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09
03
2023

Ehrung für Horst Milde in Dresden - "Ein Lebenslauf - Als Lebenwerk" - Foto: René Nicolai - Laufszene Sachsen

Laudatio für Horst Milde – Verleihung des „Goldenen Rudi“ am 3. März 2023 in Dresden – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

By GRR 0

Als mich André Egger im Dezember letzten Jahres anschrieb, ob ich hier und heute eine kleine Laudatio auf Horst Milde als eine verdienstvolle Persönlichkeit des Laufsports anlässlich der Verleihung des Goldenen Rudis vortragen könnte, da habe ich spontan zugesagt:

Ich kenne Horst Milde und seine Familie mit Ehefrau Sabine und den drei Kindern seit fast 40 Jahren. Ich habe bestimmt an über 40 Laufveranstaltungen unter seiner Leitung teilgenommen und mindestens 40 Laufveranstaltungen an seiner Seite organisatorisch mit begleiten dürfen.

Da gibt es schon einiges zu erzählen – aber in einer Laudatio? Und das alles in weniger als 40 Minuten?  

Je mehr die Vorbereitung auf diesen heutigen Abend heranrückte, umso mehr kamen mir Zweifel, ob ich der Sache gerecht werden könnte: Es gibt schließlich niemanden in Deutschland – egal ob in Ost- oder in Westdeutschland – und vielleicht noch nicht einmal in ganz Europa oder weltweit, der seit nunmehr 60 Jahren die moderne Laufbewegung so aktiv und so ideenreich und so vielseitig mitgestaltet hat wie Horst Milde in Berlin  … mit Ausstrahlung in ganz Deutschland, in Europa und weltweit.

Damit ist im Grunde schon alles gesagt; ich könnte meine Laudatio auf diesen Mann hier beenden. Mit jedem weiteren Satz laufe ich nämlich Gefahr, buchstäblich ins Stolpern zu geraten und am Ende ganz zu scheitern, weil ich bei den vielfältigen Engagements für den Laufsport die Prioritäten falsch setze, Zahlen nicht richtig auf die Reihe bringe oder sogar wichtige Details vergesse: Sie als Publikum hätten Anlass zum Protest, und der Geehrte würde am Ende sauer auf mich sein.

Sie merken, vor welcher schier unlösbaren Herausforderung ich in den verbleibenden noch rund zehn Minuten stehe. Doch ich nehme diese Herausforderung an, und zwar sportlich. Ich betrachte sie wie einen Marathon. Aber: Bei diesem Marathon geht es ausschließlich darum, die Laudatio für Horst Milde ins Ziel zu bringen. Und auf dem Weg dorthin brauche ich ihre Unterstützung: Schließlich geht es um den „Goldenen Rudi“, der im Ziel auf Horst Milde wartet!

Zurück zum Marathon und damit gleich direkt an die Startlinie: Wir schreiben Sonntag, den 13. Oktober 1974, und befinden uns in Berlin, hier im Stadtteil Charlottenburg, ganz genau an der Waldschulallee in Höhe des Hauses Nr. 80 und nicht weit entfernt vom Mommsenstadion, der Heimsportstätte des SC Charlottenburg (SCC Berlin), dem Sportclub von Horst Milde, in dem er längst Ehrenmitglied ist.

Horst Milde bei seinen Dankesworten nach der Ehrung – mit „seinem Rudi“ – Foto: René Nicolai 

Es ist kurz vor 9 Uhr am Morgen, die Sonne hat sich versteckt, die Temperatur liegt bei etwa zehn Grad. Insgesamt 286 Läuferinnen und Läufer stehen (mit uns) vor der Startlinie mitten auf der Straße und warten darauf, dass endlich der 1. Berliner Volksmarathon gestartet wird – denn: mit dem Startsignal wird hier gleich ein Mann Laufgeschichte schreiben: „Auf die Plätze! Fertig! Los!“

Das dürften die Worte des Berliner Volkslaufwartes und Leiter der Leichtathletik-Abteilung des SCC Berlin gewesen sein, der die Läuferinnen und Läufer auf die zwei zu absolvierenden Runden in Richtung Strandbad Wannsee durch den Grunewald schickt.

