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07
01
2014

Laufen auf Eis und Schnee - Deutsche Läufer sind die größte ausländische Nation beim Polar Night Halbmarathon in Tromsö - Simone Raatz läuft trotz „Slicks" 10 km-Streckenrekord am Polarkreis ©wus-media - Wilfried Raatz

Laufen auf Eis und Schnee – Deutsche Läufer sind die größte ausländische Nation beim Polar Night Halbmarathon in Tromsö – Simone Raatz läuft trotz „Slicks“ 10 km-Streckenrekord am Polarkreis – Wilfried Raatz berichtet von einem nicht alltäglichen Laufspektakel am Polarkreis

By GRR 0

Es ist das Winter-Highlight der Laufszene in Norwegen. Zweifellos ein Event mit auffallendem Wachstumspotential.

Der Polar Night Half Marathon in Tromsö, der nördlichsten Universitätsstadt der Welt, gelegen am 70. nördlichen Breitengrad, hat bei der 11. Auflage dieses außergewöhnlichen Straßenlaufes mit seinen drei Wettbewerben Halbmarathon, 10 km und dem 5 km-Einsteigerlauf nicht nur die 1000-Teilnehmer-Marke mit 1117 Anmeldungen durchbrochen (als Vorsichtsmaßnahme wurde sogar ein Anmeldestopp verhängt), sondern ist mit Läufern aus 36 Nationen international wie viele der namhaften Stadtmarathonläufe weltweit.

Wer zum Jahresanfang in die 70.000 Einwohner große Stadt, die allgemein auch wegen des Startpunktes vieler Expeditionen als "Tor zum Eismeer" genannt wird, kommt, wird eher von einer tief verschneiten Winterlandschaft mit weihnachtlichem Flair inmitten der bis in die zweite Januarhälfte reichenden Polarnacht konfrontiert, an ein Laufevent der besonderen Größe denkt hier eher niemand. Selbst am Samstagmittag sieht die Start-Ziel-Geraden eher nach einer postweihnachtlicher Shoppingmeile aus – und dennoch startet alles pünktlich, einschließlich des Standards einer modernen Laufveranstaltung.

Im Vorprogramm gab es übrigens eine Pasta-Party im Polar-Museum mit einem reichhaltigen Saucenangebot, im Nachgang zur Siegerehrung im Rica-Hotel auch ein After-Race-Dinner, beides musste neben den zugegeben stolzen Startgebühren von 60 bzw. 70 Euro für den 10 km- bzw. Halbmarathon-Wettbewerb für jeweils 40 Euro gebucht werden.   

Am Klackern der Spikes war es unschwer zu erkennen, wer dieses Lauf-Highlight ernsthaft angeht und wer "just for fun" unterwegs sein möchte. Auch wenn der Race-Director Nils J. Haetta als Sprecher am Start und Ziel immer wieder betonte, dass Spikes nicht erforderlich seien. Es war auf dem eher rutschigen Untergrund keineswegs einfach, einen festen Stand zu finden. Vor allem, wenn man wie Glenn Thomas Martinsen aus der Region um Tromsö den Halbmarathon-Streckenrekord um fast drei Minuten auf 1:10:12 Stunden verbessert.

Oder aber, man reist wie Simone Raatz zwar mit drei Paar Laufschuhen an, die aber allesamt für einen ambitionierten Straßen- oder Trainingslauf geeignet sind, aber keineswegs für einen Schneeboden bzw. eisigen Untergrund. "Einmal lag ich praktisch schon waagrecht in der Luft" schilderte die Karlsruherin ihre Erlebnisse in schnellen Rennschuhen. Und dennoch sorgte die 37jährige im dritten Lauf innerhalb von nur einer Woche (Sieg in Forchheim, Rang sechs im Klassefeld in Bietigheim) in 38:06 Minuten für den zweiten Streckenrekord der Veranstaltung.

"Den Rekord verbessert, so glaube ich, in nächster Zeit niemand", sagt Simone Raatz mit Blick auf ihre Uhr und dem Wissen, dass der bisherige Kursrekord auf 40:53 fixiert stand. "Mit gescheiten Schuhen wäre heute locker eine kleine siebenunddreißiger Zeit machbar gewesen!" Nils J. Haetta jedenfalls war dieser starke Auftritt jedenfalls ein Paar adidas-Laufschuhe wert.

Die ambitionierte Karlsruher LG-Läuferin jedenfalls war nicht die einzige erfolgreiche Deutsche. Auf dem obersten Siegertreppchen in ihrer Altersklasse stand auch die 74jährige Ingrid Meyer-Schall aus Hamburg, die zum vierten Mal in Folge (!) ihren Halbmarathon als Klassenerste abschloss. In 2:20:53 Stunden lag sie dabei eine satte halbe Stunde vor der Norwegerin Kirsten M. Stitfell, die sie bereits von ihrem Marathon aus Spitzbergen her kennt. Die rüstige Lauf-Weltenbummlerin läuft erst seit zehn Jahren – und begann ihre Laufkarriere natürlich beim Hamburg-Marathon. Inzwischen sind fünfzehn weitere hinzugekommen, darunter auch Berlin, New York, Stockholm und Reykjavik.

