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29
09
2008

Den nächsten Kilometer spurtete er in 2:48 Minuten und war allein. „Auf dem letzten Kilometer war ich nicht ich selbst“, gestand er nach dem Kraftakt. Kwambai wurde Zweiter in 2:05:36 Stunden vor seinem Landsmann Charles Kamathi (2:07:48).

Marathon in Berlin – Gebrselassie läuft wieder Weltrekord – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

 „Jetzt ist alles egal: Es ist eine 2:03. Es ist erledigt.“ Haile Gebrselassie ist am Sonntag beim Berlin-Marathon seinen 26. Weltrekord gelaufen, als erster Mensch der Welt auf den 42,195 Kilometern eine Zeit unter 2:04 Stunden – exakt eine Sekunde darunter. Und er war erleichtert. In der Vorbereitung war der 35 Jahre alte Äthiopier in den Bergen bei Addis Abbeba zwanzig Kilometer in glatt 58 Minuten gelaufen – und hatte nach diesem Test Krämpfe. Sein Arzt erteilte ihm sechs Tage Laufverbot.

Die vorletzte Woche, bevor er 2:03,59 Stunden lief, trainierte der erfolgreichste Läufer der Welt ausschließlich auf dem Fahrradergometer. „Dies ist der wichtigste Weltrekord von allen“, sagte er nun in Berlin. „Für diesen Rekord muss alles stimmen: das Wetter, die Tempomacher, die Form.“ Allein der Veranstalter belohnte ihn mit 130.000 Euro Sieg- und Rekordprämie; zusätzlich zum Antrittsgeld und Prämien seiner Sponsoren.

Irina Mikitenko unterbot nicht nur deutschen Rekord

Irina Mikitenko gewann das Rennen der Frauen in 2:19:19 Stunden und damit 80 000 Euro Prämie. Sie ist nach diesem, ihrem dritten Marathon die viertschnellste Läuferin der Welt und die schnellste in diesem Jahr. Die vor zwölf Jahren aus Kasachstan nach Freigericht in Hessen übergesiedelte Irina Mikitenko unterbot nicht nur den deutschen Rekord, den sie seit ihrem Sieg beim London-Marathon in diesem Jahr mit 2:24:14 Stunden hielt, sondern unterbot auch die 2:21:45 Stunden, die Uta Pippig 1994 auf der abschüssigen Strecke des Boston-Marathon lief. Dabei feuerte sie häufig mit energischen Gesten ihre drei Tempomacher an, während ihr Mann und Trainer Alexander vom Fahrrad aus wortreich versuchte, die Gruppe zu bremsen (siehe auch: Marathon-Siegerin Mikitenko: „Mein Mann hat mich geärgert“)
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Irina Mikitenko lief im Nationaltrikot, das sie für die Olympischen Spiele erhalten hatte – und das sie nicht hatte tragen können, weil sie wegen Rückenschmerzen ausfiel. Unter Qualen hatte sie, eine der Favoritinnen, das Rennen in ihrem Wohnzimmer verfolgt, immer wieder das Fernsehgerät ausgeschaltet und es dann doch wieder einschalten müssen. Nun hielt sie sich mit einer Zeit schadlos, die sie in die Weltklasse katapultiert und zur Favoritin der Weltmeisterschaft in Berlin im kommenden Jahr macht – wenn nicht die Terminplaner sie mit der Startzeit bereits schachmatt gesetzt haben. Der Marathon der Frauen findet am Mittag des 23. August statt, womöglich in starker Hitze.

„Auf dem letzten Kilometer war ich nicht ich selbst“

Irina Mikitenko begann das Rennen diszipliniert und ließ eine Spitzengruppe davonlaufen, die sich um Askale Tafa Magarska scharte. Nach anderthalb Stunden waren alle Begleiterinnen der Äthiopierin erschöpft zurückgefallen – und die 36 Jahre alte Irina Mikitenko kam. Seelenruhig nahm sie einen Schluck Wasser, dann ging sie, bei Kilometer 28 am Platz zum Wilden Eber, an der Führenden vorbei. Askale Magarska wurde mit mehr als zwei Minuten Rückstand (2:21,31) Zweite.

