Claudia Salman-Rath, gewann in Belgrad die Bronzemedaille im Weitsprung - (hier beim ISTAF Indoor Berlin 2017) ©Horst Milde
Leichtathletik-Hallen-EM Appetithappen für das Sieben-Gänge-Menü – Michael Reinsch, Belgrad in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Eine Weltklasseleistung,“ sagte Chef-Bundestrainer Idriss Gonschinska, „eine der positiven Überraschungen der Hallensaison“. Die Siebenkämpferin Claudia Salman-Rath hat sich in diesem Winter von Weitsprung zu Weitsprung gesteigert. In Belgrad sprang sie in der Qualifikation so weit wie nie zuvor, 6,79 Meter. Im Finale am Sonntag legte sie weiter zu, zunächst auf 6,84 Meter, dann noch zehn Zentimeter mehr.
Mit ihrem großen Sprung hat die 30 Jahre alte Frankfurterin namhafte Weitspringerinnen wie Susen Tiedtke und Sosthene Moguenara in der deutschen Bestenliste hinter sich gelassen. Nur drei sind in der Halle je weiter geflogen: Olympiasiegerin und Rekordlerin Heike Drechsler (7,37 Meter) und Helga Radtke (7,09) in den achtziger Jahren sowie im Winter vor einem Jahr Alexandra Wester (6,95). Doch eine Spezialistin für Weitsprung will Claudia Salman-Rath nicht sein, keine Carolina Klüft, keine Dafne Schippers, keine Cindy Roleder, die vom Mehrkampf zu Weitsprung, Sprint und Hürdensprint wechselten.
„Dies ist das Tüpfelchen auf dem i“
„Der Weitsprung ist Balsam für meine Seele“, sagt sie, „Wiedergutmachung für letztes Jahr.“ Ausgerechnet im Olympiajahr und ausgerechnet beim Weitsprung hatte sie sich einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zugezogen. Die Teilnahme an den Spielen von Rio de Janeiro – für London 2012 hatte sie sich als viertbeste Siebenkämpferin Deutschlands nicht qualifizieren können – tröstete sie nicht wirklich darüber hinweg, dass sie, nicht ausreichend trainiert, lediglich Platz 14 erreichte.
Seit der Weltmeisterschaft von Moskau 2013 hat sie höhere Ansprüche; mit Bestleistungen in Weitsprung, Hochsprung, über 800 Meter und insgesamt 6462 Punkten war sie dort Vierte geworden. Bei der WM von Peking 2015 bewies sie als Fünfte (6441 Punkte) noch einmal, dass sie zur Weltspitze gehört.
Doch dann, erzählt sie, begann sie sich beim Hochsprung Gedanken zu machen. Mit dem Grübeln über das Tempo und die Kurve beim Anlauf, den richtigen Absprung verlor sie die Unbeschwertheit, die sie schon über 1,83 Meter hat fliegen lassen. Trainer Jürgen Sammert empfahl, im Winter auf Mehrkämpfe zu verzichten. Die Therapie wirkte. „Dies ist das Tüpfelchen auf dem i“, freute sich Claudia Rath in Belgrad. „Dass ich endlich bei einem internationalen Wettbewerb auf dem Treppchen stehe, dass ich endlich mal eine Medaille umhängen habe!“
Um 46 Zentimeter steigerte sie ihre Bestleistung im Weitsprung. Dabei hat sie den Mehrkampf eigentlich nicht einmal unterbrochen. Sammert ist überzeugt, dass auch Spezialisten vielseitig trainieren sollen, Kugelstoßen, Hürdenlauf, all das. Nur zwei Wochen lang konzentrierten er und Claudia Salman-Rath sich in der Vorbereitung auf Belgrad auf die Feinheiten des Weitsprungs, ansonsten trainierten sie weiter, nun ja, Sechskampf. Hochsprung wird erst wieder in der Vorbereitung auf den Sommer geübt.
Wie üblich sind Starts in Götzis und Ratingen geplant, Feiertage des Mehrkampfs. Weitsprung-Wettbewerbe wird die beste Weitspringerin Deutschlands dieses Winters nur noch zwischendurch bestreiten. Einerseits gilt ihre Liebe der vielseitigen Belastung des Siebenkampfs. Andererseits hat sie sich mit den Weitspringerinnen so sehr angefreundet, dass sie deren Konkurrenz nicht auch noch verstärken will.
Mit Humor nimmt sie ihre Rolle
Ihren Erfolg im Weitsprung führt sie auf ihre Unbeschwertheit zurück. „Wenn nicht, dann nicht“, unter dieser Devise habe sie den Ausflug ins Spezialistentum unternommen. Das Gegenteil beobachtet sie bei Alexandra Wester. „Sie macht sich, glaube ich, zu viel Druck“, sagt sie über die acht Jahre jüngere Mannschaftskameradin, von der alle Welt einen Sprung von sieben Meter erwartet und die am Sonntag mit 6,53 Meter Achte wurde. „Sie hat wohl auch eine Blockade.“
Claudia Salman-Raths mentale Bremse, darf man annehmen, ist nun gelöst. Mit Humor nimmt sie ihre Rolle, den Jüngeren in der Nationalmannschaft und am Olympiastützpunkt mit ihrer Erfahrung zu helfen. „In der Trainingsgruppe wurde ich schon Mutti genannt“, sagt sie. „Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich es im Alter immer noch draufhabe und immer noch auf den Sportplatz gehöre.“
Dafür verzichtete sie gern auf das Probemenü für ihre Hochzeit. Im September wird ihrer standesamtlichen Trauung die kirchliche folgen. Am Samstag testeten Mann und Familie in Frankfurt das Essen. Claudia Salman-Rath holte sich in Serbien Appetit auf ihre nächste Saison.
Michael Reinsch, Belgrad in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 7. März 2017
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.