Dieser Mann ist Horst Milde, ein studierter Diplom-Kaufmann und ausgezeichneter Konditormeister aus Berlin-Tempelhof … kurz vor seinem 40. Geburtstag. Dieser Mann feiert aber in Wirklichkeit in diesem Moment seinen 1. Geburtstag – nämlich als „Mr. Berlin-Marathon“. Er hat – wenn ich das so sagen darf – den BERLIN-MARATHON geboren. Er ist der Gründungsvater des BERLIN-MRATHONS, der zwei Jahre später genau diesen Namen erhielt. Am 27. September 1981 führt die von Horst Milde konzipierte Strecke erstmals durch die Berliner City mit Start an der Mauer vor dem Reichstag und dem Ziel auf dem Kurfürstendamm.

Horst Milde machte den Berlin-Marathon als ehrenamtlicher Renn-Direktor zur größten Laufveranstaltung in Deutschland sowie zu einer der angesehensten und schnellsten auf der ganzen Welt … immer mit Horst Milde „mittenmang“ – vorzugsweise im Führungsfahrzeug, zuerst mit seinem privaten PKW in Kastenbauweise, später in der etwas edleren Limousine eines Sponsors. Die Funktion des Renn-Direktors hat längst Sohn Mark in bewährter Weise vom Vater übernommen – aber:

Bis heute verfolgt Horst Milde als Ehren-Renn-Direktor alle Läufe von SCC Events „live auf der Strecke“, fast immer mit dem Fotoapparat in der Hand und in Begleitung seiner Ehefrau Sabine. Der Berlin-Marathon ist und bleibt sein „ehrenamtliches“ Lebenswerk. Der Berlin-Marathon ist stets Trendsetter für die Laufbewegung national und international. Horst Milde hat dafür das Fundament geschaffen: mit seinen gestalterischen Fähigkeiten, mit seiner unnachahmlichen Gabe, Menschen für seine Ziele und Ideen zu begeistern, aber nicht zuletzt auch mit seiner unermüdlichen handwerklichen Fleißarbeit, mit der Horst Milde jedes kleinste Detail plant, ausführt und dann auswertet, um es zukünftig auf dem bereits erreichten Niveau immer noch weiter zu verfeinern.

Ist so einer nicht ein „positiv Verrückter“? Diese Zuschreibung stammt zwar von Horst Milde selbst, aber er hat sie nie auf sich selbst bezogen, sondern damit immer nur auf andere gezeigt. Deswegen, lieber Horst, sei mir heute erlaubt, hier öffentlich bekannt zu geben: „Horst Milde ist ein positiv Verrückter!“ Ich will das gern noch weiter begründen, indem ich nur ganz kurz und eher stichwortartig eine Aufzählung beginne mit Innovationen im Laufsport, die Horst Milde in all den Jahren angestoßen und selbst auf den Weg gebracht hat und die sich zunehmend in der Laufbewegung etabliert haben – als da wären:

  • der sportmedizinische Service auf der Strecke einschließlich der präventiv-medizinischen Betreuung im Umfeld, damals mit Dr. Willi Heepe als „Marathonrennarzt“
  • die Integration der Rollstuhlfahrer in den Marathon bereits beim ersten Stadt-Marathon 1981
  • die Angebote im sog. Kulturellen Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Theateraufführungen; oekumenischen Gottesdienst und Lesungen
  • die europäische Premiere der elektronischen Chip-Zeitmessung beim BERLIN-MARATHON
  • der Erfindung des Mini-Marathon für Schulteams, später die Bambiniläufe für die ganz kleinen
  • das Marathonrennen für Inline-Skater ab dem Jahr 1997 parallel zum Marathonlauf
  • die Gründung des Jubilee-Clubs für alle, die mindestens zehnmal den BERLIN-MARATHON gefinisht haben
  • die Markierung der „Blauen Linie“ für die ideale Streckenführung
  • die Initiierung des weltweit einzigen „AIMS Marathon-Museum of Running“ im Berliner Sportmuseum, wo inzwischen Ausstellungsstücke aus aller Welt im sog. „Marathoneum“ gezeigt werden
  • die Gründung der Straßenlauf-Vereinigung German Road Races e.V. als deren Sprecher er über Jahrzehnte fungiert hat etc. etc.

