Den Auftakt der Golden League beim Istaf in Berlin bereicherte sie - obwohl sie auf den letzten fünfzig Metern einbrach - mit dem ersten Lauf einer Frau unter 1:55 seit elf Jahren.
Jung, zäh, ungeschliffen – und verstörend schnell – Die kenianische 800-Meter-Läuferin Pamela Jelimo ist aus dem Nichts in eine andere Dimension gerannt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
PARIS. "Pamela ist unglaublich. Beim ersten Mal, dass ich sie gesehen habe, dachte ich, sie wäre der Hase. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wann geht sie aus der Bahn?", erinnert sich Sanya Richards. Doch Pamela Jelimo tritt nicht aus der Bahn. Im Gegenteil: Die erst 18 Jahre alte Kenianerin rennt immer schneller.
Am Freitag steigerte sie im neunten 800-Meter-Lauf ihres Lebens ihre Bestzeit und damit den Afrika-Rekord und den Weltrekord der Juniorinnen auf 1:54,97 Minuten. Am selben Tag lief in Kasan bei der russischen Meisterschaft Jelena Sobolewa 12 Hundertstelsekunden schneller – Jahresbestzeit. Die 1:54,85 der Russin sind ein erstaunliches Ergebnis, doch immerhin ist die Fünfundzwanzigjährige im Winter in Valencia Hallen-Weltmeisterin geworden.
Pamela Jelimo dagegen scheint aus dem Nichts in eine andere Dimension gerannt zu sein. "Es ist verstörend, wenn sie in jedem Rennen so weit vor mir läuft", sagt Weltmeisterin Janeth Jepkosgei. "Aber ich muss damit klarkommen. Zum Sport gehört, zu verlieren." Was soll sie klagen? Schließlich hat sie dazu beigetragen, dass aus einer talentierten Sprinterin die schier unermüdliche Mittelstreckenläuferin geworden ist, die derzeit die Welt der Leichtathletik in Staunen versetzt.
Im vergangenen Jahr lernte Janeth Jepkosgei die damals Siebzehnjährige aus ihrer gemeinsamen Heimat Kapsabet kennen und nahm sie beiseite. "Mit diesem Körper kann sie 800 Meter laufen", fand sie; mit einem Körper, der groß und schlank und zäh ist und an dem die kräftigen Hände und großen Füße auffallen.
Das erste Rennen von Pamela Jelimo über zwei Stadionrunden muss die Qualifikation für die Afrikameisterschaft Ende April gewesen sein. Die völlig unbekannte Pamela Jelimo lief 2:01,02 Minuten. In Addis Abeba gewann sie den Titel in 1:58,70 Minuten. Knapp drei Wochen später gab sie in Hengelo ihr Europa-Debüt. Wieder verbesserte sie sich um drei Sekunden und triumphierte mit 1:55,76 Minuten, damals Junioren-Weltrekord. "Ich kann noch schneller laufen", sagte sie anschließend. Und sie bewies es.
Den Auftakt der Golden League beim Istaf in Berlin bereicherte sie – obwohl sie auf den letzten fünfzig Metern einbrach – mit dem ersten Lauf einer Frau unter 1:55 seit elf Jahren. Mit diesen 1:54,99 Minuten nahm sie der großen Maria Mutola den Afrika-Rekord ab. Damit war sie im Rennen um den Jackpot von einer Million Dollar und setzte es – gemeinsam mit der Hochspringerin Blanka Vlasic – in Oslo (1:55,41), Rom (1:55,69) und nun Paris fort.
Zwischendurch siegte sie bei der kenianischen Olympiaqualifikation in 1:57,71 Minuten. Im Schnitt gewann die Frau mit den stramm geflochtenen langen Haaren ihre Rennen mit gut drei Sekunden Vorsprung vor dem Rest der Welt. "Dies war ein Test vor Peking", sagte sie nach dem Triumph von Paris. "Ich bin sehr zufrieden mit meinem Erfolg."
Mehr sagte sie nicht. Ihr belgischer Manager hat ihr dem Vernehmen nach geraten, vor Peking nicht mehr mit Journalisten zu sprechen. Nicht einmal für Pressekonferenzen der Veranstalter steht sie zur Verfügung. Die letzte gab sie Anfang Juni in Berlin, als sie erzählte, dass sie mit 13 Jahren in der Schule mit dem Sport begonnen habe. "Unsere Lehrer waren sehr streng", sagte sie. "Sie konnten uns für Training motivieren und sagten mir, dass ich gut in Leichtathletik sei. So habe ich angefangen."
Mit 17 Jahren wurde sie afrikanische Junioren-Meisterin über 400 Meter; über 200 Meter hält sie in 24,68 Sekunden den kenianischen Junioren-Rekord. "Ich brauche mehr Wettkämpfe, bevor ich nach Kenia zurückgehe und mich auf die Olympischen Spiele vorbereite", sagte sie. "Für die Spiele braucht man Wettkämpfe und Erfahrung." Sie könnte in Peking das holen, was das Läuferland Äthiopien dem Läuferland Kenia seit Jahren voraushat: den Olympiasieg einer Frau.
"Sie ist hart", sagt die 24 Jahre alte Weltmeisterin Janeth Jepkosgei über die sechs Jahre jüngere Überfliegerin. Sie hat sie unter ihre Fittiche genommen, teilt mit ihr auf Reisen das Zimmer und spricht ihr bei Anflügen von Nervosität gut zu: "Du kannst es." Sie weiß, wovon sie spricht. In Paris lief sie ihr schnellstes Rennen des Jahres und wurde in 1:58,54 Minuten doch nur Dritte. Außerhalb der Bahn bleibt alles in Ordnung zwischen den beiden. "Sie ist eine gesellige Lady", sagt Janeth Jepkosgei freundlich. Zur Olympiavorbereitung trennen sich nun die Wege der beiden. Pamela Jelimo trainiert in Kenia, die Weltmeisterin in Italien.
"Sie ist so jung und so ungeschliffen! Sie sieht aus wie eine 400-Meter-Läuferin", schwärmt die Olympia-Favoritin über 400 Meter, die Amerikanerin Sanya Richards. "Ich bin froh, dass sie die 800 läuft. Ich hoffe, sie bleibt dabei."
MICHAEL REINSCH in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 21. Juli 2008