2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Jiro Mochizuki@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Leichtathlet Raul Spank – Mit Riesenschritten aus der Sackgasse – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wie eine Tat im Affekt wirkte der Gewinn der deutschen Meisterschaft. Raul Spank, lange Zeit der beste Hochspringer Deutschlands, stapfte enttäuscht und wütend von der Anlage mit den Schaumstoffmatten im Innenraum des Stadions von Nürnberg zum langen Anlauf gen Sandgrube.
Gut eine Stunde später hatte er, der Vierte im Hochsprung, seinen Groll zunächst in Energie und dann in einen Triumph verwandelt: Er war deutscher Meister im Dreisprung geworden. Die Siegesweite von 16,29 Meter war eine Einladung, bei der Disziplin zu bleiben: nicht richtig klasse, aber seit Ralf Jaros und Charles Friedek, von denen der eine mit 17,66 Meter bis heute den deutschen Rekord hält und der andere 1999 im Stadion wie in der Halle die Weltmeisterschaft gewann, seit also die besten deutschen Dreispringer Trainer geworden sind, alle Male gut genug für eine Perspektive.
Der Wechsel allerdings kam, entgegen dem Anschein, nicht spontan. Zu lange schon hatte sich der Raul Spank des Jahres 2015 an dem sechs Jahre jüngeren Raul Spank messen müssen, an dem Überflieger, der sich mit zwanzig für die Olympischen Spiele in Peking qualifizierte, der mit 21 bei der Weltmeisterschaft in Berlin mit 2,32 Meter die Bronzemedaille gewann und in Eberstadt seine Bestleistung auf 2,33 Meter steigerte. Doch was wie Versprechen auf noch bessere Leistungen erschien, erwies sich als Hypothek.
Das Vertrauen in den Körper fehlte
„Fünfzehn Mal war ich 2,30 Meter und höher gesprungen“, sagt Spank beim Training am Olympiastützpunkt Berlin, ein halbes Jahr nach Nürnberg. „Und dann hing ich fest bei 2,10 Meter. Es war frustrierend.“ Die Konkurrenz überflog 2,40 Meter, während Spank sich mit Verletzungen und Operationen herumschlug. Eine Reizung in der Schambein-Gegend, eine kaum feststellbare Behinderung, raubte ihm schließlich das Vertrauen in seinen Körper. Der Hochspringer Spank kam beim Absprung nicht mehr so vom Boden weg, wie er das gewohnt war.
Das war der Moment, in dem er bei der Landesmeisterschaft für den Dreisprung meldete. Was viele für einen Jux hielten, eröffnete Spank den Ausweg aus seinem Dilemma.
Mit seinem Betriebswirtschaftsstudium hatte er im März 2015 einen Lebensabschnitt abgeschlossen. Im Sport steckte er in einer Sackgasse. „Ich war fertig“, erinnert er sich. „Ich steckte in einem Loch. Ich hatte realisiert, dass das nichts mehr wird, und habe mich intensiv beworben.“ Auf seinem Schreibtisch lag unterschriftsreif ein Vertrag, der den 27-Jährigen über Nacht zum Consultant in der Energiewirtschaft gemacht hätte.
Die Zeiten des Hochsprungs sind für Raul Spank vorbei
Mit dem Dreisprung bei der Landesmeisterschaft Berlin-Brandenburg, den Riesenschritten links, links und dem Schlusssprung mit rechts, holte Spank sich das Startrecht für Nürnberg. Eigentlich war schon dies sein Abschied vom Hochsprung. Und eigentlich war dies auch seine Rückkehr zum Sport, bevor irgendjemand überhaupt bemerkte, dass er weg war. „Er hat das in den Füßen“, lobt Tamas Kiss, der Dreisprung-Bundestrainer. Spank hatte sich schon in dem komplexen Bewegungsablauf des Dreisprungs versucht, als ihm noch die ganze Welt des Hochsprungs offen zu stehen schien.
Weite statt Höhe: Raul Spank setzt den Fokus künftig anders
Bei der sächsischen Meisterschaft 2011 siegte er mit 15,80 Meter. Da trainierte er noch in seiner Heimatstadt Dresden bei dem ehemaligen Dreispringer Jörg Elbe und war mit dessen Tochter Jenny liiert, der Dreispringerin. Mit verkürztem Anlauf, Kiss erinnert sich genau, kam Spank beim Hop, Step und Jump sogar auf 16,54 Meter. „Wenn du keine Lust mehr hast auf Hochsprung“, lockte er, „komm zum Dreisprung.“
Bundestrainer Tamas Kiss: „Er hat es in den Füßen“
Seit zwei Jahren trainiert Spank in Berlin bei Rainer Pottel, der nicht nur Bundestrainer der Zehnkämpfer ist, sondern auch den Sprinter Lucas Jakubczyk betreut und früher mit Hochsprung-Weltmeister Martin Buß zusammenarbeitete. Er riet dem erschöpften Hochspringer, die neue Herausforderung anzunehmen. Seine Stelle bei der Bundeswehr behielt Spank. Auf Teneriffa hat er im Winter sein erstes Dreisprung-Trainingslager absolviert. „Wäre schon toll“, sagt er, „wenn ich es schaffen würde, in einer zweiten Disziplin zu Olympischen Spiele zu fahren.“
Mit der Senkung der Norm ist Rio de Janeiro dem Dreispringer fünfzehn Zentimeter entgegengekommen. Doch Spank wäre nicht Spank, wenn er sich nicht am internationalen Niveau orientierte. „17 Meter im Dreisprung, das ist wie 2,30 im Hochsprung“, sagt er. „Damit kriegst du alles hin.“ Obwohl er den Absprung gewagt hat, ist er noch nicht sicher, angekommen zu sein. „Ich fühle mich zwischen den Welten“, verrät er. Das soll sich in der Hallensaison ändern.
Wer Spank kennt, weiß, dass er nicht nur zum Dabeisein zu den Olympischen Spielen reisen will. Selbst um 16,85 Meter zu erreichen, muss er die Bestleistung seiner neuen sportlichen Bestimmung, jene 16,29 Meter von Nürnberg, bei jedem Satz des Dreisprungs um fast zwanzig Zentimeter übertreffen.
Deshalb arbeitet Spank am Tempo, schließlich geht es im Sprint hinein in den Dreisprung.
Er arbeitet im Kraftraum an seiner Stabilität, denn die Belastung durch den unnatürlichen Bewegungsablauf ist enorm. Und er muss den Rhythmus finden, der dem Dreisprung innewohnt und der den Briten Jonathan Edwards vor zwanzig Jahren als ersten von bis heute nur fünf Sportlern auf eine Weite jenseits von 18 Meter trug, zum bis heute gültigen Weltrekord von 18,29 Meter. Zusätzlich zu Kraft und Schnelligkeit, zu Schnellkraft und Mut erwartet Bundestrainer Kiss ein weiteres Talent von Spank. „Er sollte manchmal entspannter sein“, empfiehlt er, „nicht immer so mit heißem Kopf.“
Erst kürzlich ist Spank in der Trainingshalle zum ersten Mal seit Juli hoch gesprungen. Auf zwei Meter lag die Latte, Spank ging durch die Bewegungen wie beim Lauf-ABC. „Ich kann mir vorstellen, jederzeit im Sommer einen Hochsprung-Wettkampf zu machen“, sagt er.
„Aber Hochspringer bin ich nicht mehr.“
Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend. dem 27. Februar 2016