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06
2024

Gianmarco Tamber - 2023 World Championships Budapest, Hungary August 19-27, 2023 Foto: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Italienischer Hochspringer: Der Zirkus von Gianmarco Tamberi – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Ohne seine Verletzung wäre er niemals Olympiasieger, Welt- und Europameister geworden, sagt Tamberi. In Rom zieht er die Aufmerksamkeit des Publikums lange auf sich.

Als Clown oder als Hochspringer?

Er wirkt wie der Clown im Zirkus der Leichtathletik. Als er und sein letzter Konkurrent im Hochsprung dieser Europameisterschaft an 2,33 Meter gescheitert sind, als der Ukrainer Wladislaw Lawskij ausgeschieden ist und er gewonnen hat, lässt Gianmarco Tamberi die Latte einen Zentimeter höher legen und verlangt von den Tifosi Stille.

Er bekommt sie von den gerade noch johlenden 20.000 und überfliegt, als wäre es nichts, 2,34 Meter. Er steigert auf 2,37 Meter, die Bestleistung des Jahres, verlangt wieder Ruhe im Stadio Olimpico und meistert die Höhe im ersten Versuch.

Als er die Matte verlässt, humpelt er derart, dass dem gerade noch enthusiastischen Publikum der Schreck in die Glieder zu fahren scheint. Die Kameraleute des italienischen Fernsehens fokussieren auf erschreckte, auf entsetzte Gesichter, während Tamberi sich den Schuh vom linken Fuß reißt.

Taschenspielertrick bei der EM

Jeder im Stadion und an den Bildschirmen in Italien scheint sich zu erinnern, dass Gimbo, wie er genannt wird, vor acht Jahren just mit diesem Sprungfuß so böse umknickte, dass die Brüche und Risse seine sportliche Laufbahn ein für alle Mal zu beenden schienen; dass es wirkte, als werde er nie Olympiasieger von Tokio 2021 und Weltmeister von Budapest 2022 werden können, wie er es wurde.

Sollte eine neuerliche Verletzung der Preis für seinen dritten Gewinn der Europameisterschaft sein, nach denen von Amsterdam 2016 und München 2022, in Rom vor seinem Publikum? Tamberi fummelt am Schuh herum, das Fernsehen unterstützt seinen Taschenspielertrick mit wilden Schnitten – und schon präsentiert der 32 Jahre alte Spaßvogel eine Sprungfeder, als wären sie in seinem Schuh verborgen gewesen.

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Dann herrschen Erleichterung, Jubel, Stolz. Tamberi hat es geschafft, die Aufmerksamkeit des Publikums fast zwei Stunden lang auf sich zu zentrieren, obwohl gleichzeitig die Italienerin Nadia Battocletti über 10.000 Meter ihre zweite Goldmedaille dieser Meisterschaft gewinnt, obwohl Alessandro Sibilio über 400 Meter Hürden eine Silbermedaille zum überwältigenden Erfolg der Azzurri beiträgt.

Er begann den Abend mit einer Verbeugung vor dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella, in goldenen Schuhen, mit halb abrasiertem Bart und einem Zöpfchen unter der schwarzen Kappe. Er krönt den Abend mit der zehnten Goldmedaille für Italien.

„Ich bin ziemlich sicher, dass in jedem Athleten mehr steckt, als er oder sie glaubt“, sagt er: „Nur diejenigen die wirklich ganz unten waren, verstehen, was sie leisten können.“ Ohne seine Verletzung wäre er niemals Olympiasieger, Welt- und Europameister geworden, sagt er:

„Alles Kopfsache. Nach einer Verletzung brauchst du Siege – nur für dich.“ Keiner lässt das so viele so leidenschaftlich miterleben wie Tamberi.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 12. Juni 2024

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