Kenenisa Bekele winner of the Berlin-Marathon 2019 - Photo: Norbert Wilhelmi
Jagd nach neuem Weltrekord: Vollgas beim 47. Berlin-Marathon 2021 – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Kenenisa Bekele will den Berlin-Marathon gewinnen und sieht sich dafür im besten Alter. Noch vor drei Jahren musste ihn sein Manager überzeugen, weiter zu laufen. Das macht er: mit noch höheren Zielen.
Welch ein spektakulärer Herbst: Kenenisa Bekele tritt an diesem Sonntag an, um beim Berlin-Marathon den Weltrekord zu brechen. Im November will er noch dazu den New-York-Marathon gewinnen. Der Mann ist zwar eine Legende: drei Mal war er Olympiasieger, fünf Mal Weltmeister auf der Bahn, elf Mal im Cross – doch so recht eigentlich war er schon in einer Art vorzeitigem Ruhestand.
Nun treibt ihn das Gefühl zurück auf die Straße, Zeit und Geld verschenkt zu haben. Fast zwei Jahre lang ist er kein Rennen gelaufen, war an Corona erkrankt, hat das Hotel in Addis Abeba, das er mit großem Engagement führte, verpachtet. Im nächsten Jahr wird er vierzig.
„Er ist unglaublich“, schwärmt sein Manager Jos Hermens: „Sein Motor ist ein Ferrari. Aber, selbstverständlich, das Chassis ist nicht mehr neu.“ Trotzdem: Bis zu den Olympischen Spielen von Paris 2024 will und soll er noch laufen. „Ich bin im besten Alter für Marathon“, behauptete Bekele am Freitag in Berlin: „Ich habe noch ein paar Jahre.“
Zur Generalinspektion war der Renner im Sommer in den Niederlanden. Sechs Kilo Übergewicht mussten erst einmal runter, neben dem Coach hatte der Ernährungsberater zu tun. Dann ging es, Ende Juli, mit nur noch drei, vier Pfund zu viel auf den Rippen, zurück in die Höhe von Addis. Weil Fitness-Studios geschlossen waren, kaufte sich der Läufer ein paar Maschinen fürs Krafttraining und ließ sie in seinem Zuhause aufstellen. Für Hermens ist dies Signal einer neuen Entschlossenheit.
Kipchoges Rekord in Reichweite
Die Entscheidung gegen den Ruhestand Bekeles erzwang Hermens vor drei Jahren. Da war der Läufer, schlecht vorbereitet, beim Berlin-Marathon ausgestiegen und klagte gleichwohl, dass er zu schlecht bezahlt werde. Sein Manager – mit Eliud Kipchoge vor Augen, seinem anderen Top-Klienten, der den Marathon-Weltrekord hält, Rennen um Rennen gewinnt und lebt wie ein Mönch – hatte das Gefühl, Bekele nicht mehr zu erreichen. Auch in der F.A.Z. warf er ihm vor, lieber in italienischen Schuhen herumzuspazieren, als zu trainieren, lieber Pizza zu essen, als auf seine Form zu achten.
Es war nicht das erste Mal, dass Bekele über den Winter außer Form geriet. Als er bei der Weltmeisterschaft von Daegu 2011 ausgestiegen war, erzählte er, dass er die Saison mit fünfzehn Kilo Übergewicht begonnen hatte – bei 1,65 Meter Körpergröße nun wirklich keine Kleinigkeit. Kenenisa habe einen wirklich effektiven Stoffwechsel, sagt Hermens.
Der Krach von 2018 hat dazu geführt, dass Bekele nun noch höhere Ziele verfolgt als vor zwei Jahren. 2019 in Berlin habe er lediglich seine persönliche Bestzeit verbessern wollen, erzählt er, und sei mehr oder weniger zufällig so auf Touren gekommen, dass der Rekord des Kenianers Kipchoge in Reichweite geriet. Er verpasste ihn lediglich, wird in Berlin kolportiert, weil die Strecke um eine Baustelle herumgeführt und einige Meter länger wurde als im Vorjahr. Seitdem ist der Wunderläufer von gestern der zweitschnellste Marathonläufer der Geschichte.
Am Sonntag will er seine Position verbessern. Das ist die Pflicht in diesem Herbst: Vollgas in Berlin. New York soll ein Vergnügen werden; da geht es allein um den Sieg. Die Brücken, zu denen die Strecke ansteigt und nach denen sie abfällt, seien ein Vorteil für den einstigen Cross-Champion.
Die Weltrekorde über 5000 und 10 000 Meter hält inzwischen Joshua Cheptegei aus Uganda. „In meinen Augen habe ich sie nicht verloren“, sagt Bekele. Durch die neuen Schuhe herrschten heute völlig andere Bedingungen als zu seiner Zeit.
Keine Frage: Bekele bleibt unvergleichlich.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend dem 25.9.2021