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08
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2009

Man mag es kaum glauben: Ginge es nach den Organisatoren der WM, würde die herausragende Persönlichkeit der Olympischen Spiele von 1936 ignoriert werden.

Leichtathletik-WM in Berlin – Hommage an Jesse Owens – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Jesse Owens in Berlin 1936: der berühmteste Leichtathlet der Welt
Wer dieser Tage Läufern in T-Shirts mit blauen und roten Diagonalstreifen oder der Jahreszahl 1936 auf der Brust begegnet, hat eine Reverenz an Jesse Owens vor sich. In einem Nationaltrikot mit solchen Streifen gewann der bis heute berühmteste Leichtathlet der Welt bei den Olympischen Spielen von Berlin in jenem Jahr vier Goldmedaillen.

Mit seinen Siegen über hundert Meter, über zweihundert, im Weitsprung und mit der Staffel wurde er zu einem Star wie heute allenfalls vielleicht Usain Bolt. Sein Triumph über die Rassenideologie der Nationalsozialisten und ihres Anführers Adolf Hitler machte den schwarzen Zweiundzwanzigjährigen zu einer historischen Figur.

Zur Weltmeisterschaft kehrt Jesse Owens nach Berlin zurück. Die Weltmeisterschaftsausscheidung der amerikanischen Leichtathleten in Eugene in Oregon vor kurzem begann damit, dass auf der Anzeigentafel ein Dokumentarfilm über ihn gezeigt wurde. Von da an war er ständig präsent bei den Trials. „Rückkehr nach Berlin“ hat der amerikanische Leichtathletikverband USATF zum Motto der Saison erkoren. Der Sportartikelhersteller Nike flankiert den Ausblick in die Vergangenheit mit den T-Shirts, die reißenden Absatz finden.

Vorläufer der schwarzen Profisportler – Vier Olympiasiege als Triumph über die Rassenideologie

Die WM in Berlin soll für die Amerikaner auch eine Hommage an den Mann werden, der ein Vorläufer der schwarzen Profisportler war, die inzwischen die Arenen der Welt beherrschen. Dabei hatte Jesse Owens gerade im alltäglichen Rassismus der Vereinigten Staaten seiner Zeit mit dem Kampf um den Lebensunterhalt – er rannte mit Pferden um die Wette und warb für filterlose Zigaretten – oft genug seine persönliche Würde preiszugeben. Mag sein, dass er mit seinen Erfolgen und seiner Integrität gerade deshalb zu der gesellschaftlichen Entwicklung beitrug, die in diesem Jahr den ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten in sein Amt getragen hat.

Der amerikanische Leichtathletikverband jedenfalls wollte das Andenken Owens’ ehren, indem er seine Athleten mit den Initialen J.O. auf der Wettkampfkleidung ins Olympiastadion von Berlin schickt. Das hat der Weltverband (IAAF) jedoch aus technischen Gründen nicht erlaubt. Man wird sehen, was aus der Anregung der Amerikaner wird, dass die Töchter von Jesse Owens und Nachfahren von Lutz Long die Siegerehrung im Weitsprung vornehmen.

Damit soll an die legendäre Episode erinnert werden, der zufolge der Deutsche seinen amerikanischen Rivalen mit einigen Tipps vor dem Ausscheiden bewahrte und ihm zum Olympiasieg im Weitsprung verhalf. Auf der Stelle sollen Long, Nationalsozialist und 1943 als Frontsoldat gefallen, und Owens, Enkel eines Sklaven aus Alabama, Freunde geworden sein.

Durch die Jesse-Owens-Ausstellung wahrt Deutschland sein Gesicht
 
Das Organisationskomitee der Weltmeisterschaft in Berlin könnte mit einer Reverenz an Jesse Owens für eine positive Überraschung sorgen. Zwar wird am Ende des Monats praktisch unter seinem Dach die Ausstellung „Jesse Owens – eine Sportlegende“ eröffnet. Doch aus dem mit zwei Millionen Euro Steuergeld ausgestatteten Etat für das Kulturprogramm erhält die Veranstaltung keinen Cent. Man mag es kaum glauben: Ginge es nach den Organisatoren der WM, würde die herausragende Persönlichkeit der Olympischen Spiele von 1936 ignoriert werden.

Privater Initiative und der des Sportmuseums Berlins ist zu verdanken, dass Jesse Owens nicht nur in Oregon, sondern auch in Berlin präsent sein wird. Dabei drängt gerade die Erinnerung an ihn sich für die Versöhnung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit auf.

Die Jesse-Owens-Ausstellung sorgt dafür, dass Berlin 2009 ein Gesicht erhält. Und sie hilft dabei, dass Gastgeber Deutschland seines bewahrt.

 Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 4. August 2009

author: GRR

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