Konfettiregen beim Start für die Neuntausend ©wus-media - Wilfried Raatz
Mainz – wie es läuft und mitklatscht – Männer-Spitze nicht schnell genug, Frauen-Spitze zu schnell für gute Endzeiten – Afrika bei den Männern, Osteuropa bei den Frauen voraus – Wilfried Raatz berichtet
Eigentlich waren es nahezu ideale Laufbedingungen. Aus dem frühmorgendlichen Nieselregen war gegen Mittag längst lockere Bewölkung mit einigen Sonnenstrahlen geworden – und dennoch wollte eines bei der 13. Auflage des Novo Nordisk Gutenberg-Marathon Mainz nicht recht zusammen passen. Denn unter der strengen Leistungsbewertung waren die Ergebnisse vor den Toren der Rheingoldhalle nicht ganz das, was man sich seitens der Topathleten und deren Management als auch der Veranstalter erwartet hatte.
Denn die Streckenrekorde von Mohamed Msenduki Ikoki (2:11:01) und von Susanne Hahn (2:29:35, beide 2010 gelaufen) blieben trotz aller Anstrengungen der schnellen zumeist afrikanischen Läufer unangetastet. „wir haben etwas mehr erhofft, bei den Männern wurde an der Spitze zu lange taktiert!" gestanden Sportbürgermeister Günter Beck und Pressesprecher Ralf Peterhanwahr unisono.
Olympiahoffnungen platzten
Mit exakt zwei gleich schnellen Hälften gewann der aus dem Management von Alexander Hempel stammende Kenianer Silas Toek in 2:12:19 Stunden vor dem Streckenrekordhalter Mohamed Msenduki Ikoki aus Tansania, der nach dem Generalangriff auf der Theodor-Heuss-Brücke eine glatte Minute auf den Sieger verlor und diesmal mit Rang zwei zufrieden sein musste.
Den bunten Reigen der Afrikaner auf dem Siegerpodest rundete der Äthiopier Kassa Berhanu Meleyo mit 2:14:06 Stunden ab. Hinter Toeks Landsmann Edwin Kipchirchir Kemboi (2:14:26) folgte mit dem Moldawier Roman Prodius der erste weiße Läufer, der allerdings mit einem reichlich betrübten Gesicht im Ziel einlief, denn er verpasste die Olympianorm seines Landes mit 2:14:27 Stunden um gerade einmal 27 Sekunden. Auch der dreimalige Gutenberg-Marathon-Sieger Andrej Naumov blieb als Siebter hinter seinen Erwartungen. Noch am Vortag sagte der Mann, der in Mainz mit seinen drei Siegen „Geschichte" schreiben konnte, er wolle ins ukrainische Olympiateam. Doch dazu waren seine 2:18:29 außerhalb jeglicher Diskussionen.
„Die Türkin hat das Rennen kaputt gemacht" schimpfte Manager Miroslaw Sochanski bei der Siegerehrung. Denn kurzfristig im Elitefeld auftauchende Mehtap Sizmaz marschierte bis zur Streckenhälfte auf eine stramme 2:28er Endzeit hinaus, die selbst für die 34jährige mit einer Bestzeit von 2:31:13 angereist, ein Quantensprung bedeutet hätte. Sie und die bereits für Olympia qualifizierte Ungarin Beáta Rakonczai stiegen vorzeitig aus, die lange Zeit ordentlich mitmischende Kenianerin Esther Wanjiru Macharia verlor auf dem zweiten Streckenabschnitt sage und schreibe 12 Minuten auf die Spitze – und musste sich mit Rang drei zufrieden geben.
An der Spitze triumphierten die beiden vom Altöttinger Günther Vogl betreuten Osteuropäerinnen Tatiana Vilisova (Russland) und Olga Kotovska (Ukraine) mit 2:32:03 bzw. 2:33:17 Stunden.
Ein Hauch von Internationalität und ein Höchstmaß an Bodenständigkeit
Die Mainzer Marathonmacher mit Sportdezernent Günter Beck, Projektleiter Dieter Ebert und Josef Pollauf an der Spitze leisten sich diesen Hauch von Internationalität, wohl wissend, dass der Novo Nordisk Gutenberg Marathon Mainz eine überaus bodenständige und volksnahe Veranstaltung ist, die weit über die Region hinaus einen vorzüglichen Ruf genießt. Der 05er Stadionsprecher Klaus Hafner fühlt sich als Marathonmoderator bei Start und Ziel bei „seinen" Meenzern weitaus wohler als, wohl wissend, dass ihm dabei der eine oder andere flotte Spruch über die Lippen kommt.
Und er hatte an diesem regennassen Sonntag reichlich Arbeit, denn sein vertrauter Co-Moderator Frank Piontek war dienstlich verhindert, so dass ihm eine Solorolle zur Zieleinlauf-Kommentierung und zur Unterhaltung der vielen Zuschauer am Rathaus zuteil wurde. Mit 50.000 Zuschauern wurde der Andrang am Streckenrand eher konservativ geschätzt, diese sorgten allerdings für eine prächtige Stimmung, wie so mancher Finisher begeistert feststellte.
