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26
04
2010

Für viele völlig daneben ist wohl auch dieser sehr gewagte Vorschlag: „Sie können mit einem Menschen, den Sie lieben, alles Mögliche gemeinsam unternehmen, nur laufen sollten Sie mit ihm nich

Leo Stierhof: Lebe und laufe. Erfahrungen eines Ultraläufers – Die Rezension von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann – Eine heile Welt des Laufens

By GRR 0

 Eine Vorbemerkung: Im Berliner Frieling-Verlag erscheinen in aller Regel Bücher mit Risikobeteiligung. Wer hier publiziert, muss Geld mitbringen. Darunter hat es in der Vergangenheit immer mal wieder ambitionierte Autoren aus der Läuferszene gegeben wie Günter Stubenrauch („Sportlich laufen – gesund leben. Ein Laufbuch für Einsteiger und ‚alte Hasen’“, 1998) oder Eberhard Pfleiderer („Einstieg Berlin-Marathon. Erfahrungen eines passionierten Langstreckenläufers“, 2001). Auch Leo Stierhof (Jahrgang 1939) reiht sich hier ein.

Sein neues Buch ist der Versuch, uns (s)eine heile Welt des Laufens näher zu bringen. Manche mögen sich davon gleich angezogen fühlen. Für andere ist diese Welt des Laufens … womöglich Welten von der eigenen entfernt. Leo Stierhof bezeichnet sich selbst als Lebensläufer und Ultraläufer. Das soll heißen: Er läuft (sogar wettkampfmäßig) seit seiner frühen Jugend und er läuft seitdem immer längere Strecken.

War es damals im Jahre 1954 die 3×1000-m-Staffel, für die er von seinem Verein (Jahn Regensburg) nominiert wurde, dann sind es heute sogar 24-Stunden-Läufe, bei denen er schon mal auf 125,955 km kommt wie im Jahre 2006 in Basel oder sogar Sieger in sei-ner Altersklasse wird wie im gleichen Jahr in Wörschach. Leo Stierhof läuft „täglich bis zu drei Stunden bei jedem Wetter“ (S. 19). Er führt darüber seit Jahrzehnten ein Lauftagebuch.

Inzwischen hat er die 220.000-km-Marke durchlaufen. Diesen seltenen Moment hält er mit rührenden Worten im Buch so fest: „An meinem geistigen Kilometer-Stein bleibe ich stehen. Mein Blick richtet sich nun nach Süden zum Himmel … Ich falte meine Hände und danke Gott nicht nur für meinen sportlichen, sondern für meinen gesamten bisherigen Lebenslauf. Meine Gedanken wandern zu vielen Läufern, die ich aus den Augen verlor. Danach denke ich an Läufer, die gerne noch laufen würden, aber nicht mehr können. Zuletzt denke ich noch an Läufer, die ich kannte und deren Lebenslauf bereits zu Ende ging“ (S. 100).

Betrachtet man den schmalen Band von Leo Stierhof texttheoretisch, dann sind es summarisch kurze Notizen aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz als „Lebensläufer“, durchweg garniert mit teilweise drolligen Aphorismen, die gleichsam erkennen lassen, dass Leo Stierhof auch außerhalb des Laufens der Vorstellung von einer heilen Welt nachhängt.

Seine heile Welt basiert zu allererst auf dem heilsamen Gedanken, dass wir mit uns selbst ins Reine kommen müssen. Dann sollte es gelingen, sich ein Leben lang unaufhörlich in der eigenen Welt des Laufens zurechtzufinden. Das ist kurz und knapp die Heilsbotschaft von Leo Stierhof. Dafür sieht er sich selbst quasi in der Rolle als laufender Missionar, Lebenskünstler, Langzeitmodell und eben dazu noch als Autor.

Was behauptet er doch zwischendurch von sich: „Solange ich laufen kann, geht es mir gut“ und wie substanziell ist doch für ihn das Laufen als Lebensverankerung geworden: „Laufen ist doch nicht alles. Aber ohne zu laufen ist alles nichts!“ (S. 88). Man könnte meinen, hier spricht ein Laufsüchtiger. Stierhof würde das vermutlich verneinen und antworten: „Wenn ich einmal einen Tag ausgesetzt habe, so hat mir etwas für mich Wichtiges gefehlt“ (S. 13).       

Genauso wird es manchem sicher schwer fallen, gleich alle Heilssätze zu beherzigen. Für Leo Stierhof gibt eben nur gut und böse. Diese Schwarzweiß-Malerei fängt beim Laufen an und trennt ganz krass so: „Laufende Menschen sind lebende Menschen. Stehende Menschen sind sterbende Menschen“ (S. 17). Das ist schon verdammt hart. Hat er das wirklich so gemeint? Für viele völlig daneben ist wohl auch dieser sehr gewagte Vorschlag: „Sie können mit einem Menschen, den Sie lieben, alles Mögliche gemeinsam unternehmen, nur laufen sollten Sie mit ihm nicht“ (S. 12).

Am Ende (im „Nachruf“, S. 127) klingt dann alles plötzlich ganz anders und sogar sozialverträglich: „Denn Menschen, die gemeinsam laufen, werden niemals zu Feinden“. Im Umkehrschluss könnte das auch heißen: Nur die Feinde laufen nicht mit! Willkommen bei Herrn Stierhof in der heilen Welt … zu Gast bei laufenden Freunden!

Eine Nachbemerkung: Schon im Vorwort beklagt sich Leo Stierhof, der bereits 2002 und 2005 zwei Werke („Der Schritt vom körperlichen zum geistigen Laufen. Erfahrungen eines spirituellen Läufers“ und „Läuferglück und Gedankenfreiheit. Ein Weitläufer findet zu innerer Ruhe“) im Frieling-Verlag publiziert hat, darüber, dass sich für diese beiden „kaum jemand interessiert“ hat.

Demnach müssen diese beiden Bücher ein Flop gewesen sein. Ob das nun mit dem dritten anders wird?

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann  

Eine heile Welt des Laufens
Leo Stierhof: Lebe und laufe. Erfahrungen eines Ultraläufers. Berlin 2008: Frieling. 128 S.; 7,90 €.

author: GRR

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