Sportarten kämpfen schon immer gegeneinander, um Aufmerksamkeit, Übertragungszeit im Fernsehen, um öffentliche Fördermittel. Aber erst jetzt, im Dopingstrudel, wird dieser Kampf offen ausgetragen. Der Radsport hat an Übertragungszeit verloren, die Leichtathletik gewonnen. Weniger Tour de France heißt mehr deutsche Leichtathletik-Meisterschaften.
Lohn der Strenge – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Training oder Doping
Sportarten kämpfen schon immer gegeneinander, um Aufmerksamkeit, Übertragungszeit im Fernsehen, um öffentliche Fördermittel. Aber erst jetzt, im Dopingstrudel, wird dieser Kampf offen ausgetragen. Der Radsport hat an Übertragungszeit verloren, die Leichtathletik gewonnen. Weniger Tour de France heißt mehr deutsche Leichtathletik-Meisterschaften. Gut möglich, dass die Zuschauer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen an diesem Wochenende dadurch tatsächlich weniger gedopte Athleten zu sehen bekommen.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband sieht sich jedenfalls bestätigt. Die Anti-Doping-Politik des Verbandes sei honoriert worden, sagt der Präsident Clemens Prokop. Und gedacht hat er sich wohl noch: Die Versäumnisse des Radsports sind bestraft worden. In der Tat redet gerade der Präsident des DLV über seine Maßnahmen gegen den Betrug noch mehr als über seine besten Athleten. Aber es ist dennoch kurios, dass ausgerechnet die Leichtathletik nun profitiert, jene Sportart, die mit Ben Johnson den wohl spektakulärsten Dopingfall der olympischen Geschichte vorzuweisen hat.
Überhaupt ist es die Frage, ob dieser Wettbewerb der Sportarten ganz fair ist. Die Leichtathletik müsste schließlich mit ihren Weltmeisterschaften gegen die Tour de France antreten. Ob dann die Dopingquote im Radsport auch noch höher wäre? Am besten also, es gäbe auf internationaler Ebene einen Wettbewerb der Sportarten. Gesucht wird: der Weltmeister der Dopingkontrollen. Zu gewinnen gibt es: eine Übertragung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, garantiert bis zum Finale.
Training oder Doping
Von seinen Sportlern verlangt der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) einiges, am Ende sogar Doping? Wer sich vom DLV für die Weltmeisterschaft Ende August in Osaka nominieren lassen möchte, muss hohe Qualifikationsnormen erfüllen. Und in manchen Disziplinen sind diese Normen so hoch, dass sie wohl vor allem mit Doping zu erfüllen sind.
Der für Leistungssport zuständige Vizepräsident Eike Emrich versucht erst einmal zu beruhigen. „Diese Normen sind auch schon vor zwei, drei Jahrzehnten erreicht worden“, sagt er, aber der Universitätsprofessor aus Saarbrücken merkt gleich, dass dies als Argument nicht ausreicht. Schließlich hätte auch damals schon Doping im Spiel sein können. Also schiebt er hinterher: „Vielleicht trainieren wir einfach falsch.“
Über den Dopingverdacht wurde bei den deutschen Meisterschaften im Erfurter Steigerwaldstadion schon gesprochen, als der erste Hammer der Frauen noch nicht durch die Luft geflogen war. Der Mittäterschaft will sich der DLV natürlich nicht schuldig machen, weshalb Emrich gleich die Maßnahmen des Verbandes gegen den Betrug aufzählt: Fünf Prozent seines Haushaltes investiere der Verband in Dopingkontrollen, außerdem unterstütze er die Athleten dabei, sich beruflich neben der Karriere auszubilden.
Kontrollen und soziale Absicherung hält der Sportsoziologe Emrich für die schärfsten Waffen gegen Doping und ist an diesem Nachmittag schnell beim Radsport angekommen. Der kümmere sich nämlich nicht um die berufliche Zukunft des Athleten. „Der Radsport hat frühkapitalistische Arbeitsverhältnisse. Es ist ein reines Berufsathletentum.“ Die soziale Absicherung durch eine Ausbildung oder ein Studium mache dagegen immun gegen die Verlockungen der Leistungsmanipulation. Für den Radsport hat der Professor daher noch einen Vorschlag: Warum nicht eine Rentenkasse einrichten für Radprofis, aus der eine berufliche Ausbildung bezahlt werden kann?
Ausgelassen hat Emrich bei seiner Aufzählung der Anti-Doping-Waffen die Prävention. Dabei hat doch gerade die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) eine Präventionsoffensive ausgerufen. „Ich halte die Prävention in ihrer Leistungsfähigkeit für überschätzt. Die Abschreckung durch Strafen ist stärker“, sagt Emrich, der zu den Vordenkern des deutschen Sports gehört. So durchdacht seine Argumentation auch ist, so sehr muss er auch immer wieder auf fehlende Macht verweisen, das Dopingproblem sei schließlich ein internationales. Dass aber internationale Verbände sich genauso intensiv darum kümmern wie etwa der DLV, damit rechnet Emrich erst einmal nicht.
„Das sind vordemokratische Strukturen in den internationalen Verbänden“, sagt er und spricht von „Seilschaften“ und „Kumpanei“. Die Freude an der Leichtathletik will er sich dadurch jedoch nicht nehmen lassen, auch nicht die an den deutschen Meisterschaften. „Hier trifft sich eine Wertegemeinschaft. Wir sind Leichtathletik.“
Außerdem hat Emrich noch eine Hoffnung: dass sich die deutschen Athleten durch besseres Training steigern. „Wir trainieren zu viel, die Anforderungen sind zu hoch und in einigen Bereichen nicht klug genug.“ Die Trainer hätten manchmal einfach vergessen, was sie noch vor einigen Jahren besser gemacht hätten. Entscheidend sieht Emrich manchmal jedoch gar nicht einmal das Wissen an, sondern das Fühlen. „In den vergangenen 20 Jahren ist die Durchdringung des Trainings durch die Wissenschaft immer weiter fortgeschritten. Man ist immer mehr objektiven Kennziffern gefolgt und nicht individuellen“, sagt der DLV-Vizepräsident.
Seine Forderung an die Trainer: die Athleten intuitiver anleiten, individueller, erzieherischer. „Ein guter Trainer ist eine Mischung aus Ingenieur und Künstler“, sagte Emrich.
Friedhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Sonnabend, dem 21. Juli 2007