Das machte siebzehn Medaillen, sieben Siege - so erfolgreich waren die Leichtathleten Jamaikas noch nie. Das Team von der Karibikinsel, die mit 2,7 Millionen Einwohnern vergleichbar mit Schleswig-Holstein ist, bot der Auswahl der Besten von 305 Millionen Amerikanern die Stirn
Jamaika: 9 – Vereinigte Staaten: 1 – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
24. August 2009 Häme lag den Jamaikanern fern, Häme den Amerikanern gegenüber jedenfalls. Ähnlich wie bei den Olympischen Spielen in Peking haben sie die Sprint-Wettbewerbe der Weltmeisterschaft dominiert. Allein Allyson Felix widersetzte sich mit ihrer dritten Weltmeisterschaft nacheinander auf den 200 Metern der jamaikanischen Dominanz.
Dafür kam die jamaikanische Frauen-Staffel, die in Peking den Stab verlor, am Samstag durch und siegte. Zusätzlich gewannen Brigitte Foster-Hylton und Melaine Walker die Hürdenläufe der Frauen.
Das machte siebzehn Medaillen, sieben Siege – so erfolgreich waren die Leichtathleten Jamaikas noch nie. Das Team von der Karibikinsel, die mit 2,7 Millionen Einwohnern vergleichbar mit Schleswig-Holstein ist, bot der Auswahl der Besten von 305 Millionen Amerikanern die Stirn – die waren am Ende dank ihrer beiden Staffeln über viermal 400 Meter mit neun Titeln die erfolgreichsten bei dieser WM.
Und wieder ist ein gelbes Leibchen aus Jamaika vorne, die Amerikaner haben das Nachsehen
Und nun saß Usain Bolt da mit seiner dritten Goldmedaille von Berlin, müde, ausgelaugt und ein bisschen genervt, und lachte hämisch. Sein Spott galt nicht den amerikanischen Sprintern, die es nicht ins Finale geschafft hatten, sondern den Briten. Sie hatten die Bronzemedaille gewonnen und wurden mit der Frage konfrontiert, ob sie das für sportlich hielten, mit einem Protest für die Disqualifikation der Amerikaner gesorgt zu haben, des Teams, das in 37,97 Sekunden die schnellste Zeit der Vorläufe erzielt hatte.
Usain Bolt: „Ich bin so müde, ich sterbe“
Marlon Devonish, ihr Bester, distanzierte sich von der britischen Teamleitung, die ohne Wissen der Athleten protestiert habe, und sagte: „Es wäre schön gewesen, wenn die Amerikaner dabei gewesen wären. Dass sie es nicht sind, nimmt den Medaillen ein bisschen von ihrem Glanz.“ Damit war Bolt zufrieden, obwohl er es gewohnt ist, seinen Goldmedaillen praktisch in Einzelrennen ihren Glanz zu verleihen – so weit lässt er die Konkurrenz zurück.
So war es auch am Samstag, als er den Stab von Steve Mullings und Michael Frater übernahm, durch die Kurve jagte und Asafa Powell, den Dritten über hundert Meter, ins Rennen schickte. „Ich bin so müde, ich sterbe“, klagte er zwar. Doch er und seine Mitstreiter machten es kurz und waren nach 37,31 Sekunden im Ziel. Allein das jamaikanische Team bei seinem Weltrekordlauf von Peking vor einem Jahr war je schneller (37,10). „Was den Weltrekord angeht“, scherzte Bolt, „das geht auf meine Kappe, dass wir ihn nicht gebrochen haben. Ich bin zu müde.“ Asafa Powell lachte: „Alles seine Schuld!“ Er rannte verletzt zur Goldmedaille, verriet er; seit dem Sprintfinale vom Sonntag vor einer Woche habe er wegen Leistenschmerzen die Bahn nicht mehr betreten.
