Als ich am Morgen in London aufwachte und die nassen Straßen sah, ahnte ich, dass ich nicht gewinnen werde. Regen und Nässe sind genau das, was mir nicht liegt.
LAUFZEIT-Exklusiv-Interview mit dem Äthiopier Haile Gebrselassie, der am 24. September 2006 beim 33. real,- BERLIN-MARATHON starten wird
LAUFZEIT-Leser haben inzwischen ein besonderes Verhältnis zu Haile Gebrselassie. Beider vorjährigen Leserreise zum Abebe-Bikila-Marathon trafen einige erstmals mit ihm
zusammen und waren Gäste in seinem Haus am Rande von Addis Abeba. Auch diesmalwurden Leser bei ihrer zweiten Äthiopien-Reise von Haile eingeladen – ins Marathon-Café seines Handelshochhauses. Dort überreichten sie dem 33-jährigen Ausnahmeathleten, Vater von drei Töchtern und einem achtmonatigen Jungen, einen großen Berliner Bären.
REISEZEIT-Chef Klaus Weidt, der mit ihm bereits im Vorfeld ein Trainingscamp im November 2006 vereinbart hatte, nutzte die Chance zu einem längeren Interview mit dem zweimaligen 10.000-m-Olympiasieger, der bekanntlich auf die 42,195-km-Strecke wechselte und im September erstmals beim real,- BERLIN-MARATHON startet.
Ein Berliner Bär als Glücksbringer für den BERLIN-MARATHON – was halten Sie davon?
Ich bin echt gerührt. Ein schöneres Geschenk konntet ihr mirkaum machen. Der Bär wird inmeinem Haus einen Ehrenplatzerhalten und mich immer an den kommenden BERLIN-MARATHONerinnern. Ich weiß nur
War es Ihre Entscheidung,in Berlin an den Start zu gehen?
Es war eine gemeinsame Entscheidungvon meinem holländischenManager Jos Hermesund mir. Nach dem London-Marathon erschien es mir wichtig,noch im Herbst eine gute Leistung zu bringen.
Was bedeutet „eine gute Leistung“ in Berlin für Sie?
Sieg und Rekord. Möglichst Weltrekord.
War dieses Ziel nicht bereits für London anvisiert?
Ja, das ist richtig. Doch bereits als ich am Morgen in London aufwachte und die nassen Straßen sah, ahnte ich, dass ich nicht gewinnen werde. Regen und Nässe sind genau das, was mir nicht liegt. Ich musste meinen Laufstil umstellen, um nicht ins Rutschen zu kommen, und das kostet gerade in der Endphase eines solchen Rennens zu viel Kraft.
Und es kann zu Wadenproblemen führen.
Mit 2:06:35 Stunden sind Sie vor drei Jahren von 10.000 Meter auf die Marathondistanz gewechselt. Und in London blieb für Sie nur der neunte Rang in 2:09:05. Wie lange haben Sie sich darüber geärgert?
Bis heute, wo mir noch einmal die Frage danach gestellt wird. Aber ab sofort ärgere ich mich nicht mehr.
Nun habe ich ja den Berliner Bären, der mir Glück bringt.
Was wissen Sie von Berlin und seinem Marathon?
Die Berliner Luft soll berühmt sein. Das ist hoffentlich so geblieben. Ich war jedoch nur einmal, und das kurz, in Berlin. Das war vor sieben Jahren beim ISTAF-Sportfest im Olympiastadion, wo ich die 5.000 m in 12:56 Minuten lief. Natürlich weiß ich von der Strecke des BERLIN-MARATHON, dass sie schön flach und damit schnell ist. Die bisherigen Sieger haben das mit ihren Rekordzeiten unter Beweis gestellt. Leider kenne ich sonst nichts von Ihrer Stadt.
Wir laden Sie am Montag nach dem BERLIN-MARATHON zu einer’ Stadtrundfahrt ein!
Das ist ja großartig. Die Einladung nehme ich gern an.
Am Rande von Addis Abeba, nicht weit von Ihrem wunderschönen Haus, liegt Ihre Trainingsstrecke. Die ist gewiss nicht Ihre einzige?
Ich habe im Wesentlichen in Addis drei – in Höhen bis zu 3.100 m. Auf Waldböden und auf asphaltierter Straße. Doch am liebsten laufe ich durch den Wald, auch wenn man sich da mehr konzentrieren muss.
