2017 World Championships-London London, UK August 4-13,2017 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Leichtathletik-WM – London 2017 – Krachende Niederlage für Bolt über 100 Meter – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Sein Start habe ihn umgebracht, klagte Bolt. „Normalerweise wird er im Lauf der Runden besser. Aber es wurde nichts. Und das ist es, was mich gekillt hat.“ Natürlich sei sein Abschneiden eine Enttäuschung, sagte Bolt über das Mikrofon im Stadion und bedankte sich bei den Zuschauern. London sei ein so wundervolles Erlebnis gewesen wie immer. „Danke für die Unterstützung, es war eine wunderbare Erfahrung“, rief der Jamaikaner, der in London eine zweite Heimat hat.
Zuvor hatte er den 35 Jahre alten Gatlin umarmt, der in den Sturm aus Buhrufen hinein seinen Zeigefinger auf die Lippen gelegt hatte und dann auf die Bahn sank. Lange blieb Gatlin auf den Knien liegen und verbarg sein Gesicht. Auf eine Ehrenrunde verzichtete Gatlin im Gegensatz zu Bolt.
„Usain hat gesagt: Glückwunsch, du arbeites hart und hat all diese Buhs nicht verdienst”, behauptete Gatlin. „Und das kommt von dem Mann selbst. Er weiß, wie hart ich arbeite.“ Die Buhrufe, die ihn durch alle Vorläufe bis ins Finale begleiteten, habe er ausgeblendet und sei auf Kurs geblieben. „Die Leute, die mich lieben, feuern mich an. Sie sind zu hause und jubeln für mich.“
Zwei Mal wurde Gatlin des Dopings überführt, zwei Mal wurde seine Sperre verkürzt. Zwei Mal ist er Weltmeister geworden. Vor zwölf Jahren, bei der Weltmeisterschaft 2005 in Helsinki, gewann er die 100 und die 200 Meter; da war er schon für ein Jahr gesperrt gewesen. Ihm wurde die Einnahme von Amphetamin nachgewiesen; Gatlin berief sich darauf, dass sie Teil seiner Medikation wegen Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom sei; seine Sperre wurde verkürzt. Gatlin ist der Olympiasieger von Athen 2004; in London 2012 wurde er hinter Bolt und dessen Landsmann Yohan Blake Dritter. Im Finale der Olympischen Spiele von Rio 2016 kam er Bolt am nächsten und gewann die Silbermedaille. Zwei Mal wurde er Hallen-Weltmeister über 60 Meter.
2006 war Gatlin zum zweiten Mal des Dopings überführt worden. Diesmal wurden ihm Anabolika nachgewiesen. Sein Trainer Trevor Graham beschuldigte einen Physiotherapeuten, Gatlin mit Testosteroncreme eingerieben zu haben. Statt mit lebenslangem Ausschluss vom Sport wurde der Sprinter mit einer achtjährigen Sperre belegt, die auf vier Jahre verringert wurde, weil er mit den Ermittlern kooperierte. Sein damals aktueller Weltrekord von 9,77 Sekunden wurde annulliert. Seit 2010 darf er wieder international starten.
Mit dieser krachenden Niederlage ist Bolts Versuch gescheitert, das Dutzend an Weltmeistertiteln voll zu machen. Seit seinem Fehlstart von Daegu 2011 fehlte ihm eine Goldmedaille. Seine allerletzte Chance, diese noch zu gewinnen, hat er voraussichtlich am kommenden Samstag in der jamaikanischen Sprint-Staffel. Dann wird Bolt, der strahlendste Sportler und das freundliche Gesicht der Leichtathletik, seine lange Karriere als Leichtathlet beenden.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 5. August 2017
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.