Blog
18
03
2009

Chambers ist so tief in Ungnade gefallen, dass er eigentlich das Blaue vom Himmel nicht mehr sehen dürfte.

Leichathletik-Kommentar – Einladung für den Gladiator – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

17. März 2009 Alle Welt distanziert sich von Dwain Chambers. Außer Berlin. Berlin lädt Chambers sogar ein. Der britische Leichtathletikverband hat seinen Hallen-Europameister unter dem Vorwand aus der Sprintstaffel geworfen, von jetzt an diene jedes ihrer Rennen der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in drei Jahren in London.

Dort wird Chambers nicht starten dürfen, weil er zwei Jahre wegen Dopings gesperrt war. Er wisse, dass er in Berlin eine Medaille verschenke, sagt Nationaltrainer Charles van Commenee. Aber das sei ihm und seinem Verband, möchte man ergänzen, der Rauswurf wert.

Chambers ist so tief in Ungnade gefallen, dass er eigentlich das Blaue vom Himmel nicht mehr sehen dürfte. Erst kam der Balco-Skandal, bei dem er, wie fast ein Dutzend Leichtathleten, mit dem Steroid THG aufflog. Dann kam sein Geständnis, dass alles noch viel schlimmer war. Das kostete nicht nur ihn, sondern auch seine einstigen Staffelkameraden Titel und Medaillen.

Sein Comeback, sein Ausstieg – auch aus dem Dopingkontrollsystem der Leichtathleten – , das nächste Comeback und nun, zum Gewinn der Europameisterschaft, das Erscheinen seines Buches, in dem er die Welt des Sports als Lug und Trug beschreibt – nichts davon lässt ihn als Sportsmann erscheinen. Und doch rennt er so schnell wie nie. Sein Eingeständnis, dass er – immer noch? – mit dem Doping-Drahtzieher Victor Conte zusammenarbeite, diesmal ganz sauber, ist der blanke Hohn. 
 
Die Verpflichtung von Chambers ist eine strategische Entscheidung

Ausgerechnet da eröffnet sich Chambers das Blau der Bahn im Berliner Olympiastadion. Der Mann sei bestraft worden, sagt Gerhard Janetzky, der Veranstalter des ruhmreichen Istaf; er werde ihn einladen und ihm einen Gegner aus der Liga Bolt, Powell und Gay verschaffen. Wenn man davon ausgehe, dass Spitzensport sauber sei, habe das auch für Chambers zu gelten. Er verstehe nicht, sagt Janetzky, warum dieser als Wurzel allen Übels gelte.

Die Antwort ist leicht. Chambers sagt, er müsse laufen, um seine Familie ernähren zu können. Er pocht auf das Recht des Stärkeren. Damit hält er dem olympischen Ideal von Fairness und Vorbild die Gier nach Gold und Geld, das Recht des Rekords entgegen. Der Sport sieht in Chambers seine eigene Fratze.
 
Die Zunft des Istaf ist ungewiss. Schlagzeilen kommen Janetzky gerade recht. Die Verpflichtung von Chambers ist insofern eine strategische Entscheidung. Sie bringen den Sprinter, den niemand haben wollte, in den Wettbewerb um den Jackpot. Wenn Chambers in Berlin siegt, aber auch nur dann, wird ihn niemand daran hindern dürfen, auch bei den nächsten Rennen der Golden League um seinen Anteil an der Million Dollar Preisgeld zu kämpfen.

Ein Mann rennt um seine Existenz: ein wahrer Gladiator.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 17. März 2009 

author: GRR

Comment
0

Leave a reply