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27
07
2008

„Jeder Läufer ist für sich selbst verantwortlich“ (Ein Nordic Runner berichtet vom Zugspitzlauf)

By volker 0

Als relativ erfahrener Bergläufer, der seit nunmehr acht Jahren regelmäßig die Gipfel der Alpen zu erklimmen versucht, hat sich der 38-jährige Michael Epp aus Altshausen lange auf den diesjährigen Zugspitzlauf, sein immerwährender Höhepunkt im Laufjahr, vorbereitet und bereits eine Woche vor dem Startschuss das Wetter studiert. "Jeder wusste, dass das Wetter schlecht werden wird. Ich habe noch am Samstag bei unserer Anreise gesagt: Es kann morgen niemals bis ganz hoch gehen", erinnert sich Epp.

Doch am Tag des Extrem-Berglaufs sind keine Streckenverkürzungen bekannt gegeben worden – das Ziel lautete: Gipfel. Schon nach dem Start der rund 16 Kilometer langen Laufstrecke kam den Teilnehmern prasselnder Regen entgegen, der gerade in den etwas höher liegenden Passagen der Laufstrecke unterhalb 2000 Meter das Vorankommen erschwerte. Moosige Wanderpfade, Geröll und Schlamm machten ein richtiges Laufen gar unmöglich. "Es war bis dahin mehr ein Gerutsche, aber die Temperatur lag noch im angenehmen Bereich", schildert Michael Epp, der selbst eine Aqua Nordic Walking-Schule betreibt. Weiter oben dann, nach der Bergstation "Knorrhütte" schlug der anfängliche Regen in Hagel- und Schneeschauer um.

Die Hände nicht mehr gespürt

Für viele Läufer, unter ihnen auch der in kurzer Kleidung gestartete Michael Epp, fing dort der Horror an. "Ich habe ungefähr drei Kilometer vor der Station Sonnalpin meine Hände nicht mehr gespürt. In meiner Panik, ob irgendetwas kaputt gegangen ist oder ob alles wieder gut werden wird, wollte ich nur noch zum Sonnalpin", erzählt der 38-jährige, der in der Wertung Nordic Extrem Running mit Nordic Walking-Stöcken den Lauf absolvierte. "Es war eine Höllenqual mit tauben Fingern zu laufen", beschreibt Epp das Gefühl während der drei Kilometer vor der Berghütte. Andere Läufer seien in ihrer Panik auf den Boden gesessen und hätten sich eingerollt, was das Schlechteste sei, was man in solch einer Situation machen könne. Er selbst habe an der Bergstation Sonnalpin auf 2600 Meter Höhe, also knapp 300 Höhenmeter und 1,3 Kilometer Laufstrecke vor dem eigentlichen Ziel, seinen Lauf beendet. "Es herrschte das reinste Chaos. Die Läufer hatten alle die ähnlichen Unterkühlungserscheinungen wie taube Hände oder Ohren. Eines war unglaublich: Ich laufe nun seit zehn Jahren aktiv, habe aber noch nie Läufer vor Schmerzen elendig schreien gehört", schildert Epp seine Erlebnisse auf der Berghütte.

Er sei überfroh gewesen, als ihm nach einer Stunde die Hände anfingen zu schmerzen und wieder durchblutet wurden. Alle Läufer, die sich bei den Witterungsverhältnissen von Schneeschauern und einer Temperatur von minus 2 Grad Celsius – von der gefühlten Temperatur abgesehen – weiter zum Gipfel hochkämpften, "waren quasi des Selbstmords", so Epp.

"Die Leute möchten das Ultra"

Aber: "Jeder Bergläufer hat nur ein Ziel, nämlich den Gipfel zu erreichen", meint der 38-jährige Altshausener. "Die Leute möchten das Ultra. Ich will selbst seit drei Jahren den Gipfel erreichen, aber ich gehe nicht über alles", erklärt der Extrem-Bergläufer, der nun zum sechsten Mal am Zugspitzlauf teilnahm. Mit der Gondel kam er in diesem Jahr am Gipfel an, um sich ein Bild der Lage dort zu machen. Als "irre" beschreibt er die Zustände, die im regen Schneetreiben auf 2944 Meter Höhe herrschten.

