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Kommentar zum Breitensport – Besinnung auf den Purzelbaum – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0


13.01.2014  ·  Was Kinder früher beim Spiel auf der Straße lernten, bringen ihnen nun Übungsleiter nahe: Laufen und Springen, Balancieren und Werfen. Im scheinbar Normalen steckt das Besondere.

Pokal-Atmosphäre könnte man der Verleihung der „Goldenen Sterne des Sports“ gut und gerne attestieren. In der Bank am Brandenburger Tor, in dem Vizekanzler Sigmar Gabriel und eine bekannte Fernsehmoderatorin die Repräsentanten der in den Ländern ausgezeichneten Vereine begrüßten, herrschte „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“-Stimmung.

Man könnte allerdings auch konstatieren, dass dieses zehnte Finale des großen Vereinswettbewerbs vor allem Notizen aus der Provinz brachte.

Gutwillige Ehrenamtler (und nicht zu vergessen: eloquente Bankdirektoren) stellten gut gemeinte Aktionen vor. Gewiss, manche Irritation mag an der Hopplahopp-Moderation und der Kürze der Videoclips gelegen haben; man erfuhr zum Beispiel nicht wirklich, warum der SV Glienicke das Land Brandenburg vertrat mit seinem Angebot, auf Gymnastikbällen zu trommeln, die in Plastiktrögen stecken.

Selbst die drei Sieger, ausgewählt unter 2500 Bewerbern, erweckten den Eindruck, dass aus den mehr als 90.000 Sportvereinen Deutschlands wenig originelle Ideen kommen, dass in der Sportorganisation, die sich auf inzwischen 28 Millionen Mitgliedschaften beruft, nichts Überraschendes möglich ist und den „Sternen des Sports“ der Glanz fehlt.

Nimmt man das Finale zum Maßstab, wird im deutschen Sport integriert auf Teufel komm raus. Jugendliche Straftäter, Behinderte, Einwanderer, Spätaussiedler – der organisierte deutsche Sport scheint das Feld körperbetonter Sozialarbeit geworden zu sein.

Da fällt der als Sieger ausgezeichnete TSV Schott Mainz schon gehörig aus dem Rahmen: Er hat das Kinderturnen neu erfunden.

Man muss genau hinschauen, um die Neuigkeit zu entdecken. Was Kinder früher beim Spiel auf der Straße lernten, bringen ihnen nun Übungsleiter nahe: Laufen und Springen, Balancieren und Werfen, Purzelbaum schlagen und Klettern.

In der Normalität steckt das Besondere

Ähnlich wie im Instrumentenkarussell der Musikschule spielen sie planmäßig verschiedene Sportarten an. Das Besondere daran? Es handelt sich – so profund die wissenschaftliche Entwicklung des Programms, so überraschend die Erkenntnis – zunächst einmal um nichts als Sport. Gerade in der scheinbaren Normalität steckt das Besondere.

Die Ehrung ist deshalb auch eine Aufforderung an die Gesellschaft und ihre Politiker, die Sportvereine mit den inzwischen üblichen Ansprüchen an ihre gesellschaftspolitische Funktion nicht zu überfordern, sie nicht haftbar für etwas zu machen, das der Staat nicht leisten kann oder will.

Die Wahl von Schott Mainz steht so für eine Besinnung: auf die Rückkehr des Sports zur Zweckfreiheit. Zu seinem Kern.

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 13. Januar 2014

author: GRR

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