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12
2011

1984 - Start der US-Triails ©Victah Sailer

Joan Benoit-Samuelson – Wie einst Spiridon Louis – Jörg Wenig in „aktiv Laufen“

By GRR 0

88 Jahre lang mussten die Frauen warten, bis der Marathon auch für sie olympisch wurde. Die Premiere 1984 in Los Angeles gewann Joan Benoit-Samuelson mit einem mutigen Solo. Zum Laufen war die US-Amerikanerin nur über Umwege gekommen. Ausgerechnet ein Beinbruch war der Startschuss einer außergewöhnlichen Karriere.

Kathrine Switzer, Grete Waitz, Ingrid Kirstiansen oder Tegla Loroupe – sie alle sind große Läuferinnen der Leichtathletik-Geschichte, die jedoch nicht nur erfolgreich waren, sondern auch entscheidenden Anteil an der Entwicklung des gesamten Frauen-Langstreckenlaufes hatten. Diese vier wurden in Aktiv Laufen in den vergangenen beiden Jahren aufgrund ihrer außerordentlichen Leistungen bereits portraitiert.

Eine, die ebenfalls in diese Gruppe gehört, wird heute vorgestellt: Joan Benoit-Samuelson. Die US-Amerikanerin gewann 1984 bei den Olympischen Spielen von Los Angeles die erste Goldmedaille im Frauen-Marathon. Denn zuvor war das Rennen über die klassische Distanz noch tabu für die Frauen. Wenn man so will, ist Joan Benoit-Samuelson das amerikanische Pendant zu Spiridon Louis. Der Grieche war 1896 in Athen der erste Marathon-Olympiasieger und wurde zu einem Volkshelden. Joan Benoit-Samuelson ist in Amerika noch heute ein Symbol des Laufsports.

In Cape Elizabeth (Maine) an der US-Ostküste in guten Verhältnissen aufgewachsen, interessierte sich Joan Benoit schon immer für Sport. Baseball spielte sie sehr gerne und hoffte, dass die Jungs ihr anbieten würden, im Team mitzuspielen. „Doch als ich fragte, lachten sie mich aus", erzählte Joan Benoit-Samuelson einst dem Journalisten John McGrath, der die Laufzeitschrift „New England Runner" herausgab. Im Alter von 15 Jahren spielte sie Hockey, doch am besten war sie damals im Skifahren.

So kurios es klingt, aber durch einen Beinbruch fand Joan Benoit, die schon als Jugendliche davon träumte, eines Tages bei den Olympischen Spielen teilnehmen zu können, dann den Weg zum Laufsport. Beim Skifahren hatte sie sich die Verletzung zugezogen. Um danach wieder mit dem Sport zu beginnen, entschied sie sich für das Laufen. Es machte ihr mehr und mehr Spaß und sie brauchte nicht wie beim Skifahren auf den Schnee im nächsten Winter zu warten. Doch laufende Frauen waren damals, in den 70er Jahren, noch ein ungewöhnliches Bild.

Die junge Joan Benoit wollte nicht ausgelacht werden und wollte daher erst gar nicht laufend gesehen werden, schrieb John McGrath in einem Portrait über die spätere Olympiasiegerin. „Als ich mit dem Laufen anfing, war mir das zunächst so unangenehm, dass ich abstoppte und nur noch ging, wenn Autos vorbeikamen. Ich tat dann so, als würde ich mir die Blumen anschauen", erinnerte sich Joan Benoit-Samuelson. Sie gehörte zum Leichtathletik-Team ihrer Schule und entwickelte sich später während ihrer Studienzeit zu einer Weltklasseläuferin.

Joan Benoit wurde US-Meisterin im Cross und über Bahn-Langstrecken. Doch es war der Marathon, in dem sie für Furore sorgen sollte. Als Außenseiterin, die lediglich einmal zuvor über die klassische Distanz in rund 2:50 Stunden gelaufen war, startete sie 1979 in Boston. Am legendären Heartbreak Hill überholte sie die Favoritin Patti Lyons (USA) und stürmte später in 2:35:15 Stunden ins Ziel. Damit hatte Joan Benoit in ihrem ersten großen Marathon den US-Rekord um über sieben Minuten unterboten und die bis dahin drittschnellste Zeit aller Zeiten erreicht

 

Als Außenseiterin auf den Olymp

 

Die Rolle der Außenseiterin nutzte sie auch in der Zukunft noch zweimal, um für große Überraschungen zu sorgen. Doch zunächst kämpfte Joan Benoit-Samuelson mit Verletzungsproblemen in der Folge von Übertraining. Ende des Jahres 1981 musste sie an beiden Achillessehnen operiert werden. Im Spätsommer 1982 meldete sie sich zurück mit Bestleistungen über 10 km (31:44 Minuten), 10 Meilen (53:18) und im Marathon: In 2:26:11 Stunden gewann sie in Oregon.