"Die Läufer kamen mit starrem, leerem Blick an, haben gar nichts mehr realisiert. Viele wussten nicht einmal mehr, wie sie heißen", erzählt Michael Epp. Er, seine Freundin und ein Laufkollege erfuhren erst im Tal vom ersten Todesfall während des Laufs, worauf die Siegerehrung in diesem Jahr abgesagt wurde. Auf dem Heimweg informierte man sie dann vom zweiten Todesfall. "Es ist wirklich unvorstellbar, dass es im Juli so schrecklich kalt sein kann. Alles hätte wirklich noch viel schlimmer ausgehen können", ist sich der Altshausener sicher, der letztendlich in der Zeit von zwei Stunden und vierzehn Minuten in der Wertung Nordic Extreme Running/Walking Männer zum dritten Mal hintereinander den Sieg errang.

Viel Pech zusammengekommen

Die Schuld für den Tod der zwei Läufer im Alter von 41 und 45 Jahren während des Extremlaufs dem Veranstalter ganz in die Schuhe zu schieben, sieht Michael Epp als "billig" an. "Den Veranstalter kann man insofern ankreiden, dass er wenig Decken oder warmen Tee als Versorgung für die Läufer bereitgestellt hat – dort könnte man für das Startgeld mehr bringen", sagt der 38-Jährige. Doch es sei schwach, den Veranstalter und den Extrem-Berglauf so harsch anzugreifen. "Die Läufer sind alle groß und wissen, was auf sie zukommen wird. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und muss für sich entscheiden, ob er weiterläuft oder aussteigt", meint Epp. Die Gefahr hierbei sei, dass viele Läufer einfach zu wenig Erfahrung in den Berglauf mitbringen.

Zudem greift der Altshausener den Medienrummel und die Sensationsgeilheit seitens Teile des Publikums an: "Es sollte nicht immer noch höher, länger, schneller und extremer sein, sonder manchmal sollte man einfach abkürzen". Weshalb der Veranstalter von vornherein die Strecke nicht verkürzte und wie im vergangenen Jahr die Sonnalpin-Hütte als Ziel festlegte, für das er sich erst nach dem Bekanntwerden des ersten Todesfalls entschied, bleibt für Epp auch fraglich. "Der Veranstalter muss wohl deshalb so lange gezögert haben, weil im vergangenen Jahr durch die Streckenverkürzung viele Negativ-Stimmen aufgekommen sind – jeder Läufer reist nun mal nur wegen einer Sache an: Den höchsten Berg Deutschlands zu erklimmen", sagt der Extrem-Bergläufer.

Es seien einfach zu viele unglückliche Umstände zusammengekommen wie der unerwartete Wettersturz, der eine eisige Kälte und zehn Zentimeter Neuschnee über die Läufer brachte. "So schön ein Berg wie die Zugspitze sein mag, so schrecklich kann er auch sein", meint Epp. Den Extrem-Berglauf nun als sinnlos anzusehen und einzig den Veranstalter zur Schuld zu ziehen, sei absurd. Epp betont: "Vieles ist sinnlos. In anderen Sportarten passieren genauso schlimme Dinge. In einer solch extremen Sportart wie dem Berglauf ist jeder für sich selbst verantwortlich."

"Süchtig bin ich irgendwie schon"

Spätestens seit dem verheerenden Extremlauf auf die Zugspitze ist der Berglauf ins öffentliche Interesse gerückt.

Der Tag von Michael Epp beginnt um Viertel vor fünf am Morgen – mit Lauftraining. Drei Mal die Woche mit einem Laufpartner, den Rest alleine, mal temporeich, mal langsamer läuft er eineinhalb Stunden. Dazu kommt eine Stunde Fahrradfahren in der Mittagspause, bei gutem Wetter mit Rennrad oder Mountainbike, bei schlechtem im Keller seines Hauses. "Radfahren ist gutes Training für die Beinmuskeln", betont Epp.

