13 der Reihe Sportsoziologie; Schorndorf 2008: Verlag Hofmann; 320 S.; 24,90 €)