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09
06
2007

"Der Sport hat seine gesellschaftliche Relevanz dadurch verloren, dass Wirtschaft, Fernsehen und Medien ihn okkupiert haben", konstatiert Haack. So wie Haack seine Aufgabe für die Regierung dazu nutzte, gemeinsam mit den Betroffenen das Behindertengleichstellungsgesetz zu verfassen, das vor fünf Jahren in Kraft trat, so kämpft er nun für die Anerkennung seines Verbandes.

Karl-Hermann Haack kämpft als politischer Präsident für neue gesellschaftliche Konzepte – Die Alten sollen vom Behindertensport lernen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)

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BERLIN. Karl-Hermann Haack drückt sich gern drastisch aus. „Die Behinderten wollten mich nicht haben“, sagt er beispielsweise, „weil mir kein Arm fehlte.“ Das war, als Bundeskanzler Schröder den SPD-Abgeordneten aus Extertal zum Behindertenbeauftragten der Bundesregierung machte, vor neun Jahren. Zur Bundestagswahl im September 2005 trat Haack nicht mehr an. Dafür übernahm er im Rentenalter den Vorsitz des Deutschen Behindertensportverbandes.

So ist er Politiker geblieben. Die Gesellschaft altert rasant, und Haack prognostiziert jedem, früher oder später mit Behinderungen leben zu müssen. Haack bietet allen an, von der Erfahrung des Behindertensportverbandes zu profitieren.

Die Überalterung

Der Behindertensportverband hat nicht nur einen politischen Präsidenten gefunden, sondern behandelt auch ein hochaktuelles gesellschaftliches Thema: die Überalterung und die damit einhergehenden Einschränkungen eines jeden Einzelnen.

Haack stellt Strategien in Aussicht, mit Handicaps mobil zu bleiben. Er bietet an, mit den Fachleuten seines Verbandes gegen körperlichen Verfall, gegen geistigen Rückschritt und gegen Vereinsamung anzutrainieren. „Unser Land wird einen enormen Anstieg an sogenannter normaler Behinderung haben“, sagt Haack.

„Wir betrachten uns als Avantgarde, die versucht, Antworten zu geben auf die Erfordernisse des demographischen Wandels.“ In Duisburg hat der Behindertensportverband eine Akademie für Ausbildung und Lehre eröffnet. Bahn AG und DAK arbeiten mit ihm zusammen. Sie verstehen und nutzen die Vereinigung der fast 360000 Behindertensportler als Vorhut der Alten, die ihre persönliche Freiheit gegen die Beschwernisse des Alters verteidigen wollen.
Das geschieht, indem sie auch im Rollstuhl mobil bleiben wollen, dass sie deutliche Informationen auch bei eingeschränkter Sicht oder Schwerhörigkeit verlangen.

„Ich bin Sportler“, sagt Haack im Brustton der Überzeugung. Er hat als ehemaliger Handballspieler, Turner und Leichtathlet eine solche Leidenschaft fürs Radfahren entwickelt, dass er mit seinen 67 Jahren nahezu täglich stundenlang auf Rennrad, Reisevelo oder Mountainbike unterwegs ist. Ebenso leidenschaftlich empfiehlt er „Gehirnjogging“, Übungen gegen den geistigen Verfall durch Unterforderung.
Als Apotheker und als Politiker hat er gelernt, Wissen und Erfahrung zu vermarkten. Sein verwinkelter Verband soll umorganisiert und dadurch zum Kompetenzzentrum werden. Eine Chance für den Verband besteht darin, dass der Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik am Sport vorbeigegangen ist: Statt Fürsorge wird Teilhabe erwartet.

„Der Sport hat seine gesellschaftliche Relevanz dadurch verloren, dass Wirtschaft, Fernsehen und Medien ihn okkupiert haben“, konstatiert Haack. So wie Haack seine Aufgabe für die Regierung dazu nutzte, gemeinsam mit den Betroffenen das Behindertengleichstellungsgesetz zu verfassen, das vor fünf Jahren in Kraft trat, so kämpft er nun für die Anerkennung seines Verbandes.
Das Abschneiden der behinderten Spitzensportler bei den Paralympics 2006 in Turin mit acht Siegen, 18 Medaillen und Platz zwei im Medaillenspiegel hat diesen Athleten Aufmerksamkeit und ihrem Verband Gehör verschafft. „Der Verband hatte sich immer als Nischenverband verstanden“, sagt Haack: „Auf einmal steht er im Scheinwerferlicht.“
Dort will er bleiben. Zur Vorbereitung auf die Paralympics in Peking 2008 haben die Behindertensportler beim Bundesinnenministerium vierzig Förderplätze für Spitzenathleten erkämpft.

Behindertensport ist für Haack Ausdruck von Sozialpolitik. Deshalb müssen seine Regeln und Bedingungen nachvollziehbar sein. Haack beklagt, dass eine valide, international belastbare Definition für geistige Behinderung fehle. Da schon seit dem Betrug des siegreichen spanischen Basketball-Teams bei den Paralympics von Sydney 2000 geistig Behinderte von diesen Spielen ausgeschlossen sind, drohe der Behindertensport in zwei Teile zu verfallen: in den der körperlich und den der geistig Behinderten.
Der deutsche als stärkster Verband im Internationalen Paralympischen Komitee strebt eine rasche Klärung an.
Sie soll eine Zusammenführung aller Behinderten werden.

MICHAEL REINSCH
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
Donnerstag, 24.05.2007

author: GRR

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