Nach der Abwanderung der Deutschen Meisterschaften 2010 nach Hamburg (und inzwischen in München gelandet) haben sich die Mainzer getreu dem Motto „Alles bleibt anders!" die Mainzer Marathon-Meisterschaften ausgedacht. Unter den rund 400 Bewerbern zeigten sich Martin Skalski mit 2:28:12 Stunden (nicht nur bester Mainzer, sondern auch bester deutscher Läufer) und Regina Wirsing vom USC Mainz mit 3:14:39 Stunden als Schnellste.
Benedikt Hoffmann und Kerstin Stephan Halbmarathonsieger
Auch wenn beim Halbmarathon mit dem Kenianer Luke Kipkosgei ein Afrikaner als Erster die Messmatten im Zielbereich überquerten, als Sieger wurde selbst zum eigenen Erstaunen der Freiburger Benedikt Hoffmann nach 1:09:23 Stunden gefeiert. „Das ist exakt meine Bestzeit", gestand der 27jährige künftige Gymnasiallehrer für Chemie, Biologie und Geografie. „Ich wäre schon gerne etwas schneller gelaufen, doch dazu hat es mir an Mitläufern gefehlt".
Der Freiburger lief mutterseelenallein hinter der massierten Spitze aus afrikanischen und osteuropäischen Läufern („die laufen auf einem anderen Level!") jedenfalls lag fast zwei Minuten vor dem Äthiopier Alemu Wondwossen und weitere zwei Minuten vor dem Drittplatzierten Till Schramm vom Gutenberg-Marathon-Ausrüster Saucony. „Vielleicht bin ich auch etwas zu vorsichtig angelaufen, denn vor einer Woche hatte ich beim Würzburger Residenzlauf mit 33:20 ein unerklärlich schwaches Ergebnis".
Bei den Frauen durfte sich mit Kerstin Stephan eine Wiesbadenerin auf Mainzer Boden als Halbmarathon-siegerin feiern lassen. Nach 1:23:31 Stunden war sie im Ziel und hatte dabei eine neue Bestmarke aufgestellt – und war dennoch nicht völlig zufrieden. „Die Zeit ist nicht super, aber ich wollte gewinnen. Das ist mir gelungen. Die Stimmung ist kaum zu schlagen, das muss selbst ich als Wiesbadenerin den Mainzern gegenüber feststellen!" Neunzehn Sekunden dahinter kam die Klagenfurterin Anja Prieler ins Ziel. Sie war mit den kenianischen „Ösis" des Laufprojektes „Run2gether" angereist. Auf Rang drei die Darmstädterin Gabi Hofmeister mit 1:24:17 Stunden.
Qual der Wahl: Spontan ins Ziel – oder in die zweite Runde
In der Regel ist der Gutenberg-Marathon binnen Tagen mit 9 500 Anmeldungen ausgebucht, heuer brauchte es sogar vier Monate, bis das Online-Portal geschlossen werden konnte. Ob Marathondistanz oder nur die halbe Strecke, in Mainz hat Spontanität Triumph, denn die Entscheidung für oder gegen Marathon kann ein Läufer kurz vor dem Ziel erst treffen. Der „Kampf gegen den inneren Schweinehund" dürften alljährlich viele in letzter Sekunde noch verloren haben, wenn das Ziel mit so mancher Leckerei (oder einem alkoholfreien Bier) und nicht noch einmal 21,097 Kilometer lockt. Scheinbar ließen sich diesmal besonders viele von den Regenwolken massiv abschrecken, denn lediglich 1189 Marathonläufer und 7 670 Halbmarathonläufer passierten die Messmatten im Ziel.
Vico Merklein und Andrea Eskau auf dem Weg nach London
Wenn schon auf dem rutschigen Mainzer Asphalt- oder Pflasterbelag so manche Olympiahoffnung im Laufbereich geplatzt sein dürfte, zwei Handbiker jedenfalls haben allerbeste Chancen auf eine Nominierung. Mit Andrea Eskau und Vico Merklein setzten sich nämlich in Mainz auf der halben Distanz zwei der weltbesten Athleten ihrer Kategorie durch. Andrea benötigte gerade einmal 36:48 Minuten, die Konkurrenz war gleich mindestens fünfzehn Minuten länger unterwegs. Vico zeigte einmal mehr seine Spurtstärke, denn der aus Babenhausen in Hessen stammende Weltklassemann lag mit 36:41 Minuten nur hauchdünn vor Stefan Bäumann, Joel Weingut, Bernd Jeffré und Thorsten Purschke.
Plattform für den Nachwuchs
Der Gutenberg Marathon ist nicht nur ein Anlass für die Großen, sondern auch für den sportlichen Nachwuchs. Für die Ekidenstaffel der Schulen (über die Halbmarathondistanz) wurden 400 Staffeln registriert. Der neu geschaffene Mainzer Mini-Lauf ist mit 200 Bambinis durchaus noch erweiterbar, wie Sportdezernent Günter Beck beim Abschluss-Pressegespräch am Sonntagnachmittag im Rathaus feststellte. „Es war ein gelungenes Wochenende" freute sich Marathon-Projektleiter Dieter Ebert.
Neben einem überaus harmonisch verlaufenen Novo Nordisk Gutenberg Marathon Mainz bezog er allerdings als „Gladbach-Fan" den Sieg seiner Mannschaft (pikanter Weise gegen Mainz 05) am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga feiern.
Wilfried Raatz
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