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09
08
2009

Vom Leichtathletik WM-Fieber ist Sportsoldat André Höhne längst ergriffen. Beim letzten Formschliff in der Schweiz duelliert sich der Berliner Spitzengeher derzeit noch mit Schnee und Eisregen.

Leichtathletik-WM 2009 – Auf leisen Sohlen Unter den Linden: Berlins WM-Geher André Höhne startet über 20 und 50 Kilometer – Volker Schubert berichtet

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Im „Sauseschritt“ dem Ziel entgegen, ist die Devise beim Olympischen Gehen – dabei neben Konkurrenz und Stoppuhr immer die Kampfrichter im Nacken. Letztere wachen über das strenge Reglement, denn im Geher-Wettkampf muss stets ein Fuß den Boden berühren, während das andere Bein gesteckt nach vorne schnellt.

Wer – wie beim Laufen – „fliegt“, fliegt raus. Beim dritten Verstoß heißt es nämlich Disqualifikation. So will es die Regel 230 der internationalen Bestimmungen. Als Orchideendisziplin der Leichtathletik oft belächelt, teils aber auch – wegen der buchstäblichen Temposchinderei der sich die Geher stellen – bemitleidet, ist das sportliche Gehen in Wirklichkeit eine koordinativ hoch spezifische wie Herz und Kreislauf intensive Sportart.

Unbeschreiblicher Bewegungsdrang

Und die beherrscht André Höhne richtig gut. Mittlerweile gehört der 31-jährige, der 1,85 Meter groß ist, kein Gramm Fett zuviel am Körper hat und 71 Kilogramm wiegt, zur internationalen Geherphalanx. Alles begann im zarten Alten von fünf. „Ich war ein extrem aktives Kind, das nie still sitzen konnte“, lächelt der Ausnahmeathlet, der seit 2003 beim SCC-Berlin trainiert. Da war für seine Eltern früh klar, „das Kind muss zum Sport“. Zunächst tobte sich der quirlige Spross beim Schwimmen aus, schaffte im damaligen DDR-Sportsystem auf Anhieb den Test für die Kinder- und Jugendsportschule.

Doch die sportliche Wende kam rasch: da prognostizierte man André noch als „Dreikäsehoch“, trainingswissenschaftlich fundiert, wie man meinte, eine spätere Körpergröße von 1,75 Metern. „Zu klein fürs Schwimmen“, so André Höhne. Sportlich ging sein Werdegang dennoch weiter, und als Zwölfjähriger stieß er zur Leichtathletik. Der sportphysiologisch richtigen Mehrkampforientierung  folgten 1992 anfängliche „Gehversuche“. Dabei habe er gleich ein gutes Bewegungsbild abgegeben.

Dennoch, sagt er rückblickend: „Toll fand ich das nicht“. Doch als der zum erste Deutschen Jugend-Meistertitel eilte, wollte André Höhne auch weiter eine gute Figur machen und wurde 1997 Vize-Europameister im Juniorenklassement.

Einmalige nationale Siegesserie  

Mittlerweile ließt sich die Bilanz seiner nationaler Erfolge so, als hätte André Höhne ein Abonnenten auf deutsche Meistertitel. Vierzehn nationale Titel über alle Geherdistanzen – von fünf bis 50 Kilometer, im Freien wie in der Halle – kann der Berliner Topsportler, zweimaliger Olympiateilnehmer und dreimaligen Weltmeisterschaftsgeher, verbucht er ab 2002 auf seinem sportlichen Konto. Oft weltweit unter den Top Ten wurde André Höhne auf der 20 Kilometerdistanz 2004 Olympiaachter in Athen und ein Jahr später, bei den Weltmeisterschaften in Helsinki Vierter  – sein bisher größter Erfolg, bei dem er in einer atemberaubenden Aufholjagd  mit 1.20:00 Stunden seine persönliche Bestzeit aufstellte und mit nur 16 Sekunden Abstand im Ziel knapp an Edlemetall vorbeischrammte.