Damit nicht genug. Den Abend verbringt er bei Lauftreffs, er gibt Nordic-Walking- und von ihm mitentwickelte Aqua-Nordic-Walking-Kurse. "Süchtig bin ich schon", sagt Michael Epp, "mit allen positiven und negativen Folgen." Dass er an extremen Wettkämpfen teilnimmt, wie am Zugspitz-Extrem-Berglauf, haben viele Bekannte erst im Nachhinein erfahren.

Zum Berglaufen ist er zufällig gekommen. Die Einstiegsdroge hieß Fußball, danach kam der Laufsport. Vor acht Jahren, als er noch Marathon gelaufen ist, hat er sich eine langwierige Verletzung zugezogen. Sein Orthopäde empfahl ihm daraufhin, lieber an Bergläufen teilzunehmen. Bergauf zu laufen sei viel schonender für die Muskulatur. Schnell habe er Gefallen an der neuen Herausforderung gefunden. "Ich neige dazu, zum Extremen zu gehen", sagt Epp.

Körper braucht auch Erholung

Die vielen Trainingseinheiten seien nicht unbedingt gut, sagt er, "der Körper braucht auch Erholung." Kreativ sucht er nach Wegen, um noch mehr Training in den Tag einzubauen, das die Muskulatur nicht zu sehr in Anspruch nimmt – daher auch seine Idee zum Aqua Nordic Walking. "Ich weiß, dass der Sport nur ein Hobby ist. Mein Geld verdiene ich mit meinem Beruf," sagt der Verwaltungsfachangestellte. Gerade in riskanten Momenten geht ihm das durch den Kopf, als er etwa 2005, kurzzeitig von einer Schweißperle im Auge blind, den Abhang der Zugspitze hinunterstürzte. Oder auch, als er in diesem Jahr beim Zugspitz-Extrem-Berglauf das Gefühl in seinen Fingern verlor: "Da kriegst du Panik, ich brauche meine Finger für die Arbeit."

Die Bergläufe sind es, die ihn begeistern und antreiben. Gerade die Zugspitze sei ein absoluter Höhepunkt der Saison – sechs Mal ist er dort schon an den Start gegangen und hat in der Wertung "Nordic Extreme Running" zum dritten Mal in Folge den ersten Platz belegt.

Seit drei Jahren sei geplant, in der Sonnalpin-Hütte die Stöcke an seine Freundin zu übergeben und bis zum Gipfel normal weiterzulaufen. Die Nordic-Walking-Strecke endet hier, da der weitere Anstieg so steil ist, dass man die Hände braucht – der letzte Kilometer zum Gipfel umfasst 400 Höhenmeter. In der Sonnalpin-Hütte war für ihn Schluss. "Der Körper sagt einem, was gut für ihn ist und was zu viel. Darauf muss man hören", sagt Epp. "Die Leute, die von der Sonnalpin-Hütte weiter zum Gipfel gelaufen sind, sind irre."

Aufhören ist schwierig

Den Punkt zum Aufhören zu finden und sich angemessen zu kleiden, sei für einen Läufer manchmal einfach schwer. Auch er ging an der Zugspitze in kurzer Kleidung an den Start. "Das war grob fahrlässig", sagt er, denn die Wetteraussichten waren schlecht, die Bergwacht in Sorge. Viele Läufer hätten an dem Berg nichts verloren gehabt, sie seien zu ungeübt gewesen, so Epp. Doch kann er auch den Reiz verstehen, der im Wort "extrem" mitschwingt. Dem Veranstalter des Zugspitzlaufes will er nicht die Schuld für die Todesfälle geben. Auf mögliche Wetterumschwünge habe er hingewiesen, warme Kleidung und eine ausreichende Fitness seien Voraussetzungen, die jeder Läufer selbst zu verantworten habe, so Epp.

Ein Risiko sei nicht nur die Kälte, wie das beim Zugspitz-Extrem-Berglauf der Fall war, sondern im Sommer auch die Hitze, weiß Epp. Natürlich habe er das Chaos vom Zugspitz-Berglauf im Hinterkopf. "Ich glaube, ich wäre heute vorsichtiger, würde mich angemessener kleiden", sagt der Extremsportler.

Quelle: Schwäbische Zeitung  https://www.szon.de

gw

author: volker

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