„Die Leistung unserer Athleten bei den Spielen von Berlin und die Siege, die sie unserem Land beinahe täglich gebracht haben, bestätigen, dass dieses Land zur Größe bestimmt ist“, schwärmte in Kingston Premierminister Bruce Golding. „Wir sind gesegnet, unser Volk ist gesegnet, und wir müssen diese Energie, diese Entschlossenheit, Disziplin und den Antrieb in alle Sphären unseres Lebens übertragen.“ Die Amerikaner dagegen, die jedenfalls, die Leichtathletik wahrnehmen, sind betroffen.
In fünf von acht Läufen ließen Amerikaner den Stab fallen
Was ist nur aus all den Ideen und Reformen von Doug Logan geworden, dem vor einem Jahr verpflichteten Vorstandschef des Verbandes? Logan, der im Baugewerbe und im Unterhaltungsgeschäft Millionär wurde, berief nach der Enttäuschung von Peking – die Leichtathleten gewannen 23 Medaillen, drei weniger als bei der WM in Osaka im Jahr zuvor – eine Expertengruppe mit Carl Lewis an der Spitze ein, um das „Project 30“ vorzubereiten. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London wollen die amerikanischen Leichtathleten dreißig Medaillen gewinnen.
Besonders peinlich, symbolisch geradezu, war das Scheitern beider Sprintstaffeln in Peking gewesen. Nun ist es wieder passiert. „Fumble“, so wird im American Football das Fallenlassen des Balls und im Alltag ein dummer Fehler genannt. So verstanden die Leichtathleten auch ihre fortgesetzte Unfähigkeit, den Stab um die Bahn zu tragen. Fünf der acht Weltmeisterschaften seit 1995 verdarben sich die amerikanischen Sprinter so. Das Quartett der Frauen ging in Athen und Peking durch den Verlust des Stabes leer aus; die Bronzemedaille von Sydney 2000 musste es wegen des Doping-Falls Marion Jones zurückgeben.
„Wir bleiben fraglos das Leichtathletik-Team Nummer eins“
Der Verband hat deshalb den Olympiasieger und Weltmeister mit der Staffel, Harvey Glance, als Spezialtrainer angeheuert, berief Trainingslager ein – vergebens. Benita Fitzgerald, Olympiasiegerin im Hürdensprint und neue Leistungssport-Chefin, beteuerte in Berlin: „Unsere Männerstaffel hatte sich gut vorbereitet, und in genau dieser Besetzung hatte sie in Cottbus die Weltbestzeit von 37,85 Sekunden erreicht. Es fällt uns schwer, die Disqualifizierung zu akzeptieren, aber im Moment kann es uns nur als Ansporn dienen und als Lektion für zukünftige Meisterschaften.“ Da hatte sie das Ausscheiden der Sprinterinnen noch nicht gesehen. Muna Lee, die Allyson Felix ersetzte, stolperte beim Wechsel über ihre eigenen Beine und zog sich einen Muskelfaserriss zu.
Schon in diesem Jahr hatte Logan mit Länderkämpfen zwischen den Vereinigten Staaten und Jamaika die Rivalität pflegen wollen – seine Sprinter hätten viel lernen können. Daraus wurde nichts. Gescheitert sieht sich der eloquente Amerikaner nicht. „Wir bleiben fraglos das Leichtathletik-Team Nummer eins, nach Medaillen und nach Mannschaftspunkten“, sagte er. „Das kann man leicht übersehen, wenn man in so eine Kreissäge wie Usain Bolt rennt.“
Allyson Felix: „Berlin ist ein Anfang, nicht der Endpunkt“
9:1 für Jamaika steht es in den Sprintwettbewerben nach Peking und Berlin. Von den 24 Medaillen in den Einzelwettbewerben hat Jamaika 13 gewonnen. Selbst wenn man die vier von Bolt abzieht, bleibt immer noch eine mehr für das jamaikanische als für das amerikanische Team: 9:8.
Allyson Felix habe, lobte Logan, den Jamaikanern die erste Goldmedaille entrissen. So solle es weitergehen. „2009 ist das erste Jahr der Olympiade bis London 2012“, versicherte er wohl zuallererst sich selbst, „Berlin ist ein Anfang, nicht der Endpunkt.“
Michael Reinsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Montag, dem 24. August 2009