Bundeswehr als Erfolgsgarant

„Hinter dieser sportlichen Erfolgsserie steckt natürlich sehr harte Arbeit“, weiß Oberstabsfeldwebel Walter Hettinger, Leiter der Bundeswehr Sportförder-gruppe Berlin. „Schließlich absolviert André in hohen Belastungsphasen bis zu 250 Wochenkilometer“. Die nötige Zeit für das aufwendige Training findet André Höhne durch seinen größten „Sponsor“, die Bundeswehr. Seit 1997 ist der deutsche Vorzeigeathlet Heeresuniformträger und im Sonderstatus Sportsoldat. „Ohne die professionellen Rahmenbedingungen in der Truppe hätten Spitzengeher wie André ein echtes Problem“, erzählt Fallschirmjäger Hettinger, selbst begeisterter Leichtathlet und Marathonläufer, „weil die finanzielle wie soziale Abfederung dann fehle“.

André Höhne sei eine gereifte Persönlichkeit, die sich mit Disziplin und ausgeprägter Motivation sportlichen Zielen widme, schätzt „Chef“ Hettinger seinen Kameraden. Doch nicht nur dies zeichne André Höhne aus: „André ist auch beruflich ein echter Aufsteiger“. So sei er mittlerweile Oberfeldwebel, habe nebenher sein Fachabitur nachgeholt und studiere jetzt Bauingenieurswesen.  Bei den WM Geher-Wettkämpfen zählt der sportliche Oberfeldwebel für Hettinger zum Favoritenkreis: „Für mich ist André durchaus auf Medaillenkurs“.  

Beeindruckender Saisonstart

So sieht das auch Reinhardt von Richthofen-Straatmann, der  Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV). Für ihn ist André Höhne „ein Weltklassegeher, dem der ganz große internationale Erfolg bisher leider vergönnt wurde“. „André hat seinen geherischen Zenith noch nicht erreicht“, urteilt der BLV-Chef und so sei Andre´ Höhne, auch wegen des heimischen Publikums und seines großen Kämpferherzens, in der Hauptstadt ein heißer Medaillenaspirant.

Zu Recht, denn bereits zu Jahresbeginn startete André Höhne mit einen fulminanten Auftakt ins WM-Jahr, zauberte im Februar bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig beim 5.000 Meter Rennen grandiose 18.51 Minuten aufs Kunststoffparkett – seine mit Abstand beste Zeit. Auch im Freien gab André Höhne eine überaus erfreuliche Visitenkarte ab, als er Anfang April bei der IAAF Geher-Challenge im portugiesisch Rio Major mit 1.21:30 Stunden über 20 Kilometer finishte und die WM-Qualifikationsnorm um haargenau eine Minute unterbot.

Letzter WM-Schliff in Sankt Moritz  

Für seinen großen WM-Edelmetalltraum schenkt sich André Höhne, der statt Blutwurst essen und Staub saugen, lieber eine Runde mehr drehe, wie er sagt, derzeit nichts. Beim Höhentraining in der Schweiz holt sich der Topathlet jetzt den letzten WM-Schliff und schlägt sich dort mit meteorologischen Plagegeistern herum. Denn in Stankt Moritz kämpft der aktuell Weltranglisten-Siebte über 10 Kilometer gerade gegen Schnee und eisigen Regen an. Doch für den sehr ehrgeizigen und gewissenhaften  Perfektionisten, wie er sich selbst charakterisiert, dürften auch die eidgenössischen Wetterkapriolen eher als Herausforderung und Abhärtung gelten.

Doch vielleicht liegt ja in der klimatischen Schieflage auch der entscheidende Formschliff für sein ersehntes Ziel: als waschechter Berliner auf dem Prachtboulevard Unter den Linden in den Rennen über 20 und 50 Kilometer mit der Traummedaille um den Hals ins Ziel zu huschen. 

Volker Schubert

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