Allein oder mit Trainingspartnern?
Sowohl als auch. Manchmal wollen 18 Leute mit mir laufen.
Ist das nicht uneffektiv?
Nein, ich laufe doch sowieso immer vorneweg.
Wie viele Kilometer in der Woche kommen da zusammen?
Etwas mehr als 300. Heute Vormittag habe ich dreieinhalb Stunden trainiert.
Und wenn Sie kein Höhentraining absolvieren, wo sind Sie dann laufend unterwegs?
In den Niederlanden in der Nähe meines Managers. Dort ist mein zweites Zuhause.
Geduscht wird immer im „Haile-Hochhaus“?
Nach jedem Training fahre ich immer ins Hochhaus, das aber richtig „Alem Building“ heißt. Dort wartet dann auch Arbeit auf mich.
Alem ist der Name Ihrer Frau, die die Geschäfte führt …
Unser „Building“ in der Bole Street besteht aus zwei Hochhäusern und beherbergt viele Institutionen und Unternehmen, wie beispielsweise die Ethiopian Airlines, ein Restaurant, ein Fitness-Center, aber auch
Konferenzräume. Wir wollen weitere Hochhäuser bauen, vier sind es schon. Addis Abeba soll schön werden.
Doch sind es nicht die einzigen Projekte, die Sie mit Ihrer Frau umsetzen?
Wir führen u. a. eine Kampagne gegen Aids und unterstützen den Bau von Schulen im Land, was besonders notwendig ist.
Im November haben Sie sich für ein gemeinsames Trainingscamp mit deutschen Laufinteressenten zur Verfügung gestellt …
Ja, vor unserem Great Ethiopian Run, einem Volkslauf über 10 km. An meiner Trainingsstrecke ist ein hübsches kleines Hotel. Von dort aus wird gelaufen.
Es ist nicht Ihre einzige Laufinitiative?
Ich habe mit Sponsoren auch noch einen äthiopischen Frauenlauf ins Leben gerufen.
Sie haben einen gemeinsamen Brief von LAUFZEIT und REISEZEIT unterzeichnet, in dem für den Bau einer Schule „Marathon“ in einer besonders armen Region Äthiopiens geworben wird.
Ich finde das großartig, und es ist bisher einzigartig, dass deutsche Marathonläufer die Idee zu einer solchen solidarischen Hilfe mit unserem Land hatten und diese nun umsetzen. Vielen Dank dafür.
Die wenigsten wissen, dass Sie auch für ein Projekt in Berlin Geld gesponsert haben?
Für das Gemälde eines Künstlers aus Nikaragua auf einer Giebelwand in der Frankfurter Allee.Auch das möchte ich mir Ende September ansehen.
Sie sagten einmal, dass Siesich als Botschafter Äthiopiens fühlen?
In diesem übertragenen Sinnefühle ich mich überall, wo ich in der Welt bin.
Wir hörten im Vorjahr, dass Sie in die Politik gehen wollen?
Den Gedanken hatte ich tatsächlich. Inzwischen aber nicht mehr.
Also – ein Leben lang laufen?
Ja, man kann das. Die älteren deutschen Läufer beweisen das ja bestens. Ich stelle mir vor, auch nach den Olympischen Spielen von Peking noch ein paar Jahre bei Marathons zu starten, dann mich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren und Hobbyläufer zu bleiben.
Auf den Spuren des Olympiasiegers von 1960 und 1964, Abebe Bikila, endlich in China wieder ein äthiopischer Marathonsieg?
Darauf bereite ich mich vor. Die 10.000 m und 5.000 m sind ja von meinen Landsleuten abgesichert.
Jetzt erst einmal vollste Konzentration auf Berlin. Starten Sie vorher noch?
Nein. Ich fliege direkt aus der 3.000-m-Höhe meiner Heimat an die Spree von Berlin. Natürlich hoffe ich, dass es nicht wie in London regnet, wenn ich durchs Brandenburger Tor renne.
Als Erster?
Natürlich als Erster.
Den Berliner Bären allerdings werde ich wohl im Hotel lassen.
Das Interview erschien in der Lauf-Fachzeitschrift
LAUFZEIT 7&8/06
www.laufzeit.de
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