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2011

Erst war von Rückenschmerzen zu hören, die sie zur Aufgabe gezwungen haben sollten, dann erreichte Renndirektor Mark Milde die Nachricht, bitte ihren Blackout zu entschuldigen; der Sonntag sei nicht ihr Tag gewesen

Leichtathletin Mockenhaupt – So eine Kopfsache – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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„April, April!“, rief Sabrina Mockenhaupt, als bei der Vorstellung der Favoriten des Berliner Halbmarathons allen Ernstes diskutiert wurde, dass sie sich mit dem Streckenrekord von 1:07,16 Stunden doch ein sehr ehrgeiziges Ziel gesteckt habe. Alle lachten. Weil ein Kameramann geschlafen hatte, musste die Läuferin aus Siegen ihren Aprilscherz sogar ein zweites Mal machen.

Das ist Showbusiness. Als es am Sonntag in Berlin bei strahlender Sonne und sommerlichen Temperaturen dann auf die 21,1 Kilometer ging, war Schluss mit Scherz und Show.

Die kurzfristig verpflichtete Kenianerin Valentine Kipketer lief der Favoritin Sabrina Mockenhaupt auf und davon (und siegte später in 1:10:12). Für die Deutsche war schon nach der Hälfte der Distanz Schluss. Erst war von Rückenschmerzen zu hören, die sie zur Aufgabe gezwungen haben sollten, dann erreichte Renndirektor Mark Milde die Nachricht, bitte ihren Blackout zu entschuldigen; der Sonntag sei nicht ihr Tag gewesen. Offenbar ein Kopfproblem.

Kenianer laufen, Deutsche machen sich Gedanken – auf diesen Nenner hatte Sabrina Mockenhaupt schon vorher den großen Unterschied zwischen den Athleten hierzulande und denen aus Afrika, besser: Ostafrika, gebracht. Und wo sie schon dabei war, differenzierte sie: „Die aus dem Osten machen sich viel mehr Gedanken.“ Im Trainingslager in Südafrika hatte sie begeistert aufgenommen, was der neue, aus Potsdam stammende Marathon-Bundestrainer Ronald Weigel auf den ersten Blick sah: „Dein Schritt ist gut, aber deine Arme sind eine Katastrophe.“

Sabrina Mockenhaupt, die aus dem Siegerland im Westen stammt und für den Kölner Verein für Marathon startet, befand sich selbst gerade in einer Phase gründlichen Nachdenkens, um nicht zu sagen: des Selbstzweifels. Im Dezember hat sie die Marke von dreißig Jahren überboten, und da fragte sie sich, wie lange sie noch laufen solle, wie sie ihre Möglichkeiten ausschöpfen und wohin ihr Weg überhaupt führen solle.

In Siegburg fand sie ihren neuen Trainer Thomas Eickmann, dessen stramme und nicht selten lautstarke Führung der Potsdamer Weigel um zielgerichtete Innovation und der sächsische Läufer René Pollmächer um konzentrierten Ehrgeiz ergänzen. „So ein Engagement habe ich selten erlebt“, schwärmte die Läuferin vom Bundestrainer. „Die Ost-Mentalität ist so: Sie sind nicht so satt.“

„Ich laufe auch in Lumpen rum“
 
Wer ihr, deren Fröhlichkeit selten versiegt, vorhält, dass sie doch recht eigentlich ein Wessi wie aus dem Bilderbuch sei, löst fast so etwas wie Betroffenheit aus. „Die Leute kennen mich gar nicht“, erwiderte sie in Berlin. „Ich laufe auch in Lumpen rum, und keiner weiß, wie oft ich weine, weil mir vom Training alles weh tut oder weil ich unzufrieden bin.“

Am Sonntag war es vermutlich wieder so weit. Dabei wollte Sabrina Mockenhaupt mit neuem Team, mit neuem Ehrgeiz und mit neuer Konzentration ganz große Ziele angehen. Alles in diesem Jahr sei auf die Vorbereitung auf den Marathonlauf der Olympischen Spiele 2012 in London ausgerichtet. Nach ihrem ersten Höhentrainingslager in Dullstroom in Südafrika in zweitausend Meter Höhe machte sie sich daran, ihr Training um Intervall-Läufe zu ergänzen und mittelfristig auf einen Umfang von bis zu 210 Kilometer pro Woche zu steigern.

Die Enttäuschung über ihren Ausstieg war umso bitterer, als sie für den Start in Berlin auf ihren deutschen Meistertitel Nummer 29 verzichtet hatte. 28 hat sie bereits auf der Bahn, auf der Straße und im Cross gewonnen. Nun wollte sie sich, statt bei der deutschen Meisterschaft in Griesheim in vierzehn Tagen zu einem leichten Sieg zu traben, im Vergleich mit internationaler Konkurrenz einen Namen machen.

In Berlin ist sie Stammgast. Im vergangenen Jahr lief sie dort, bei Regen und Kälte, erstmals den Marathon. Obwohl ihr kenianischer Tempomacher schlapp machte, verbesserte sie ihre Bestzeit auf 2:26:21 Stunden und wurde Vierte.

Bei Sonne nun lief sie nicht einmal eine Stunde.

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 3. April 2011

author: GRR

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