Im Visier der Fahnder: Lamine Diack ©Horst Milde
Leichtathletik-Präsident Lamine Diack verhaftet – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Auch die französische Justiz hat genug von offensichtlicher Korruption und Machtmissbrauch im internationalen Sport. Am Dienstag ließ ein Untersuchungsrichter aus Nizza Lamine Diack verhaften. Der Senegalese war 16 Jahre lang Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) und hatte erst im August die Amtsgeschäfte an Sebastian Coe übergeben.
Dem 82 Jahre alten Ehrenmitglied des Internationalen Olympischen Komitees wird Korruption und Geldwäsche vorgeworfen. Gemeinsam mit ihm wurde sein Landsmann und angeblicher juristischer Berater Habib Cissé festgenommen sowie der frühere Leiter der Anti-Doping-Abteilung der IAAF, der französische Mediziner Gabriel Dollé. Sitz der IAAF ist Monaco.
Am Mittwoch wurden die drei gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Der ehemalige Weltklasse-Läufer Coe, der im August Präsident der IAAF wurde, ist von den französischen Ermittlern befragt worden.
Der Zugriff in Monte Carlo erfolgt fast ein Jahr, nachdem die russische Marathonläuferin Lilija Schobukowa unter anderem in der ARD berichtet hatte, dass sie sich für 450.000 Dollar in bar von einer Doping-Sperre freigekauft hatte und so bei den Olympischen Spielen von London starten durfte. Als sie schließlich doch noch aufflog, verlangte sie ihr Geld zurück. Inzwischen sind ihr die Siege bei den Marathons von London und Chicago aberkannt worden; die Veranstalter verlangen Antrittsgeld und Prämien in Millionenhöhe zurück.
An der Rücküberweisung des Schmiergelds waren nach den Recherchen der ARD der Sohn von Lamine Diack, Papa Massata Diack, sowie der russische Verbandspräsident und Schatzmeister der IAAF, Walentin Balachnitschew, beteiligt. Als dies bekanntwurde, stellte sich heraus, dass Dollé die IAAF bereits verlassen hatte.
Der Verband hat bis heute nicht erklärt, was vorgefallen war. Balachnitschew ließ sein Amt ruhen, Diack junior und Cissé versprachen, nicht mehr als Berater der IAAF tätig zu sein. Gleichwohl waren alle drei bei der Wahl des Councils und von Coe zum Präsidenten der IAAF vor der Weltmeisterschaft in Peking wie selbstverständlich anwesend; Balachnitschew gab sogar den Kassenbericht des Präsidiums.
„Er wird immer unser geistiger Präsident sein“
Die Ermittlungen sind ein schwerer Schlag für die IAAF und ihren neuen Präsidenten Coe. Der zweimalige Olympiasieger hatte bei seiner Wahl in Peking einerseits eine Erneuerung seiner Sportart versprochen, sich andererseits demonstrativ mit dem etablierten System verbunden. In seiner Antrittsrede beschrieb er Diack als eine Art Ziehvater und gelobte, weiter seine Nähe und seinen Rat zu suchen. Diack höre zwar auf, „unser Präsident“ zu sein, sagte Coe, „aber er wird immer unser geistiger Präsident sein und ganz gewiss mein geistiger Präsident“. Er dankte Diack für Hilfe, Zeit, Rat und vor allem Freundschaft.
Kurz vor seiner Wahl hatte Coe die Veröffentlichung von angeblich verdächtigen Blutdaten verbunden mit dem Vorwurf, die IAAF reagiere nicht auf Doping-Indizien, als „Kriegserklärung gegen seinen Sport“ bezeichnet. „Es gibt nichts in unserer Geschichte von Kompetenz und Integrität bei Doping-Proben“, behauptete er, „was einen solchen Angriff rechtfertigte.“
Vor der Wahl versprach er in einem Überbietungswettbewerb mit seinem Konkurrenten Sergej Bubka jedem der 214 nationalen Verbände eine sogenannte olympische Dividende von 50.000 Dollar jährlich; die erste Zahlung hat er dieser Tage überwiesen.
Gegen Diack junior wird nicht ermittelt
Coe, der am vergangenen Wochenende an einer Gala des All-Russischen Leichtathletikverbandes (Araf) in Moskau teilnahm, wird voraussichtlich noch in diesem Jahr Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees; er hat mehrmals gesagt, dass er keinen Widerspruch zwischen seinem Ehrenamt im Sport und seiner beruflichen Tätigkeit sieht; er ist Berater des Sportartikelherstellers Nike und vermakelt als Vorstandsvorsitzender der Agentur Chime Sports Marketing unter anderem Veranstaltungen wie die Europa-Spiele nach Baku.
Überraschend ermittelt die Justiz nicht gegen Diack junior. Papa Massata hat mit seiner in Dakar angesiedelten Agentur Pamozdí angeblich Sponsor-Verträge für den Verband seines Vater akquiriert und dafür Provision kassiert. Solches Sponsoring ist der Preis für Bewerberstädte, die Weltmeisterschaft zu erwerben. Diack junior hat laut Zeitungsberichten Qatar die Stimme seines Vaters für die Vergabe der Leichtathletik-Weltmeisterschaft für einige Millionen Dollar angeboten.
Die nächsten Welt-Titelkämpfe finden in der Olympiastadt London (2017), in Doha am Golf (2019) und zum Jubiläum der Gründung des Sportartikelherstellers Nike in Eugene in Oregon statt (2021).
Die IAAF bestätigte in einer Pressemitteilung einen „Besuch“ zu Gesprächen und um Unterlagen abzuholen. Die gerade begonnenen polizeilichen Ermittlungen, behauptet der Verband, entsprängen der Arbeit der Ethikkommission der IAAF und der Ermittlungsgruppe der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), von denen bislang nichts zu hören gewesen war.
Die IAAF unterstütze die Ermittlungen.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 5. November 2015