Einladung zum Ökumenischen Abendgebet ©Horst Milde
Marathon-Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin am Sonnabend, dem 23. September 2017, 20.00 Uhr
Liebe Gemeinde, liebe Läuferinnen und Läufer, vor zwei oder drei Jahren hat mir ein befreundeter Pfarrer, der selbst auch läuft, dieses Lauf-Shirt geschenkt:
Hier laufe ich, ich kann nicht anders.
Daneben das Original-Logo des Gedenkens an die Reformation in diesem Jahr: Luther 2017, 500 Jahre Reformation!
Hier laufe ich, ich kann nicht anders.
Das ist kein Zitat von Martin Luther. Aber immerhin ist dieses Laufshirt entstanden als beim Hannover-Marathon eine Marathon-Staffel des Kirchenamtes der Ev. Kirche in Deutschland an den Start ging. Das zeigt zweierlei, mit dem man nicht sofort rechnet:
Christen geht es nicht nur darum, Ihren Glauben in ihrem Kopf zu bewegen. Es geht auch um den Körper und die Mitmenschen.
Und zweitens: Christenmenschen haben auch Humor und Selbstironie:
Hier laufe ich, ich kann nicht anders.
Nie im Leben wäre Martin Luther auf diesen Satz gekommen. Aber immerhin ist der junge Luther ist zu Fuß von Wittenberg nach Rom gegangen – und zurück. Das war die normale Art der Fortbewegung. Später, das wissen wir, hat sich Martin Luther auch gern in einer Kutsche befördern lassen. Da hatte er auch schon an Gewicht zugelegt wie wir von den Gemälden von Lucas Cranach wissen.
Luthers Original lautete ja:
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders"…. So soll Luther vor dem Reichstag zu Worms gestanden haben als man ihn aufforderte, seine Schriften und seine Überzeugung zu widerrufen. Was war seine Erkenntnis damals?
Zuerst handelt Gott. Gottes Liebe und Güte steht am Anfang. Gottes Einladung steht am Anfang; und nicht mein Fleiß, meine Mühe, mein Opfer, meine Leistung, mein Geld.
Aus Gottvertrauen und Glauben zu handeln, mitten in dieser Welt: darin sind wir uns heute auch ökumenisch einig! In diesem Jahr haben wir oft gemeinsam als evangelische und katholische Christen auf das geschaut, was vor 500 Jahren wieder zum Leuchten gekommen ist:
Am Anfang steht die Vergewisserung in den Worten der Bibel.
Am Anfang steht Christus, der uns einlädt, der uns ermutigt und eine Leidenschaft in uns entfacht.
Etwas zu tun, von dem man zutiefst überzeugt ist, was mich antreibt; mit ganzer und großer Leidenschaft bei der Sache zu sein, mit ganzem Herzen dabei zu sein.
Das kennen viele von uns. Darum sind wir heute hier. Wenn die Leidenschaft Dich antreibt, dann kann Unglaubliches geschehen.
Am Vorabend des Marathon liegen besondere Wochen hinter uns: Laufen nach Plan (oder ohne Plan); das ganze Leben wird auf ein Ziel und einen Tag ausgerichtet:
24. September – Berlin – 42 km.
Manche haben auch eine genaue Vorstellung, wann sie morgen wieder im Ziel sein möchten: 2:59, 3:29, 4:15, schneller als im letzten Jahr; andere wollen „nur" ankommen.
Die Zwischenzeiten sind schon lange abgespeichert.
Ob es die Spitzenläufer sind oder die leistungsorientierten Läuferinnen und Läufer oder die „Gesundheitsläufer" oder diejenigen, die es einmal ausprobieren wollen.
Alle laufen mit. Und alle laufen gemeinsam.
Uns alle verbindet dieselbe Leidenschaft für das Laufen. Es gibt nicht viele Sportarten, in denen die Freizeitsportler den Weltklasseathleten so nahe sind und in einem Wettkampf zusammen unterwegs sind; so wie wir heute miteinander, mit Irina Mikitenko oder vor einem Jahr mit Philipp Pflieger; danke dafür!
Wir laufen alle und freuen uns darauf. Wir laufen und es erfüllt uns eine gemeinsame Leidenschaft und ein tiefes Glücksgefühl, wenn es geschafft ist. Das ist nach zwanzig Läufen nicht anders als beim ersten Mal.
