Gelassenheit trotz magerer WM-Ausbeute: Bundestrainer Jürgen Mallow
Leichtathletik-Kommentar – Aufbruch oder Einbruch? Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Prognose nach der Hallen-Weltmeisterschaft von Valencia könnte einfach sein: keine Medaillen, keine Perspektive. Schließlich hatte sich schon das historische Tief der deutschen Leichtathletik mit den beiden Silbermedaillen von Athen 2004 bei der vorhergehenden Hallen-Weltmeisterschaft angekündigt.
Damals waren Nadine Kleinert und Sprinter Tobias Unger – mit Bronzemedaillen aus Budapest zurückgekehrt – die Einzigen, die es aufs Podest geschafft hatten. Bei den Olympischen Spielen verhalfen dann Steffi Nerius und Nadine Kleinert sowie das Doping-Kontrolllabor Athen (durch die Disqualifikation von Kugelstoß-Olympiasiegerin Korschanenko) den Deutschen zu zwei zweiten Plätzen.
Magenkrämpfe selbst bei den erfahrenen Sprintern
Was soll nun werden, da von sechzehn Startern in Valencia kein einziger auf einen Medaillenrang kam? Der totale Einbruch in Peking 2008? Die Gelassenheit von Bundestrainer Jürgen Mallow dient zunächst vor allem dem Schutz seiner Athleten. Debütanten und Aufsteiger waren in Valencia noch damit beschäftigt, sich mit der Härte des internationalen Wettbewerbs auseinanderzusetzen.
Diese besteht aus mehr als gut trainierten Gegnern. Sie kann sich schon mal als schwingender Fußboden darstellen, auf dem Hochspringerin Ariane Friedrich ihre Leistungsfähigkeit nicht ausschöpfen konnte; sie kann aus der aufregenden Auslosung von Bahnen und Vorläufen bestehen und solchen Stress auslösen, dass selbst den erfahrenen Hürdensprinter Thomas Blaschek vor dem Finale Magenkrämpfe plagten.
Läufer in Äthiopien wie Werfer in Deutschland
Die Ruhe von Mallow erklärt sich auch aus dem Blick auf die Medaillenränge. Hinter den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland mit jeweils fünf der 26 Titel überraschte Äthiopien auf Platz drei: Der Erfolg basiert allein auf läuferischem Talent. Zwar kamen Athleten aus 36 der 157 teilnehmenden Länder in Valencia auf Medaillenränge, doch neben den Deutschen gingen auch Franzosen, Tschechen und Italiener leer aus. Gastgeber Spanien konnte nur eine einzige Medaille im Land behalten, eine bronzene.
Was für Äthiopier die Läufer, sind für Deutsche die Werfer. Fünf der sieben deutschen Medaillengewinner der letzten Freiluft-Weltmeisterschaft können mit dem Raumbedarf ihrer Disziplin in der Halle gar nicht antreten: die Weltmeisterinnen Franka Dietzsch und Betty Heidler sowie WM-Zweiter Robert Harting im Diskus- und Hammerwerfen, dazu Christina Obergföll und Steffi Nerius mit dem Speer. Für die Zukunft versprechen Kugelstoßen und Stabhochsprung wieder Erfolge.
Sportförderung dieses Jahr signifikant ausgeweitet
Auch Hoch-, Weit- und Dreisprung sind technische Disziplinen, in denen deutsche Athleten bald wieder Anschluss finden sollten. Nicht zu vergessen das Teamwork in den Staffelläufen: Schnell rennen können viele, aber wer kann auch gut wechseln? Der Aufschwung des britischen Teams, in Valencia mit dem Sieg von Dreispringer Idowu und vier Silbermedaillen auf Platz vier der Länderwertung, macht den Deutschen Mut. Denn er basiert auf Fördermitteln, die seit der Vergabe der Olympischen Spiele 2012 nach London reichlicher fließen.
Der deutsche Staat hat in diesem Jahr seine Sportförderung signifikant ausgeweitet. Den Anteil der Leichtathletik wieder zu erhöhen, darum kämpfen Mallow und sein Team – in Peking und bei der WM 2009 in Berlin. Mit den Medaillen, die das deutsche Team dort gewinnen soll, will Mallow dem Nachwuchs, der jetzt auf einer Art Studienreise in Valencia war, die Erfolgsgrundlage für London 2012 schaffen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 10. März 2008