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2008

Kriselnde Leichtathletik: Die Zeiten sind ohnehin nicht leicht, nun kommt ein Verbrechen im Heiligsten des Sports hinzu

Leichtathletik-Trainer in U-Haft – Verdacht auf Kindesmissbrauch – Ein Leichtathletik-Jugendtrainer sitzt in Haft, weil er 15 Jahre lang Kinder missbraucht haben soll. Der Staatsanwalt bestätigt, dass der Trainer geständig ist. – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

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Die Zeiten sind ohnehin nicht leicht, und als Geschäftsführer des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes (BLV) hat Anton Thalhammer die gesamte Problempalette eines kriselnden olympischen Kernsports zu bearbeiten.

Aber diese Sache ist schlimmer als jede Medaillenkrise, denn sie deutet auf ein Verbrechen im Heiligsten jedes Sports hin, beim Nachwuchs: Ewald K., Bayerns Sprintlandestrainer und lange Nachwuchscoach im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), sitzt in München-Stadelheim in Untersuchungshaft, "wegen des dringenden Tatverdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern", wie der ermittelnde Staatsanwalt Rüdiger Hödl sagt.

Dringender Tatverdacht nebst Haftbefehl

Bild hat berichtet, K.s Arbeitsverhältnis mit dem BLV ruht, Thalhammer sagt: "Wir sind nach wir vor wie erschlagen." Und im ganzen Leichtathletik-Land kursieren Gerüchte. "Man weiß gar nicht, was man glauben soll", sagt Jan Schindzielorz, 30, ein früherer Hürdensprinter und Athlet des belasteten Coachs.

Doch daran, dass die Angelegenheit schwerwiegend ist, gibt es keinen Zweifel mehr. Denn Oberstaatsanwalt Rüdiger Hödl bestätigt, dass es die Anzeige eines Geschädigten gegen K. gegeben hat. Dass sich daraus ein dringender Tatverdacht nebst Haftbefehl ableitete und K. mittlerweile sogar geständig sei.

"Das bezieht sich auf die bisher ermittelten Fälle", sagt Hödl, "bisher wurden zehn konkrete Fälle ermittelt mit Tatzeit, Tatort, Tathergang, Täter", es gebe Geschädigte mit mehreren Fällen. Die Fälle sollen sich zwischen 1985 und 2000 in K.s Privathaus in Penzberg sowie in Trainingslagern zugetragen haben, und es werden wohl noch einige dazukommen. "Wir ermitteln weiter", sagt Hödl, "wir sind erst am Anfang." K. droht eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren.

Polizei kommt ins Training

Seit dem 18. November sitzt Ewald K. in Untersuchungshaft, an diesem Tag kamen Kriminalbeamte in die Münchner Werner-von-Linde-Halle und holten ihn aus seiner Trainingseinheit. Wenig später machten schon die ersten Spekulationen die Runde und nun befinden sich viele in der Szene in einem Zustand tiefer Verunsicherung, vor allem jene, die mit K. arbeiteten und sich nicht vorstellen können, dass dieser seriöse, freundschaftliche, bisweilen strenge und pedantische Coach solch dunkle Punkte in seiner Biographie hat.

"Für mich ist das eher abwegig", sagt Christian Blum, 21, einer der begabtesten deutschen Sprinter vom LAC Quelle Fürth/München, K.s aktueller Musterschüler. Jan Schindzielorz sagt: "Ich kann diese Vorwürfe aus meiner persönlichen Erfahrung nicht bestätigen."

Schindzielorz kennt K. seit 1995, hat viele Trainingslager mit ihm bestritten, teilweise das Hotelzimmer mit ihm geteilt und ihn in manchen Phasen seiner Sportkarriere fast jeden Tag gesehen. Und auch Thalhammer erklärt sich "mehr als zufrieden" mit K. Seit 1. Januar 2001 war K., einst stellvertretender Restaurantchef in einem Münchner Luxushotel, hauptamtlich beim BLV und in Mischfinanzierung zeitweise auch für den DLV als C-Kader-Trainer oder Disziplincoach Hürdensprint zuständig.

Keine Antworten

Klarheit fehlt den Leichtathleten, vorerst haben sie nur mit Andeutungen zu kämpfen, die sie nicht glauben wollen. Als seine Personalien aufgenommen wurden, habe er die Beamten nach dem Grund für die Verhaftung gefragt, sagt Blum: "Ich habe keine Antworten bekommen." Er will deshalb vorerst nicht ausschließen, wieder unter K. zu trainieren. Thalhammer ist empört darüber, dass sein Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt wurde. Als Arbeitgeber habe der BLV doch "verdammt nochmal ein Anrecht darauf, informiert zu werden".

Das LAC Quelle Fürth/München wiederum, der Verein von fünf K.-Athleten, hat eine Klarstellung in Umlauf gebracht, nachdem Bild Nürnberg einen "Sex-Skandal bei der LAC-Quelle" vermeldet hatte: "Herr Ewald K." sei "kein Trainer des LAC Quelle", sondern habe nur als BLV-Trainer LAC-Sportler betreut. Und auch den TSV 1898 Penzberg, bei dem K. bis 1996 wirkte, wie Abteilungsleiterin Melanie Jäger bestätigt, beschäftigt die Sache; ein Vereinsmitglied ist vernommen worden.

Für den Sport geht es um existentielle Vertrauensfragen in diesem Fall. Eltern müssen sich auf die Trainer verlassen können, die ihre Kinder in entscheidenden Lebensphasen begleiten. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Verbände für ihr Personal.

Thalhammer sagt: "Sie können ein Leumundszeugnis verlangen, aber wenn bis dahin staatsanwaltschaftlich nichts vorliegt, steht da nichts drin." Und DLV-Präsident Clemens Prokop verspricht etwas ohnmächtig: "Wenn der geringste Hinweis kommt, werden wir sofort alle möglichen Ermittlungen vornehmen." Im Fall K. kam der Hinweis offenbar viele Jahre zu spät.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstag, dem 10 Dezember 2008

 

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