Ich breche hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit ab. Horst Milde organisierte neben dem Marathon in mehr als vier Jahrzehnten in Berlin weitere rund 350 Laufveranstaltungen über verschiedene Distanzen, darunter den Berliner Frauenlauf über 10 km im Tiergarten, den Halbmarathon und die 5×5-km-Teamstaffel – und zuletzt, jetzt immer noch – den Berliner 10 km für Gefangene in der JVA Plötzensee. Rund 1,5 Mio. Menschen aus über hundert Nationen hat Horst Milde im übertragenen, aber auch im konkreten Sinne das Laufen beigebracht bzw. ihnen auf die Beine geholfen.

Angefangen hatte einst alles übrigens im November 1964 im Grunewald, wo auf Anhieb 700 (!) Teilnehmer beim ersten Cross-Country-Volkslauf unterwegs waren, den Milde als Student an der FU Berlin mit dem AStA-Sportreferat veranstaltet hatte. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Horst Milde war selbst ein erfolgreicher Leichtathlet. Mit der 3 x 1000 Meter Staffel des SCC Berlin wurde er zweimal Deutscher Meister; mit seinen Bestzeiten von 33:33 Min. über 10.000 m und 800 m in 1:49.8 Min. würde er auch heute noch manchen Lauf gewinnen können.

Seinen BERLIN-MARATHON ist er jedoch nie gelaufen, dafür aber achtmal in aller Welt, um die Erfahrungen dort für Berlin zu nutzen. Inzwischen hat es bei „seinem“ Marathon in Berlin elf Weltrekorde gegeben – so viel wie nirgendwo anders auf der Welt. In der Weltrangliste der schnellsten Marathonläufe steht Berlin unangefochten auf Platz eins.

Doch würde man Horst nach seinen größten Momenten in all den Laufjahren fragen, ich bin sicher, zwei Läufe wären mit Sicherheit dabei: der erste Neujahrslauf am Brandenburger Tor 1990 und dann der Vereinigungs-Marathon am 30. September 1990 unmittelbar vor der Wiedervereinigung erstmals auch durch den Ostteil der Stadt.

Horst Milde erhält heute den „Goldenen Rudi“. Das ist nicht die erste Auszeichnung für seine großen Verdienste im Laufsport. Ich verzichte darauf, auch nur andeutungsweise einige seiner bisherigen Ehrungen zu nennen. Heute steht der „Goldene Rudi“ für Horst Milde im Mittelpunkt – aber die Festgemeinde hier im Saal darf ruhig wissen:

Anlässlich des 75. Geburtstages von Horst Milde haben wir den Horst-Milde-Award als Ehrenpreis ins Leben gerufen. Damit werden alle zwei Jahre andere Personen ausgezeichnet, für die ähnlich wie bei Horst Milde die Laufbewegung zu ihrem Lebenswerk gehört. Die bis heute tätige Gründungsjury, u.a. mit Gerd Steins, dem Präsidenten des Forums Sportgeschichte und Förderverein für das Berliner Sportmuseum, sowie Michael Reinsch, Sportredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, war eigentlich davon ausgegangen, dass Horst Milde mit 75 Jahren keine Ehrungen mehr zu erwarten hätte und deswegen die Zeit reif sei, mit seinem Namen andere Menschen auszuzeichnen und so das Lebenswerk von Horst Milde in Erinnerung zu behalten.

Nun kommt alles doch ganz anders. Die „Laufszene Events GmbH mit Sitz in Dresden“ hat es so gewollt. Niemand muss deswegen böse sein – ganz im Gegenteil: Wir sind dankbar für diese Entscheidung, denn schließlich ist Horst Milde bis auf den heutigen Tag aktiv im Laufsport … allen voran mit seinen Läufen auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof und mit seinem täglichen GRR-Newsletter, der uns immer am frühen Nachmittag mit Nachrichten aus der Welt des Laufsports erreicht.

So ehren wir heute Horst Milde nicht nur für sein großes Werk im Laufen, sondern haben ihm auch zu danken, was er täglich dafür tut … heute und morgen, in den nächsten Tagen, Wochen und hoffentlich noch in vielen weiteren Jahren: danke, lieber Horst, und herzlichen Glückwunsch zu Deinem „Goldenen Rudi“!  

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

 

author: GRR