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16
07
2009

Am 15. August beginnen in Berlin die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Der Tagesspiegel hat aussichtsreiche deutsche Athleten bei der WM-Vorbereitung beobachtet. Heute Folge eins: Ariane Friedrich, Hochspringerin.

Leichtathletik-WM – Ariane Friedrich und ihre Vorbereitung – Frank Bachner im Tagesspiegel

By GRR 0

Die Weltklasse-Hochspringerin Ariane Friedrich hat eine ungewöhnliche Trainingsmethode: Sie überspringt die Latte nur selten.
 
Am 15. August beginnen in Berlin die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Der Tagesspiegel hat aussichtsreiche deutsche Athleten bei der WM-Vorbereitung beobachtet. Heute Folge eins: Ariane Friedrich, Hochspringerin.

Hier noch ein Klebestreifen, ein paar Zentimeter weiter noch einer, und da drüben, einen halben Meter weiter, der dritte. Mist, großer Mist. Ariane Friedrich muss sich jedes Mal bücken und die Streifen von der Tartanbahn pulen. „Die sollen ihren Dreck selbst wegmachen“, knurrt sie.

Aber die anderen, die Hochspringer, die vor ihr trainiert haben, die sind längst weg. Jetzt ist es 18.15 Uhr, es ist angenehm warm an der Sportanlage Frankfurt-Niederrad, und Ariane Friedrich kann noch nicht anlaufen. Sie braucht ihre eigenen Markierungen, ganz wichtig. Und zwar nur ihre, sonst kommt sie durcheinander.

Sie muss möglichst schnell zur Latte laufen, aber nicht zu schnell, „sonst“, sagt sie, „knalle ich in die Anlage“. Für die richtige Geschwindigkeit braucht sie die Markierungen. Der Anlauf ist ein Kernelement im Training der Weltklasse-Hochspringerin Friedrich. Nur der Anlauf, genau gesagt. Die Frau, die beim Istaf den deutschen Rekord auf 2,06 Meter schraubte, die bei der WM Medaillenkandidatin ist, die gerade Studenten-Weltmeisterin wurde, die springt im Training kein einziges Mal über die Latte. Nicht bloß an diesem Tag. „Sie springt das ganze Jahr im Training nicht über die Latte“, sagt Günter Eisinger, der Trainer. Das stimmt nicht ganz, im Winter ist sie dreimal über die Latte gefloppt. „Aber nur aus psychologischen Gründen“, sagt Eisinger.

Keine andere Weltklassespringerin trainiert so. Friedrich hat diese Methode auch erst im Februar 2008 entdeckt. Sie hatte hartnäckige Rückenprobleme, also hatten sich Eisinger und die Athletin auf die Anläufe konzentriert. Und weil es wunderbar klappte, bleiben sie seither dabei.

Ariane Friedrich steht jetzt am Ausgangspunkt, sie läuft los, läuft quer zur Matte und läuft im Halbbogen weiter. „Wenn der Anlauf und der Absprung passen, ist alles gut“, sagt Eisinger. Es geht um Automatismus, Friedrich soll das Gefühl für die richtige Geschwindigkeit bekommen. „Für viele sieht der Anlauf immer gleich aus“, sagt Friedrich, „aber für mich ist jeder anders.“ Zehn U-Läufe sind das Maximum. „Die Belastung ist höher als man denkt“, sagt Eisinger. Sie läuft in Schräglage an, mit sieben Metern pro Sekunde, das erfordert viel Kraft.

Heute läuft sie fünf Mal das U. Und nach jedem Lauf fragt Eisinger: „Was hältst du davon?“ Und Friedrich sagt entweder „zu viel Innenlage“ oder „Ich bin etwas zu unrhythmisch gelaufen“.

Ariane Friedrich trägt ein T-Shirt und eine kurze Hose. Die Arme sind dünn, die Beine sind lang und dünn, das Gesicht ist hager. Ariane Friedrich kämpft ja immer gegen das Klischee, fast magersüchtig zu sein. Doch in diesem schmalen Körper stecken enorme Kräfte. Die 25-Jährige reißt mehr als 50 Kilogramm, fast ihr eigenes Körpergewicht, sie könnte sogar Kniebeugen mit 200 Kilogramm machen, sagt Eisinger. „Aber das machen wir nicht, weil dadurch der Rücken extrem gefährdet wird.“ Derzeit geht sie mit 120 Kilogramm in die Knie.

Es ist 19 Uhr, Friedrich und Eisinger trotten zu einer Wiese, 80 Meter neben der Hochsprunganlage. Schockwurf mit einer Drei-Kilo-Kugel steht an. „Eine Schnellkraftkomponente für die Beine“, sagt Eisinger. Friedrich geht in die Knie, sie wuchtet die Kugel mit beiden Händen in die Wiese. Als die Kugel in den Boden plumpst, jauchzt die Hochspringerin. Sie will heute unbedingt mehr als 16 Meter werfen. Sekunden später misst sie 16,80 Meter, persönliche Bestweite.

Oberflächlich betrachtet eine nette Spielerei, diese Weitenmesserei. Aber Friedrich sagt: „Das Problem ist, dass ich jedes Mal Bestweite werfen will.“ Ihr Ehrgeiz zeigt sich selbst in Kleinigkeiten. Und Eisinger kann mit den Weiten überprüfen, „ob und wie gut das Training angeschlagen hat“. Aber mehr auch nicht. „Eine Bestleistung bedeutet nicht automatisch, dass sie dann auch hoch springt.“

Acht Mal wuchtet Friedrich die Kugel in die Wiese. Vor dem letzten Versuch sagt sie fröhlich zu Eisinger: „Jetzt kannst du gleich eine neue Bestweite messen.“ „O.k.“, antwortet der Trainer, „wenn du es schaffst, bekommst du einen Chai Tee Latte bei Starbucks.“ Schafft sie es nicht, muss sie Eisinger einen Cappuccino zahlen, das ist der Deal. Friedrich geht in die Knie, konzentriert sich, wirft mit einem Stöhnen – und jubelt. Sie hat ihren Tee gewonnen. 16,90 Meter.

Die Bestweiten müssen nichts über ihre Sprungfähigkeiten aussagen – aber sie können es. Ein paar Tage später überquert Friedrich 2,06 Meter.

Frank Bachner im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 15 . Juli 2009 

author: GRR

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