Manfred Steffny - Foto: privat
Lesetipps: Biografien im Sport boomen weiter: Elf neue Werke im Kurzporträt – Von Bob Hanning über Erwin Kostedde bis Manfred Steffny …
Biografien boomen – auch im Sport und nicht erst seit kurzem. Aber: Allein in diesem Jahr sind zahlreiche Biografien von bekannten und weniger bekannten Sportlerinnen und Sportlern erschienen, die teilweise bisher verborgene Einblicke in ein Leben mit Sport und außerhalb bieten.
Interessant ist dabei manchmal auch die historische Zeit, in der diese Menschen im Sport tätig waren und unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen ihre Karriere spielte.
Aus der Fülle dieser Publikationen wird hier nur eine kleine Auswahl von insgesamt elf Biografien kurz und bündig vorgestellt. Die Auswahl beansprucht weder Vollständigkeit noch Repräsentativität, was die Palette der Sportarten oder Sportbereiche betrifft. Diese kleine Sammelbesprechung will Leseinteresse wecken und zugleich dazu einladen, sich auf die Suche nach weiteren Sport-Biografien (auch aus früheren Erscheinungszeiträumen) zu begeben. Die Bücher werden hier in alphabetischer Reihenfolge der Autoren im Kurzporträt präsentiert. Da es sich meistens, aber nicht immer um Auto-Biografien handelt, sind das dann nicht immer die betreffenden Sportlerinnen und Sportler selbst:
Thomas Bertram: Ernst Kuzorra. Der größte aller Schalker. Bielefeld 2021: Die Werkstatt. 414 S.; 28,- €
Ernst Kuzorra ist am 16. Oktober 1905 in Gelsenkirchen geboren und dort am 1. Januar 1990 gestorben. Er spielte immer für den FC Schalke 04. Die Biografie erzählt das (fußballerische) Leben des (gemäß Buchtitel) „größten aller Schalker“. Ernst Kuzorra war das Gesicht der Schalker-Erfolgself der 1920er und 1930er Jahre, als der Club sechsmal Deutscher Meister wurde und Ernst Kuzorra mit dem berühmten „Schalker Kreisel“ gegnerische Mannschaften mit und ohne Ball durcheinanderwirbelte. Schalke 04 als Klub der Bergleute im Ruhrgebiet schrieb damals schon ein starkes Stück Migrationsgeschichte im und durch Sport, quasi auf dem Fußallplatz und drumherum. Der Autor Thomas Bertram (geb. 1954) ist ebenfalls in Gelsenkirchen geboren und seitdem Schalke-Fan. In seinem „dicken“ Band schaut er auch hinter die Kulissen der historischen Zeit auf Schalke, was z.B. Kuzorras Umgang mit den Nationalsozialisten und seine kurze Länderspielkarriere angeht.
Thomas Breer mit Jutta Hajek: Der Marathon-Pater. 6000 Kilometer gegen die Armut. München 2021: bene! Verlag.188 S.; 18,- €
Thomas Breer (geb. 1964) ist als Pater in der Prämonstratenser Abtei im Duisburger Stadtteil Hamborn tätig. Pater Thomas ist außerdem Läufer. Er hat über 100 Marathon- und Ultraläufe absolviert und dabei nicht nur 60.000 Kilometer durchlaufen, sondern in dieser Zeit auch rund 1,5 Mio. Spendengelder „gegen die Armut“ (gemäß Titel) für bedürftige Menschen erlaufen. Insofern ist das Buch einerseits eine Art Strecken- und Spendensammelreport, zugleich aber auch der Versuch, das Laufen mit intensiven Glaubenserfahrungen zu verbinden: „Das Laufen gibt mir Kraft. Wenn ich unterwegs bin, habe ich Zeit für mich: zum Nachdenken, aber vor allem zum Gebet“, mit diesen Worten wird der Priester im hinteren Klappentext selbst zitiert. Die insgesamt 17 Kapitel tragen durchaus „sportiv-weltliche“ Überschriften wie: „Bloß nicht aufgeben“ oder „Das Leben ist ein Langstreckenlauf“ oder „Wir sind zum Laufen geboren“ … bis hin zu: „Alle sind willkommen“.