Hier laufen wir, wir können nicht anders …
Wer einmal länger nicht laufen konnte, weiß es genau. Wie schön ist es, wenn es wieder läuft – egal wie schnell.
Ich laufe gern. Und ich brauche es. Wenn ich regelmäßig laufe, dann geht es mir gut. Die vielen Dinge sortieren sich und manchmal kommen unerwartete Einsichten.
Jemand schreibt: „In keiner anderen Situation bin ich so sehr bei mir selbst wie beim Laufen. Man lernt so viel über sich selbst und wächst über sich hinaus, das macht mich einfach glücklich."
Oder: „Ich laufe, um den Kopf freizubekommen. Schön, wenn passend dazu nach einem Gewitter die Sonne wieder durchbricht."
Oder: „Laufen hat einen meditativen Charakter. Ich laufe ohne Musik, da bin ich froh, wenn ich die Natur aufnehmen kann."
Oder: „Eine Erkenntnis, die man beim Laufen gewinnt: Du kennst Deine Grenzen erst, wenn Du über sie hinausgewachsen bist."
Oder: „Ich brauche keine Therapie, ich muss nur laufen."
Ja: Hier laufen wir, wir können nicht anders….
Im Vertrauen auf Gott im eigenen Lebens-Lauf unterwegs zu sein, auch wenn Hindernisse im Weg liegen oder Umwege in Kauf zu nehmen sind. Darum geht es.
„Herr, du erforschest mich und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir."
So haben wir es eben mit dem Psalm 139 gebetet:
Du hältst Deine Hand über mir! Du siehst alle meine Wege!
Das wünsche ich allen, die sich morgen auf die Strecke begeben. Und ich wünsche es auch allen, die morgen an der Strecke stehen und Anteil nehmen oder als Helferin und Helfer dafür sorgen, dass alles gut geht unterwegs und nach dem Lauf.
Du hältst Deine Hand über mir! Du siehst alle meine Wege!
Auf Dich kann ich mich verlassen.
Du trägst auch meine Unsicherheit und meine Angst mit.
Du trägst auch die Bruchstücke meines Lebens und meine begrenzten Möglichkeiten.
Auch wenn es heute so erscheint, als wäre alles möglich und machbar, bestimmen doch Sorgen und Ängste unser Leben: Sorge um den Frieden, Sorge um die Zukunft, Sorge um die Familie, Angst vor noch mehr sinnloser Gewalt: Die Erschütterung der Gewalt, die vor 9 Monaten hier auf dem Breitscheidplatz die Menschen erfasst hat, kann ich noch immer spüren…. Diese Kirche ist ein Erinnerungsort, ein Ort des Gebets und der Versöhnung.
Morgen kommen über 40.000 Menschen aus 137 Nationen hier an dieser Kirche vorbei – friedlich und gemeinsam. Die Leidenschaft verbindet sie zu einer großen Gemeinschaft, ohne Gewalt und Hass.
In unseren Kirchen sind wir heute versöhnt über das, was vor fünf Jahrhunderten nicht nur zu verschiedenen Meinungen geführt hat, sondern auch zu Verhärtungen, Gewalt und Krieg in Mitteleuropa.
Wir wissen heute, dass wir gemeinsam aus der Liebe Gottes leben und das uns viel mehr verbindet als uns trennt. Wie gut tut das. Und wie sehr wünschen wir das allen Menschen.
Der Mensch ist befreit für das Leben.
Und dann ist Glauben vor allem eins: Vertrauen.
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei… ohne Angst, frei zum Handeln.
Hier laufen wir, wir können nicht anders…
Weil wir dabei das volle Leben spüren, den Atem, die Natur, die eigenen Grenzen, die Überwindung, die Erfahrung, dass es weitergeht, wo es nicht danach aussieht…
Wer noch nie gelaufen ist, schüttelt mit dem Kopf: Wie kann man nur 42 km laufen – freiwillig?
Manchen zufälligen Zuschauern an der Strecke sieht man an, dass sie uns nicht verstehen.
Und ebenso schütteln manche den Kopf, wenn es um den Glauben an Gott geht. Wie kann man nur?
Wer es noch nicht versucht hat, versteht es nicht. Man muss es machen. Beides muss man ausprobieren. Man muss sich darauf einlassen – und wirklich mit Gott rechnen im Leben.