Auch Haile Gebrselassie fühlte sich mit dem Erfolg für sein Fehlen beim Marathon der Olympischen Spiele entschädigt. „Der Weltrekord ist wie ein Olympiasieg“, sagte er. Er hatte wegen der Luftverschmutzung von Peking auf den Start verzichtet und war über 10 000 Meter gestartet, der Strecke, auf der er zwei Mal Olympiasieger und vier Mal Weltmeister war. In Peking wurde er Sechster. Zu seiner Überraschung hielt in Berlin der Kenianer James Kwambai bis Kilometer 35 mit – und entpuppte sich als Konkurrent, nicht als Tempomacher. „Als ich auf seine Startnummer gesehen hatte, wusste ich, dass ich ihn nicht bis zwei Kilometer vor dem Ziel mitnehmen darf“, sagt der Äthiopier.

Den nächsten Kilometer spurtete er in 2:48 Minuten und war allein. „Auf dem letzten Kilometer war ich nicht ich selbst“, gestand er nach dem Kraftakt. Kwambai wurde Zweiter in 2:05:36 Stunden vor seinem Landsmann Charles Kamathi (2:07:48).

Gebrselassie: „Für mich ist Bolt ein begnadeter Athlet“

Noch in der Stunde seines Triumphes sprach der Rekordhalter im Aufstellen von Rekorden davon, dass er sich zutraue, den Weltrekord weiter zu drücken. „Ich glaube, dass ich 2:03:30 laufen kann. Aber von jetzt an renne ich auch gegen mein Alter“, sagte er. „Es ist nur ein Rekord. Morgen kann ihn jemand brechen. Ich muss dran denken, noch schneller zu laufen.“ Auch er will im nächsten Jahr bei der Weltmeisterschaft in Berlin starten und kündigte seinen Start bei den Olympischen Spielen 2012 in London an.

Ihn den Usain Bolt des Marathons zu nennen, ist nicht übertrieben, schließlich ist er stolz darauf, Leistungen zu erreichen, die viele für unmöglich halten. „Jemanden nur deshalb zu kritisieren, weil er schnell läuft, ist unfair“, sagte er im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über den dreifachen Sprint-Olympiasieger von Peking, der jede seiner Goldmedaillen mit Weltrekord gewann. „Für mich ist Bolt ein begnadeter Athlet.“ (siehe auch: Haile Gebrselassie: „Du kannst die ganze Welt betrügen, aber nicht dich selbst“) In welchen Dimensionen Gebrselassie läuft, illustrierte der Jubel von Falk Cierpinski. Der Sohn des zweimaligen Olympiasiegers Waldemar Cierpinski lief auf Platz neun und verbesserte dabei seine Bestzeit um mehr als zwei Minuten auf 2:13.30 Stunden. Damit ist er immer noch fast zehn Minuten von der Zeit des Siegers Haile Gebrselassie entfernt.

Entwicklung des Marathon-Weltrekords der Männer:

2:55:18,4 – John Hayes (Vereinigte Staaten) am 24.07.1908 in London
2:46:52,8 – Robert Fowler (Vereinigte Staaten) am 12.02.1909 in New York
2:38:16,2 – Harry Green (Großbritanien) am 12.05.1913 in London
2:32:35,8 – Hannes Kolehmainen (Finnland) am 22.08.1920 in Antwerpen
2:29:01,8 – Albert Michelsen (Vereinigte Staaten) am 12.10.1925 in Port Chester
2:18:40,4 – James Peters (Großbritanien) am 13.06.1953 in Chiswick
2:15:16,2 – Abebe Bikila (Äthiopien) am 10.09.1960 in Rom
2:09:36,4 – Derek Clayton (Australien) am 03.12.1967 in Fukoka
2:08:33,6 – Derek Clayton (Australien) am 30.05.1969 in Antwerpen
2:07:12 – Carlos Lopes (Portugal) am 20.04.1985 in Rotterdam
2:06:50 – Belayneh Densimo (Äthiopien) am 17.04.1988 in Rotterdam
2:05:42 – Khalid Khannouchi (Vereinigte Staaten) am 24.10.1999 in Chicago
2:05:38 – Khalid Khannouchi (Vereinigte Staaten) am 14.04.2002 in London
2:04:55 – Paul Tergat (Kenia) am 28.09.2003 in Berlin
2:04:26 – Haile Gebrselassie (Äthiopien) am 30.09.2007 in Berlin
2:03:59 – Haile Gebrselassie (Äthiopien) am 28.09.2008 in Berlin

PS: In der Aufzählung fehlt der WR von Ronaldo da Costa (Brasilien) – 2:06:05 aus dem Jahr 1998 in Berlin

Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 29. September 2008

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