Ein willkommener Stammgast in Tromsö ist natürlich Andreas Kämper mit seinem Reiseunternehmen Lauf-Abenteuer, den es bereits zum vierten Mal mit einer Gruppe in den höchsten Norden zog. Diesmal hatte er 27 Läufer im Tross. Darunter auch Martina Ramthun von der BMS Sportveranstaltungs GbR, dem Veranstalter der namhaften Hamburger Läufe wie dem Alsterlauf und dem Halbmarathon.

"Mein Ziel ist es, ausgefallene und besonders attraktive Läufe anzubieten", so der Reisemanager aus Monzingen an der Nahe. "Sehr beliebt sind Istanbul oder eben Tromsö. Im Kommen sind aber auch Ultraläufe wie in Langavegur auf Island über 55 km und 2000 Höhenmetern". Gerne hätte Andreas Kämper in seinem Portfolio noch die Marathonläufe in Belfast oder in Beirut oder auch auf Grönland. Und seine Kunden? "Im Schnitt sind meine Gäste vierzig, eher sogar noch älter. Heute ist aber auch eine Familie dabei. Zumeist buchen bei mir aber Stammkunden", weiß der erfahrene Marathonmann mit einer Bestzeit von 2:49:57 Stunden, die er 2003 in Bonn erzielen konnte.  

Doch sind wir einmal ehrlich, wer reist schon in den nördlichsten Zipfel Norwegens alleine wegen eines Halbmarathons oder eines Zehner. Denn Bestzeiten lassen sich auf dem schnee- und eisglatten Untergrund ehedem nicht erzielen. Vielmehr geht es darum, was sich in den kurzen Aufenthalt an ausgesprochenen Highlights alles einbauen lässt. Die Stadt selbst, nach Einschätzung der Touristiker die flächenmäßig zweitgrößte Stadt der Welt, bietet manches fußläufig.

Imposant die 1965 gebaute Eismeerkathedrale, die wegen seiner markanten Bauweise ebenso ein Anziehungspunkt ist wie auch die 1036 m lange Brücke, die Tromsö mit dem Festland verbindet. Einen guten Blick über das weitgezogene Häusermeer hat man vom Tromsdalsgipfel (1238 m) oder dem Flöyberg (1420 m) nicht zuletzt deshalb, weil es zum Jahreswechsel in Tromsö nie richtig Tag wird und nahezu alle Häuser  beleuchtet sind. Wer selbst in dieser arktischen Landschaft das Laufen nicht lassen kann, der findet neben der Straße zumeist mit grobem Split gestreute Wege oder kann sich neben den rund um die Uhr beleuchten Langlaufloipen kilometerweit bewegen. Gutes Schuhprofil vorausgesetzt. Mit Nägeln bestückte Laufschuhe sind eher für die Schnellläufer gedacht, zum Joggen sind diese eher störend.

Wie wäre es mit einer Husky-Schlittenfahrt mit oder ohne kulturellem Zusatzprogramm? Oder einer Rentiertour mit einer Übernachtung in einer original nachgestalteten Unterkunft der Samen, der Urbevölkerung am Polarkreis? Oder einer fünfstündigen Tour zur Polarlichts-Beobachtung? Gut gefüllt muss auf jeden Fall die Reisekasse sein.

Ein leckeres Fischgericht kostet 40 Euro und mehr, die vierstündige Tour zur größten norwegischen Huskyfarm mit einer einstündigen Hundeschlittenfahrt sowie einem leckeren Rentiereintopf  und Schokokuchen schlappe 180 Euro. Nach oben sind freilich kaum Grenzen gesetzt, das Touristenangebot ist allerdings auch nordisch geprägt vielfältig. Nur auf eines sollte das Läuferherz am besten verzichten, das regenerative Bier oder der gönnerhaft kredenzte Wein nach vollbrachter Laufarbeit sollte man sich für Zuhause aufheben.

Wenn es nach Tromsös Bürgermeister Jens Johan Hjort geht, dann kann die Entwicklung beim Polar Night Halbmarathon so weiter gehen. Schließlich kommen viele wieder und bringen Freunde und Kollegen mit, denn selten lässt sich ein neues Laufjahr so entspannt beginnen wie am Polarkreis.   

 

Wilfried Raatz

 

Winter race in Tromsø/Norway on 4 January 2014 – Polar Night Halfmarathon

 

 

author: GRR

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