Catra Corbett: Wiedergeburt. Mein Weg aus der Sucht zum Ultramarathon. Aus dem Englischen von Alison Flint-Steiner und Robert Steiner. Hamburg 2021: egoth. 268 S.; 23,99 €
Catra Corbett kann man, muss man aber nicht kennen. Sie sieht aus wie ein Rockstar mit all ihren Piercings und Tattoos. Sie gilt tatsächlich aber als Rockstar der (amerikanischen) Ultralaufszene. Catra Corbett ist die erste Amerikanerin, die nachweislich mehr als hundert Mal über hundert Meilen oder mehr gelaufen ist; sie hält die schnellste bekannte Zeit für den 425 Meilen lange „John Muir Trail“, den sie in zwölf Tagen, vier Stunden und 57 Minuten bewältigt hat. Dabei ist das Buch auch die Geschichte einer Frau, die drogensüchtig war und einen Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, die mit Depressionen und Essstörungen klarkommen musste und die dann den Weg in das Laufen fand, um auf diesem Langstrecken-Pfad („ausdauernd“) ihre psychischen Probleme besiegen zu können.
Bob Hanning (mit Christoph Stukenbrock): Hanning. Macht. Handball. Geheimnisse aus dem Innersten eines faszinierenden Sports. Mit einem Kapitel von Stefan Kretzschmar. Hamburg 2021: Edel Sports. 234 S.; 19,95 €
Bob Hanning (geb. 1968) ist nicht nur in Handballkreisen bekannt. Sein oftmals buntes Outfit und seine oftmals markigen Worte haben ihn über den Handballsport hinaus zu einem medial gefragten Akteur gemacht – nicht nur in seiner Funktion als Vize-Präsident Leistungssport im Deutschen Handball-Bund (DHB), jenem Ehrenamt, für das er beim letzten DHB-Bundestag im Herbst 2021 in Düsseldorf nicht wieder kandidiert hatte. In seiner Biografie will er „Geheimnisse“ seines Sports preisgeben, die allerdings längst keine Geheimnisse mehr sein dürften angesichts der großen und breiten Resonanz, die das Werk seit seiner „mächtig“ inszenierten Präsentation am 1. Oktober im Berliner Wintergarten seitdem gefunden hat.
Alexander Heflik: Erwin Kostedde. Deutschlands erster schwarzer Nationalspieler. Bielefeld 2021: Die Werkstatt. 208 S.; 19,90 €
Erwin Kostedde (geb. 1946) ist der erste schwarze Fußball-Nationalspieler im Dress des Deutschen Fußball-Bundes. Sein Vater ist ein unbekannter US-amerikanischer Soldat („GI“), seine Mutter stammt aus Münster, wo Erwin aufwächst und beim SC Münster 08, dann bei Saxonia Münster und später bei Preußen Münster zum Fußball kommt, bevor ihn seine Karriere mit 520 Bundesligaspielen und 291 Toren zu Kickers Offenbach, Hertha BSC Berlin, Borussia Dortmund, Werder Bremen und nach Belgien zu Standard Lüttich und zu Stade Laval nach Frankreich führt, wo er jeweils Torschützenkönig der höchsten Liga wird. Im Buch geht es aber nicht nur um die Sonnenseiten im Fußball-Leben von Erwin Kostedde. Zu den Schattenseiten gehören zuerst prägende Rassismuserfahrungen als Kind, später ein Suizidversuch, Alkoholprobleme und andere versiebte Chancen im Leben. Richtig glücklich habe er sich immer nur auf dem Platz gefühlt, bilanziert Erwin am Ende, da konnte er alles vergessen … uns muss sein Leben ermahnen und wachrütteln!