Beim Mitmachen entsteht die Erfahrung, dass Gebete mich tragen und gute Worte mich berühren, dass Lieder mich trösten und Menschen mich halten.
Und genauso ist es beim Laufen. Man muss sich auf die ersten Schritte einlassen, wenn man das Projekt „Marathon" startet. Der Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Du musst es machen!
Ich weiß noch genau, wie das war als vor fast 20 Jahren in meiner Laufgruppe die Entscheidung fiel.
Mitten im Wald, es war Januar, kalt und windig. Am Anfang die Frage des Laufkollegen: Läuft jemand im Herbst mit mir Marathon? Großes Läufer-Palaver…
Und am Ende waren alle dabei. Ich auch.
Ich wollte es probieren. Ich wollte mich einlassen. Und ich fühlte mich ermutigt durch die Anderen.
Sie haben mich beraten und die langen Läufe mit mir geteilt
– und ich bin angekommen; direkt vor dem Kölner Dom mit Tränen in den Augen.
Und genauso ist der Anfang mit Gott:
Probier es aus, wie es ist, Gott in Deinem Leben einen Raum zu geben. Vertrau Dich ihm an.
Probier es aus, mit ihm zu rechnen in deinem Leben, und du wirst merken, dass aus dem Halt des Glaubens eine Haltung wird.
Beim Laufen, im Glauben und im Leben kommen wir an unsere Grenzen, im Großen wie im Kleinen.
Manchmal geht es nicht weiter. Der Berg ist zu hoch.
Die Kraft reicht nicht für alles. Und wir brauchen eine Unterbrechung. Wir müssen auftanken, essen und trinken, ausruhen und Abstand gewinnen. Das hat Jesus übrigens auch getan. Er stieg auf einen Berg oder fuhr auf den See hinaus.
Und auch dieses ist dem Ausdauersportler sehr vertraut. Wir kennen den Punkt, an dem die Kraft nachlässt.
Wir kennen den Punkt, an dem du meinst, es geht nicht mehr.
Das wird auch morgen so sein. Der Marathon beginnt bei km 30. O ja, der Satz stimmt – so oder so.
Und es geht trotzdem weiter. Einige (wie ich) verlängern dann die Gehpausen an den Getränkestellen.
Andere lenken sich ab und brauchen jetzt die Unterstützung von außen oder denken nur noch Schritt für Schritt, Kilometer für Kilometer. Wieder andere sagen: Bloß nicht denken, nur laufen.Und alle vertrauen darauf, dass sie ins Ziel kommen.
Und das ist im Leben nicht anders. Die Aufgaben sind manchmal riesig. Die Trauer ist unendlich. Die Belastungen kaum auszuhalten. Auch dann brauchen wir Unterbrechungen und Unterstützung von außen.
Ein Franziskanerpater hat einmal gesagt, dass man das Geheimnis des Glaubens, dass man das Geheimnis der Auferstehung erst richtig verstehen kann, wenn man selbst etwas Ähnliches erlebt hat: den Boden unter den Füßen verlieren und dann die Erfahrung machen, dass Gott mich auffängt, so dass wir am Ende lebendiger sind als vorher.
Und wenn wir in den tiefen Momenten nur in uns selbst nach neuen Kräften suchen, dann werden wir wahrscheinlich nicht viel finden.
Ich brauche bei km 35 Hilfe von außen: Die Gesichter der Zuschauer, den Rhythmus der Musikgruppen, die ermutigenden Rufe („Du schaffst das!") und wie im Leben das Vertrauen auf die Gegenwart Gottes
Also: Für morgen wünsche ich ihnen einen besonderen Tag in einer großen bunten und weltweiten Lauf-Gemeinschaft. Ich wünsche Ihnen viel Ermutigung von außen, wenn sie dran ist.
Ich wünsche Ihnen einen guten Lauf – Schritt für Schritt jeder und jede im eigenen Tempo und doch gemeinsam.
Und am Ende wünsche ich Ihnen, dass Sie eine Medaille gewinnen und vielleicht gewinnen sie ja auch noch neue Erfahrungen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als wir begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen
Peter Burkowski
Pfarrer
Die Läufer-Predigten in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin:
Marathon-Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am 24. September 2016, 20.00 Uhr