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17
07
2009

In Athen 2004 wartete er im Finale über 10.000 Meter respektvoll auf Altmeister Gebrselassie und spurtete dann zum Sieg. In Peking 2008 wurde er Olympiasieger über 5000 und 10.000 Meter. Über beide Strecken hat er – in 12:37,35 Minuten und in 26:17,53 – die Weltrekorde von Gebrselassie unterboten.

Kenenisa Bekele – Schnell und unerbittlich – aber leise – Michael Reinsch, Paris, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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17. Juli 2009 Vor einem halben Jahr ging er noch an Krücken. Inzwischen ist er wieder der schnellste Mann der Welt. Die Rede ist nicht von Usain Bolt, dem jamaikanischen Sprinter, der für diesen Freitagabend in Paris einen Weltrekord über 100 Meter in Aussicht stellt. Der Herrscher der langen Strecken im Stadion ist Kenenisa Bekele, ein sanftäugiger Äthiopier, der im Gegensatz zu Bolt mit leiser Stimme spricht.

Auf der Bahn ist allerdings auch er unerbittlich und deshalb seit mehr als zwei Jahren unbesiegt. Und er kann sprinten. Jeweils im Endspurt sicherte sich Bekele bei den Golden-League-Sportfesten von Berlin, Oslo und Rom die Siege über 5000 Meter, die ihn zum Favoriten bei der Weltmeisterschaft in Berlin machen und ihm die Aussicht auf zumindest einen Teil des Jackpots von einer Million Dollar eröffnen.

Für den Vergleich mit Bernard Lagat, dem Weltmeister über 1500 und 5000 Meter, im Rennen über 3000 Meter am Freitagabend in Paris hat Bekele sich eine Weltrekordprämie von 100.000 Dollar versprechen lassen. Den Rekord von 7:20,67 Minuten hält seit 1996 der Kenianer Daniel Komen. Dabei ist sich der 27 Jahre alte Bekele seiner Leistungskraft gar nicht so gewiss wie Bolt, obwohl er mindestens ebenso ein Laufwunder ist. Nicht nur, dass er vor sechs Jahren bei der WM von Paris bei dem äthiopischen Dreifacherfolg über 10.000 Meter sein Vorbild Haile Gebrselassie im Endspurt abservierte und Erster wurde – seitdem ist er auch in Helsinki 2005 und Osaka 2007 Weltmeister geworden.
 
In Athen 2004 wartete er im Finale über 10.000 Meter respektvoll auf Altmeister Gebrselassie und spurtete dann zum Sieg. In Peking 2008 wurde er Olympiasieger über 5000 und 10.000 Meter. Über beide Strecken hat er – in 12:37,35 Minuten und in 26:17,53 – die Weltrekorde von Gebrselassie unterboten. Mit seinen elf Weltmeisterschaften im Querfeldeinrennen, darin fünf Doppelsiege auf Kurz- und Langstrecke, ist er ohnehin eine Legende des Laufsports geworden.

Trainingsläufe auf Asphalt

„Ich habe noch ein paar Extra-Kilos“, klagte er nach seinem Saisoneinstand Mitte Juni in Berlin. In Rom sagte er in der vergangenen Woche, nachdem er in 12:56,23 Minuten die beste Zeit des Jahres gelaufen war, dass er immer noch nicht richtig schnell sei. Das gilt selbstverständlich nur für sein unglaubliches Niveau und ist deshalb kein Wunder. Im November vergangenen Jahres ruinierte sich Bekele den rechten Fuß derart, dass er zwei Monate lang pausieren musste. Er, der auf der Bahn, in der Halle und im Gelände Titel gewonnen hat, wollte Gebrselassie auch auf der Straße mit einem Weltrekord nahekommen.
 
Mit Trainingsläufen auf Asphalt versuchte er – knapp zwei Monate nach den Olympischen Spielen – sich auf den Sieben-Hügel-Lauf von Nijmwegen in Holland vorzubereiten. Das war zu viel. Wohl schon im Training erlitt er den Knacks, der bei der Hälfte des 15 Kilometer langen Rennens aufbrach: ein Ermüdungsbruch. „Man hört nicht auf, nur weil etwas weh tut“, sagt Bekele. Er quälte sich bis ins Ziel, wo er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Hermens trug ihn zum Arzt. Auf die Frage, ob er sich überhaupt irgendwie bewegen konnte, lacht sein Manager Jos Hermens herzlich und ruft: „Im Auto!“ Mehr als fünf Kilo nahm der immobile Bekele in der Folge zu, der üblicherweise bei 1,74 Meter Größe ein Wettkampfgewicht von 66 Kilogramm hat.

Das Rennen in Paris entscheidet über die WM-Planung

„So eine Verletzung hatte ich noch nie“, sagt Bekele. „Als ich jung war, habe ich alles erreicht; kein Leichtathlet war so erfolgreich wie ich. Und meine Karriere ist erst sieben Jahre alt.“ Zwei Monate lang kümmerte er sich vornehmlich um seine beiden Töchter, um den Bau eines Hotels, das gegenüber dem Büro von Gebrselassie in Addis Abeba entsteht, und um die Planung eines Trainingscamps im Hochland. Dann begann er, Ende Januar, mit Jogging und Schwimmen. „Nur um Gewicht zu verlieren“, sagt er, „kein hartes Training.“ Für die Vorbereitung auf die Saison blieben ihm schließlich nicht mehr als acht Wochen. So erstaunlich erfolgreich dieses Kurzprogramm war, Bekele will es nicht noch einmal auf sich nehmen. „Ich werde in den nächsten sieben Jahren nicht mehr auf der Straße laufen“, sagt er.

Den schwersten Schicksalsschlag hatte Bekele im Januar 2005 hinnehmen müssen, als seine Verlobte, die 18 Jahre alte Läuferin Alem Techale, beim gemeinsamen Training außerhalb von Addis Abeba zusammenbrach und starb. Bekele litt nicht nur unter dem Verlust, sondern auch unter dem Verdacht, dass der Tod der Hochleistungssportlerin und ehemaligen Jugend-Weltmeisterin mit Doping im Zusammenhang stehen könnte. Doch über den Verdacht hinaus, der ein ständiger Begleiter des Spitzensports ist, materialisierte sich nichts. „Ein solches Unglück ist nichts Einmaliges“, sagt Bekele, ein orthodoxer Christ. „So etwas passiert nicht nur mir. Gott gibt mir Kraft und hilft mir.“

Seit Ende 2007 ist er mit der Schauspielerin Danawit Gebregziabher verheiratet. Der Ausgang des Rennens am Freitagabend wird über Bekeles Zeitplan in Berlin entscheiden. „Wenn ich im Jackpot bleibe“, sagt er, „werde ich bei der Weltmeisterschaft auf die 5000 Meter verzichten und laufe nur 10.000.“

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 17. Juli 2009

author: GRR

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