Obwohl dies eine Weltklassezeit war und nur 30 Sekunden langsamer als der damalige Weltrekord der Norwegerin Grete Waitz (2:25:41), galt Joan Benoit-Samuelson nicht als die große Favoritin beim Boston-Marathon 1983. Diese Rolle hatte Allison Roe. Die Neuseeländerin stand im Mittelpunkt, doch Joan Benoit-Samuelson stahl ihr schon unmittelbar nach dem Startschuss die Show. Nach sensationellen 4:47 Minuten hatte sie die erste Meile absolviert – ein Tempo, das gut war, um den Männer-Weltrekord zu brechen! Sie war schnell außer Sichtweite für Allison Roe, und das brachte die Neuseeländerin aus dem Konzept, schreibt Tom Derderian in seinem Buch „Boston Marathon". Allison Roe gab entnervt auf, Joan Benoit-Samuelson stürmte zum Weltrekord: Nach 2:22:43 Stunden war sie im Ziel.

Der Weg zu den Olympischen Spielen schien nach dem Boston-Triumph geebnet. Doch vor dem US-Ausscheidungsrennen, das im Frühjahr 1984 passenderweise in der Stadt mit dem Namen Olympia (im Staat Washington) stattfand, gab es ein großes Fragezeichen. Eine Knieverletzung hatte Joan Benoit-Samuelson gestoppt. 17 Tage vor dem Marathon musste sie sich einer Operation unterziehen. Es galt als Wunder, dass sie danach das Marathon-Qualifikationsrennen durchhielt und in 2:31:04 sogar gewann. Als Favoritin galt sie aufgrund der mäßigen Zeit und der Probleme nicht. Wenn es um die erste olympische Goldmedaille im Frauen-Marathon ging, wurden vor allen Grete Waitz und ihre norwegische Konkurrentin Ingrid Kristiansen als Anwärterinnen genannt.

Doch das konnte Joan Benoit-Samuelson vor den Spielen in Los Angeles nur recht sein, mit dieser Rolle war sie vertraut. Und wieder überraschte sie die Konkurrenz mit einer unerwarteten Tempoverschärfung. Schon nach 14 Minuten ließ sie an jenem 5. August die Konkurrentinnen hinter sich und lief mit großem Vorsprung über zwei Stunden alleine an der Spitze. „Da sie beim Qualifikationsrennen nicht so gut in Form war, dachten Grete und ich, dass sie einbrechen würde", erklärte Ingrid Kristiansen später, warum die norwegischen Favoritinnen die Amerikanerin laufen ließen.

Den Amerikanern an der Strecke und im voll besetzten Olympiastadion konnte das nur recht sein: sie feierten die 1,60 m kleine Athletin. Eine Amerikanerin hatte überraschend die erste Marathon-Goldmedaille bei den Frauen vor Grete Waitz und Rosa Mota (Portugal) gewonnen. Und ihre olympische Rekordzeit von 2:24:52 Stunden sollte 16 Jahre halten. Naoko Takahashi (Japan), die in Sydney 2000 in 2:23:14 triumphierte, ist bis heute die einzige, die bei einem Olympiasieg schneller war als Joan Benoit-Samuelson.

 

Karriereende nicht in Sicht

 

Gut ein Jahr später stellte die Goldmedaillengewinnerin in Chicago mit ihrer Bestzeit von 2:21:21Stunden einen US-Rekord auf, der 18 Jahre halten sollte. Noch heute findet sich der Name Joan Benoit-Samuelson in der Liste der schnellsten Marathonläuferinnen aller Zeiten mit jenem Ergebnis unter den ersten 20 (19. Platz). In den folgenden Jahren erreichte sie unter anderem Rang drei in New York (1988) und Platz vier in Boston (1991).

Doch richtig beendet hat die zweifache Mutter – sie trat später auch als Buchautorin in Erscheinung, tritt bis heute bei großen Marathonrennen für Promotionzwecke auf und organisiert im heimatlichen Cape Elizabeth ein hochklassiges 10-km-Rennen (der Beach to Beacon hat jährlich rund 6.000 Teilnehmer und karitative Zwecke spielen eine große Rolle) – ihre leistungssportliche Karriere nie.

Im Jahr 2000 belegte sie bei den US-Olympia-Trials Rang neun und lief als 42-Jährige 2:39:59 Stunden, acht Jahre später stand sie in Boston erneut bei den Olympia-Ausscheidungen am Start: Auf Platz 90 kam die 50-Jährige in erstaunlichen 2:49:08 Stunden ins Ziel. Ein Jahr später wurde Joan Benoit-Samuelson 17. beim New York-Marathon (2:49:09), dann lief sie als 53-Jährige in Chicago 2010 mit 2:47:50 einen „Alters-Weltrekord" und belegte Rang 42. In Boston war sie in diesem Jahr nach 2:51:29 im Ziel (45. Platz).

Auf der Startliste der US-Olympiatrials in Houston im Januar 2012 wird der Name Joan Benoit-Samuelson aller Voraussicht nach fehlen, denn sie verpasste die dafür nötige Qualifikationszeit von 2:46 Stunden. Doch deswegen wird Joan Benoit-Samuelson nicht aufhören zu laufen.

 

Jörg Wenig in "aktiv Laufen", Januar/Februar 2012

 

Joan Benoit-Samuelson

 

Geboren: 16. Mai 1957 in Cape Elizabeth (MAINE, USA)

Bestzeiten:

Halbmarathon 68:34 (1984)

Marathon        2:21:21 (1985)

Die größten Marathon-Siege:

2:35:15            Boston   1979

2:26:11            Eugene  1982

2:22:43 (WR)   Boston    1983

2:24:52           Los Angeles, Olympische Spiele  1984   

2:21:21           Chicago   1985

author: GRR

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