Philipp Lahm: Das Spiel. Die ganze Welt des Fußballs. München 2021: Beck. 272 S.; 19,95 €
Philipp Lahm (geb. 1983) kennen alle. Er war 2014 Kapitän der Weltmeister-Mannschaft in Brasilien, mit dem FC Bayern München u.a. 2013 Triple-Sieger. Er ist Ehrenspielführer beim Deutschen Fußball-Bund und gegenwärtig Turnierdirektor für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Er hat eine Stiftung für Sport und Bildung gegründet, mit der er Kindern und Jugendlichen in unserem Land, aber auch in Südafrika helfen will, ihren Weg in das Leben (egal, ob mit Fußball oder nicht) zu finden. Im Buch schöpft er aus seinen Erfahrungen auf dem Spielfeld und außerhalb, kontroverse Themen wie Spielergehälter, Homophobie, Korruption u.a. sind darin auch eingeschlossen. Er formuliert seine Sichtweise auf „Das Spiel“ (Titel) – Kostprobe gefällig? Vielleicht ganz einfach zum Stichwort „Regeln“: „Vielleicht war es ja gerade dieses Erleben, wie mir Regeln im Sport meine Chancen gesichert haben, dass ich dann auch einen Blick dafür entwickelt habe, dass man gut durchs Leben kommt, wenn man sich an Regeln hält. Es hat mir Sicherheit und Klarheit gegeben zu wissen, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Nach dieser Methode erzogen worden zu sein und auch selbst zu erziehen, schafft Grenzen und errichtet Leitplanken, an denen man sich orientiert. Regeln müssen eingehalten werden, damit das gesellschaftliche Miteinander funktioniert“ (S. 175).
Felix Neureuther: Für die Helden von Morgen. Wien 2021: egoth Verlag. 178 S.; 24,90 €
Felix Neureuther (geb. 1984) ist der Sohn des deutschen Ski-Legenden-Ehepaares Rosi Mittermaier (geb. 1950) und Christian Neureuther (geb. 1949). Felix ist das Skifahren quasi seit seiner Geburt in München-Pasing in die Wiege gelegt, obwohl er u.a. als Schüler zusammen in einer Mannschaft mit dem späteren Nationalspieler Bastian Schweinsteiger (FC Bayern München) sein Talent im Fußball ebenso unter Beweis stellen konnte. Im Skisport gewann er u.a. fünf Medaillen bei Weltmeisterschaften und 13 Weltcup-Rennen. Aber im Buch geht es gar nicht so sehr (außer auf Fotos) um die sportliche Karriere von Felix Neureuther … ist es gar eine Anti-Biografie? Nein, denn es geht um die „Helden von Morgen“ im Sport und um die Grundwerte des Sports, die diese Helden weiterhin begleiten sollen, weil sie originär zum Sport dazu gehören: Ehrlichkeit, Toleranz, Selbstdisziplin, Siegeswille, Wetteifer, Hingabe, Teamgeist und viele mehr … dafür lässt Felix Neureuther im Buch sogar andere Menschen, darunter auch prominente Sportlerinnen und Sportler zu Wort kommen: Von Arnold Schwarzenegger über Thomas Müller bis hin zu Urs Lehmann, den Schweizer-Skiweltmeister von 1993 im Abfahrtslauf und heutigen Präsidenten des Schweizerischen Skiverbandes.
Lorenz Peiffer und Moshe Zimmermann: Emanuel Schaffer. Zwischen Fußball und Geschichtspolitik. Eine jüdische Trainerkarriere. Bielefeld 2021: Die Werkstatt. 200 S.; 22,- €
Emanuel Schaffer (1923-2012) ist der erfolgreichste Fußball-Nationaltrainer Israels. Bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexico führte er seine Mannschaft in die Runde der letzten 16. Das war nicht nur der größte Erfolg in seiner Karriere, sondern auch der des israelischen Fußballs insgesamt bis heute. Dabei wurde die Trainerkarriere von Emanuel Schaffer, der in Recklinghausen aufwuchs und dem Holocaust nur knapp entkam, noch durch ganz andere Höhepunkte geprägt. Seiner Freundschaft zum damaligen Bundesligatrainer Hennes Weisweiler (1919-1983) ist es zu verdanken, dass im Februar 1970 das erste offizielle Spiel einer bundesdeutschen Mannschaft auf israelischem Boden stattfinden konnte – nämlich: Borussia Mönchengladbach gegen die von Schaffer betreute Nationalelf Israels. Die aufwendig recherchierte Biografie über Emanuel Schaffer zeichnet mehr nach als nur eine fußballverrückte Persönlichkeit: Die beiden Autoren gehen als Historiker in gleiche Weise zentralen Fragen rund um den Holocaust und der neuere Entwicklung deutsch-israelischer Beziehungen nach. Lorenz Peiffer (geb. 1947) lehrte als Leiter des Arbeitsbereichs „Sport und Gesellschaft“ am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover; Moshe Zimmermann (geb. 1943) als Experte für die deutsche Sozialgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts an der Universität Jerusalem.
