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21
06
2016

2014 Birmingham Diamond League Birmingham, UK August 24, 2014 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Leichtathletik-DM in Kassel 2016 – Alles Harting – und wie – Michael Reinsch, Kassel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Erst Harting, dann Harting, und zum Schluss doch wieder Harting. Bei den deutschen Meisterschaften der Leichtathleten in Kassel haben die beiden Brüder aus Berlin das Diskuswerfen zum spannendste Wettbewerb des Wochenendes gemacht.

Im vierten Versuch verdrängte Robert mit einem Wurf von 65,15 Meter seinen sechs Jahre jüngeren und mit 2,07 Meter sechs Zentimeter längeren Bruder Christoph von Platz zwei. Im Durchgang darauf steigerte er sich auf 65,60 Meter und übertraf damit den führenden Wattenscheider Daniel Jasinski um mehr als einen halben Meter.

Schon da war sein Jubel, mit Sprüngen im Ring und geballten Fäusten, meisterlich.
 
Doch dann schleuderte Christoph Harting die Scheibe im Auestadion 66,41 Meter weit und forderte seinen großen Bruder zum großen Wurf heraus. Und Robert Harting lieferte: 68,04 Meter weit ließ er die zwei Kilo Holz und Stahl fliegen. Damit ist er Meister, wird vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) für die Olympiamannschaft vorgeschlagen und kann sich nun auf die Operation Gold konzentrieren.

Weiter werfen als die anderen

Wie groß die Konkurrenz zwischen dem großen und dem langen Harting ist, zeigte sich, nachdem der eine ausgiebig gejubelt und der andere respektvoll applaudiert hatte. Da umarmte Robert einen der geschlagenen Gegner nach dem anderen; seinem Bruder Christoph drückte er kräftig die Hand.

„Man muss nicht weit werfen“, hatte der Olympiasieger und dreimalige Weltmeister vor dem Wettbewerb gemutmaßt. „Man muss nur weiter werfen als die anderen.“

Zum zehnten Mal nacheinander heißt der deutsche Meister im Diskuswerfen nun Harting; zum neunten Mal ist es der mit Vornamen Robert.
 
„Mir glüht im letzten Durchgang immer der Hintern, vor allem wenn ich zurückliege“, sagte Harting nach dem Wettkampf. „Ich hatte mich schon die ganze Woche auf den Wettkampf und auf die Jungs gefreut.“

Vor den Meisterschaften hatte sich Harting, der 31 Jahre alte Olympiasieger, mächtig unter Druck gesetzt. Mit 65,97 Meter war er nur die Nummer fünf der Meldeliste gewesen. Nummer eins war und ist weiterhin Christoph, der kleine Bruder. Vor Jahren schon attestierte Robert dem Rotschopf, mit dem er gemeinsam bei Torsten Schmidt trainiert, die besseren körperlichen Voraussetzungen. Er sei länger, habe längere Arme und könne eine höhere Abwurfgeschwindigkeit erzielen.

Doch der überlegene Kämpfer, der Sportler, der sich von Rückschlägen und Rückständen herausfordern und anspornen lässt, ist und bleibt Altmeister Robert.

Harting lobt die Leistungsdichte

68,06 Meter standen seit Saisonbeginn für Christoph zu Buche, gut zwei Meter mehr als für Robert. Das lud die Meisterschaften mit Bedeutung auf. In Rio werden nicht mehr als drei deutsche Diskuswerfer antreten; eine Wild Card für den Titelverteidiger gibt es bei Olympia nicht. Und von Bundestrainer Jürgen Schult war zu hören: „Er muss was anbieten.“
 
Robert Harting sichert sich bei Leichtathletik-DM Olympiaticket

Dies sei es, was er brauche, behauptete Robert. „Das habe ich mir als Sportler immer gewünscht, dass so eine Leistungsdichte da ist. Das fordert mich in meinem innersten Kern heraus.“ Vor anderthalb Jahren, im September 2014, stolperte er im Training und zog sich einen Kreuzbandriss zu. Auf die Weltmeisterschaften von Peking ein Jahr drauf verzichtete er trotz weitgehender Heilung, um kein Risiko einzugehen. Und als er im Winter beim von ihm angeregten Istaf Indoor in Berlin endlich wieder werfen konnte – in der Halle – da fiel er vor Glück und Dankbarkeit auf die Knie.

Doch kurz darauf, im Mai, teilte er auf Twitter mit der ihm eigenen Mischung aus Witz und Sarkasmus mit: „Ich bin ab heute Mannschaftssportler! Das ganze Team arbeitet am Hochleistungskadaver! Danke Leute!“ Durch eine Knieentzündung hatte sich sein Bewegungsablauf verändert und Harting sich am Brustmuskel verletzt. Um sechs Wochen verzögerte sich sein Saisonbeginn.

„Man verliert ein bisschen seine Identität als Spitzensportler“, sagte Robert Harting damals über sich. „Der Start in der Halle hatte einige Geister geweckt. Aber leider ist das verpufft.“ Auch über seine verlorene körperliche Form machte er Scherze. Vier Kilo Muskelmasse fehlten ihm bei derzeit 126 Kilo noch, behauptete er: „Ich sehe aus wie ein Hochspringer.“

Nun, da er seine Olympia-Nominierung so gut wie sicher hat, wird er auf die nächste Herausforderung verzichten und nach Kienbaum zum Training statt nach Amsterdam zu den Europameisterschaften fahren. Die Reaktionen des Kämpfers funktionieren noch.

Michael Reinsch, Kassel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 19. Juni 2016

author: GRR

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