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12
11
2008

Man merkt schon: Die schönen Zeiten von Peking sind für die Sportart Nummer eins der Olympischen Spiele vorbei.

Leichtathletik-Kommentar – Heimstatt gesucht – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Held, nicht Angeber: Usain Bolt

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Angeberei und mangelnden Respekt warf Jacques Rogge dem jamaikanischen Sprinter Usain Bolt bei den Olympischen Spielen in Peking vor. Nun haut ihm Lamine Diack, der Präsident des Welt-Leichtathletikverbandes (IAAF), diese Worte um die Ohren. Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, so lässt der Patriarch aus dem Senegal verbreiten, zeige einen Mangel an Respekt vor der Leichtathletik.

Und dann legt er ihm – schriftlich und in GROSSBUCHSTABEN – dar, dass Bolt ein Held sei, der mit seinen drei Weltrekorden und drei Olympiasiegen von Peking, vor allem aber mit seinem Überschwang und seiner unverstellten Freude zu einer wahrhaften Ikone und einem profunden Vorbild geworden sei – in einer Zeit, so Diack süffisant, in der Olympia darum ringe, bei jungen Leuten überhaupt attraktiv zu bleiben.

Olympia wolle keine weißen Elefanten hinterlassen

Anlass zu der Attacke ist ein Interview, in dem Rogge einräumt, er habe nichts dagegen, dass London nach den Olympischen Spielen 2012 die Laufbahn aus dem von 85.000 auf 25.000 Plätze verkleinerten Stadion reiße, um es besser vermarkten zu können. Olympia wolle keine weißen Elefanten hinterlassen. Er habe auch keine Schwierigkeiten mit Atlanta, sagte er, Hauptsache, das Stadion bleibe dem Sport erhalten. Von der Arena der Spiele 1996 steht nur noch die Südwestkurve; sie ist ein kleines Baseball-Stadion.
 
Rogge mag zwar die Realitäten anerkannt haben, die durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise deutlicher hervortreten: Sportereignisse dürfen keine Ruinen hinterlassen, kostspielige Ruinen schon gar nicht. Doch er fällt auch Olympiasieger Sebastian Coe in den Rücken, der als Vertreter der Olympiabewerbung von London versprach, der Leichtathletik in der britischen Hauptstadt eine Heimstatt zu verschaffen, die das Provisorium Crystal Palace vergessen macht.

Als Kopf des Organisationskomitees versucht er nun, dieses Versprechen zu halten. Dazu gehörte auch, die Begehrlichkeiten des Premier-League-Klubs West Ham United abzuwehren, der sich mit einem neuen Stadion in Stratham anfreunden und ordentlich Miete dafür zahlen würde – wenn denn keine leichtathletische Laufbahn die Fans vom Spielfeld fernhält.

Leichtathletik findet im Kleinen statt

Man merkt schon: Die schönen Zeiten von Peking sind für die Sportart Nummer eins der Olympischen Spiele vorbei. Die chinesischen Kicker seien noch lange nicht gut genug, hat die Pekinger Stadtverwaltung entschieden, um in einem so prächtigen Stadion wie dem Vogelnest zu spielen. Das Land Berlin besteht trotz der Klagen des Fußballs darauf, dass Hertha BSC im Olympiastadion stets die Laufbahn überspielt, wenn es sein Publikum mitreißen will – was selten genug gelingt. In Stuttgart wird die Weltmeisterschaftsbahn aus dem Stadion gerissen, damit nichts mehr zwischen VfB, Fans und dem Erfolg steht. Leichtathletik findet im Kleinen statt.

Dem greisen Patriarchen Diack geht es bei seiner Attacke gewiss um Wiedergutmachung für Peking. Vor allem aber geht es ihm darum, eine Bühne für Läufer und Springer zu gewinnen, Marktanteile in der Konkurrenz der Sportarten. Der Afrikaner kämpft um sportliche Entwicklungshilfe für Europa.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 7. November 2008

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