Marco Russ mit Alex Raack: Lämpfen. Siegen. Leben. Ein Leben für den Fußball und gegen den Krebs. Hamburg 2021: Edel. 238 S.; 19,95 €
Marc Russ (geb. 1985) spielte seit seinem elften Lebensjahr Fußball bei Eintracht Frankfurt. Seine aktive Karriere hat er 2020 beendet, nachdem er sie zuvor für zwei Jahre unterbrechen musste – warum? Die Diagnose des Urologen lautete „Sie haben Hodenkrebs“. Doch darum geht es erst in Kapitel 14 mit der Überschrift „Sie haben Krebs“ ab Seite 163, als bei Marco Russ ein erhöhter Beta-HCG-Wert festgestellt worden war. Davor erzählt er uns erstmal seinen Weg in die Eintracht und mit der Eintracht im Rückblick und das durchaus hier und ab mit viel Selbstreflexion: „Mein Glück war, dass ich auf strenge, aber fürsorgliche Lehrer traf, die mir das ein oder andere Mal pädagogisch wertvolle Tritte in den Hintern gaben. Zeugwart-Legende Franco Lionti machte mir geduldig, aber lautstark deutlich, was man als Profifußballer auch zu beachten hatte“.
Kristina Vogel: Immer noch ich. Nur anders. Mein Leben für den Radsport. München 2021: Malik. 272 S.; 20,- €
Kristina Vogel (geb. 1990) ist mit elf Weltmeistertiteln und als zweifache Olympiasiegerin die weltweit erfolgreichste Bahnradsportlerin. Kristina Vogels großartige Karriere als Aktive im Radsport fand ein jähes Ende, als sie im Juni 2018 auf der Radrennbahn in Cottbus beim Sturz einen so schweren Trainingsunfall erlitt, dass sie seitdem von der Brust abwärts querschnittsgelähmt ist: Sie kracht mit voller Fahrgeschwindigkeit auf einen Trainingskameraden, der mit seinem Rennrad „ohne Not“ mitten auf der Bahn steht. Doch Kristina Vogel gibt nicht auf. Ihr „Leben für den Radsport“ geht weiter, nicht nur als Radsport-Kommentatorin bei den Olympischen Spielen neulich in Tokio. Kristina Vogel spornt uns alle an und macht insbesondere Menschen mit Behinderungen Mut, stark zu sein und stark zu bleiben … bis in das letzte Kapitel im Buch mit dem Titel „Ein zufriedener Mensch“. Wer wollte das nicht sein? Bitte selber hier nachlesen!
Manfred Steffny: Nicht immer leichtfüßig. Mein erstes Leben. Erkrath 2021: Spiridon-Verlag. 126 S.; 8,90 €
Manfred Steffny (geb. 1941) ist ein international erfolgreicher Langstreckenläufer mit zweifacher Olympiateilnahme im Marathonlauf (1968 und 1972). Er ist Begründer und bis heute Herausgeber des ältesten deutschsprachigen Laufmagazins „spiridon“. Manfred Steffny ist in Trier in einer sportbegeisterten Familie aufgewachsen: Bruder Herbert war ebenfalls ein erfolgreicher Marathonläufer, Schwester Christa war Stadtmeisterin im Badminton und Vater Alfons im (Feld-) Handball aktiv.
Manfred Steffny ist „von Haus aus“ gelernter Sportjournalist. Im Buch zeichnet er seine verschiedenen „Laufbahnen“ nach: im Beruf und im Sport und nicht zuletzt mit seiner Familie …
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in der DOSB Presse