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04
11
2010

Die Ironie ist bitter, als nur eine Stunde vor der erzwungenen Absage der WM-Bewerbung London der Ausfallbürgschaft über 28 Millionen Euro zustimmte.

Kommentar – Kino ohne Leinwand – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Olympiastadt London 2012 zieht Bewerbung um die Leichtathletik-WM 2015 zurück

By GRR 0

Die Olympiastadt London hat ihre Bewerbung um die Leichtathletik-WM 2015 zurückgezogen. Der Grund: Drei Jahre nach den Olympischen Spielen 2012 wird der Stadt ein taugliches Stadion fehlen. Der Rückzug ist peinlich für London.

Sorry, das nagelneue Olympiastadion steht für Läufer, Springer und Werfer nicht zur Verfügung. Die Olympiastadt London hat drei Wochen vor der Vergabe der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2015 ihre Bewerbung zurückgezogen. Die Begründung klingt wie ein Witz: Man könne den künftigen Betreiber nicht zwingen, drei Jahre nach den Olympischen Spielen 2012 eine Laufbahn und ähnliches bereit zu stellen.

Für mehr als 600 Millionen Euro aus der Staatskasse entsteht das Stadion derzeit. Die Fußballklubs West Ham United und Tottenham Hotspur sind als potentielle Nachmieter im Rennen. Für ihr Geschäft brauchen sie weder Weitsprunggrube noch Diskus-Ring.

Der Rückzug ist peinlich für London. Drei Mal hat die Stadt den Zuschlag für Olympische Spiele erhalten. 1908 baute sie als erste ein Olympiastadion, das White City Stadium. Es wurde 1985 abgerissen. Die Spiele von London 1948, die ersten nach dem Weltkrieg, boten der Leichtathletik eine Heimstatt im Wembleystadion. Das Versprechen des Vorläufers der britischen Leichtathletik, des Olympiasiegers und Bewerbungschefs Sebastian Coe, der Jugend der Welt 2012 ein Erbe zu hinterlassen, fand auf der entscheidenden IOC-Sitzung im Juni 2005 in Singapur deshalb starke Resonanz, weil alle miterlebt hatten, dass London zwar den Zuschlag für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften jenes Jahres erhalten hatte, von der Ausrichtung aber zurücktreten musste, weil die Stadt den Bau eines Stadions ablehnte.

Das war die Idee der Olympiabewerbung Londons: Großbritannien und der Welt etwas Bleibendes zu hinterlassen.
 
Die Ironie ist bitter, als nur eine Stunde vor der erzwungenen Absage der WM-Bewerbung London der Ausfallbürgschaft über 28 Millionen Euro zustimmte. Die Ausschreibungen für die Nachnutzung des Olympiageländes nimmt eine Olympic Park Legacy Company vor, Gesellschaft für das Erbe des Olympiaparks.

Würde man verlangen, sagt die britische Regierung, im Olympiastadion eine Leichtathletik-WM auszutragen, hieße das, die Bedingungen der weit fortgeschrittenen Ausschreibung nachträglich zu ändern und Schadensersatzansprüche gewärtigen zu müssen. Das erscheint so grotesk wie die Vorstellung, ein Filmfestival könnte scheitern, weil der Mieter des auf Staatskosten gebauten Kinos die Leinwand herausreißen darf.

Einziger Bewerber um die WM 2015 ist nun Peking. Es wird Zeit, dass die olympische Kernsportart Leichtathletik ins Vogelnest zurückkehrt. Trotz Kosten von rund 300 Millionen Euro und seiner Schönheit hat es das andere Problem olympischer Monumentalbauten: Es steht seit 2008 nutzlos herum. Die Verwaltung erlaubt nicht einmal Fußballspiele.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 5. November 2010

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